Große Pläne, große Herausforderungen

Von Redaktion · · 2009/06

Gold, Baumwolle, Agrotreibstoffe: Burkina Faso denkt groß. Das westafrikanische Land setzt auf wirtschaftliche Innovation, um strukturelle Probleme zu lösen. François Misser aus Ouagadougou

Ouagadougou hat sich radikal verändert. Die im Kolonialstil erbaute katholische Kirche, der schattige Marktplatz und die engen Gassen der Altstadt gaben der Hauptstadt Burkina Fasos das Flair eines provinziellen Nests. 60.000 EinwohnerInnen zählte das so genannte „Ouaga“ 1960, dem Jahr der Unabhängigkeit des damaligen Obervolta. Seit den 1996 begonnenen Bauarbeiten an der neuen Stadt „Ouaga 2000“ ist sie schnell gewachsen. Eine Autobahn führt zum Platz der Gedenkstätte der Nationalhelden und zum neuen Präsidentenpalast, der einem riesigen, isolierten Bunker gleicht. Präsident Blaise Compaoré trifft mit dem Bau Sicherheitsvorkehrungen, um nicht demselben Schicksal wie sein Vorgänger Thomas Sankara zu erliegen: Er wurde 1987 ermordet.
Futuristisch anmutende Villen, neue Ministerien, Botschaftsgebäude und das Fünfsternehotel Laico reihen sich an menschenlose Prunkstraßen. Im scharfen Kontrast zur Altstadt, die von Mopeds und Menschen überschwemmt wird. Die beiden Szenarien wirken wie zwei nebeneinander existierende Städte: die der Reichen, der Herren und die der Armen, der Obdachlosen.

Heute ist Ouagadougou eine Großstadt mit 1,5 Millionen EinwohnerInnen und eine der kulturellen und wirtschaftlichen Drehscheiben Westafrikas. Alle zwei Jahre findet das panafrikanische Filmfestival Fespaco (siehe SWM 04/2009) und die Kunsthandwerksmesse SIAO statt. Doch die Expansion soll weitergehen. 360 Millionen US-Dollar wurden in den Bau des 35 Kilometer außerhalb der Stadt gelegenen, neuen Flughafens investiert. Er soll den bereits bestehenden Flughafen am Rande der Stadt entlasten, der mittlerweile komplett von Wohnsiedlungen umringt ist. Gleichzeitig baut Bobo-Dioulasso, die zweitgrößte Stadt Burkinas mit 500.000 EinwohnerInnen, an ihrer Version der neuen Stadt: „Bobo 2010“.

In Essakane im Nordosten des Landes an der Grenze zu Niger, dem Land der Tuareg-Nomaden, finden weitere Neuerungen statt. Die kanadische Firma Orezone arbeitet an einer Tagbaumine, die Ende des Jahres in Betrieb genommen werden könnte. Bis 2011 soll die nationale Goldgewinnung auf 15 bis 20 Tonnen pro Jahr verdreifacht werden. Gold wird dann Baumwolle als Hauptexportgut ablösen. Der Goldrausch hat bereits eingesetzt: Vier Minen haben 2008 ihren Betrieb aufgenommen. Die Investitionen bringen neue Arbeitsplätze für qualifizierte ArbeiterInnen, führt jedoch hunderttausende GoldwäscherInnen aus dem informellen Sektor in die Erwerbslosigkeit.
Die ambitionierten Projekte stellen eine beachtliche Herausforderung für ein Land dar, dessen Energieversorgung und Zugang zu Trinkwasser begrenzt sind. Ein neuer Report der Europäischen Kommission weist auf die zunehmende Belastung von natürlichen Ressourcen hin. Wasser, Boden, Biomasse und Biodiversität leiden unter dem schnellen Bevölkerungswachstum von 3% pro Jahr. Das meiste Wasser lagert in Oberflächendepots und Stauseen, deren Verdunstung zu einem großen Verlust von kostbarem Wasser führt. Für 2009 wird ein fünf- bis sechsprozentiges Wachstum des BIP erwartet, doch der Bedarf an Strom wächst mit elf Prozent sogar schneller, sagt Salif Kaboré, der Generaldirektor von Sonabel, der nationalen Elektrizitätsgesellschaft für Burkina Faso. Die Firma muss die Vorgaben der UN-Millenniumsziele im Auge behalten, bis 2015 60% der Bevölkerung mit Strom zu versorgen, im Gegensatz zu den heutigen 23%. Eine schwierige Aufgabe, wie die chronischen Stromausfälle während der Trockenzeit zeigen. Doch Ende 2009 sollen spektakuläre Veränderungen stattfinden: die Fertigstellung der 338 Kilometer langen Stromleitung zwischen Bobo-Dioulasso – bereits an das Stromnetz von Côte d‘ Ivoire angeschlossen – mit Ouagadougou. Dem Verteilernetz der Hauptstadt sollen 100 MW zusätzlich eingespeist werden. Dank ihrer zentralen Position in der Region sind die Burkinabé, die BewohnerInnen Burkina Fasos, zuversichtlich, dass auch andere Projekte Wirklichkeit werden, wie die Stromverbindung mit Ghana und die zwischen Nigeria, Niger, Burkina und Benin.

Doch Salif Kaboré kann keine Lösung für die Bergwerksbetriebe herbeizaubern. Für Sonabel ist es ein unerschwinglicher Luxus, die abgelegenen Gebiete der Minen mit Elektrizität zu versorgen. Die Unternehmen haben keine andere Wahl, als ihre eigene Stromversorgung aufzubauen. Die kanadische Bergbaugesellschaft für Westafrika, Semafo, setzt auf Innovation. Im Februar hat sie mit der Regierung einen Vertrag unterschrieben, ein 20-MW-Solarenergiekraftwerk neben ihrer Mine in Mana zu errichten. Kosten: 80 Millionen Euro. 2011 könnte das Kraftwerk in Betrieb genommen werden, meint Elie Justin Ouédraogo, der nationale Geschäftsführer von Semafo.
Burkinas begrenzte Ressourcen an fossilen Rohstoffen und Wasser verlangen nach neuen technologischen Lösungen. Burkina hat eines der aggressivsten Agrotreibstoff-Programme Westafrikas initiiert. Ein Dorfvorsteher, traditionell als Larle Naba bezeichnet, hat in Zusammenarbeit mit der Firma „Deutsche Biodiesel“ 62.000 Bäuerinnen und Bauern überzeugen können, Jatropha für die Agrotreibstofferzeugung anzubauen. Ein Testkraftwerk mit Jatrophaöl soll dieses Jahr in Betrieb genommen werden. Im April 2009 wurden bereits 67.000 Hektar mit der auch Purgiernuss genannten Pflanze in Burkina Faso bewirtschaftet. Anfangs nahmen manche Bauern die Idee nur widerwillig auf. Für sie war Jathropa nur eine giftige Pflanze, die oft als Hecke gegen Tiere verwendet wurde. Doch der Larle Naba pries die Vorzüge von Jatropha an: Seife und Medizin könnten aus der Pflanze gewonnen werden. Weiters versucht das nationale Institut für Umwelt und Agrarforschung, INERA, gerade Jatropha als Düngemittel einzusetzen. Der Larle Naba ist sich bewusst, dass der Anbau von Agrotreibstoffen Ackerland in Beschlag nimmt, das für die Lebensmittelgewinnung benötigt wird. Eine berechtigte Kritik in einem Land, in dem die Nahrungssicherung fragil ist. Doch anders als in Indien, wo Jatropha in Monokulturen wächst, bewirbt er es als zusätzliche Feldfrucht und nicht als Alternative. Bis 2011 soll die Firma des Larle Naba, „Belwet Biocarburants“, 9.125 Tonnen Jatropha ernten. Ziel ist die Produktion von 50.000 Tonnen Öl pro Jahr auf einer Anbaufläche von 200.000 Hektar.

Eine weitere Pionierrolle nimmt Burkina in der Produktion von genetisch manipulierter Baumwolle ein. Dieses Jahr wurden 60% der Baumwollfelder, 450.000 Hektar, mit genetisch manipulierten Arten bepflanzt. Die Baumwollproduktion gibt drei Millionen Menschen im Land Arbeit. Baumwolle macht 60% aller Exporte aus. Das Thema hat eine Debatte ins Laufen gebracht. Sofitex, die größte Baumwollproduktionsfirma, behauptet, dass die Erträge durch genetisch manipulierte Pflanzen um 50% höher seien als die von herkömmlichen Sorten. Die Bauernschaft der Gewerkschaft für Agrar- und Viehwirtschaft in Houndé – im Südwesten des Landes – befürchtet, dass die Abhängigkeit von Firmen wie Monsanto und Syngenta, die genmanipulierte Samen und Pestizide vertreiben, sie in die Armut treiben wird. Doch Sofitex kontert, dass ausschließlich Samen „Made in Burkina Faso“ und keine Importware Verwendung findet. Das Patent, das hinter den von Sofitex verkauften Samen steht, gehört jedoch Monsanto. Bei oberflächlicher Betrachtung der Verkaufsstrategien in Burkina Faso mag der Eindruck von Unabhängigkeit entstehen. Wie will Sofitex jedoch tatsächlich eine Abhängigkeit der Bauern von den transnationalen Unternehmen verhindern?
Professor Jean-Didier Zongo, ein Genetiker der Universität Ouagadougou, beunruhigen weitere Aspekte der Baumwolldebatte – „genetische Verschmutzung“. Genmanipulierte Baumwolle kann örtliche Sorten mit ihren Genen „verunreinigen“ und so die Biodiversität verringern.

Das World Food Program hat Anfang des Jahres Essensgutscheine an die hungerleidende Bevölkerung Ouagadougous und Bobo-Dioulassos verteilt. Mais, Öl, Salz, Zucker und Seife können damit erworben werden. Damit soll die Wiederholung der Hungerdemonstrationen vom Februar 2008 vermieden werden. Ein Paradox: Denn für die Agrarwirtschaft im Land war dieses Jahr ein gutes. Eine Rekordernte von 4,21 Millionen Tonnen Getreide und ein Überschuss von 700.000 Tonnen wurden registriert. Trotzdem blieben die Nahrungsmittelpreise hoch. Spekulationen von Händlern und Einkäufern aus Nachbarländern sind die häufigste Erklärung. Fast jedes Jahr produziert das Land einen Getreide-Überschuss, der in Folge gelagert oder exportiert wird, jedoch nicht in den nationalen Markt fließt und so die Hilfe des World Food Program nötig macht.

Der französische Journalist François Misser beschäftigt sich seit zwei Jahrzehnten mit Afrika und den Beziehungen EU-Afrika. Er ist Mitarbeiter der Berliner taz, von BBC-Afrique und anderen Medien sowie Autor mehrerer Bücher.

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