Grenzen überschreiten

Von Lydia Matzka · · 2001/04

Forumtheater ist beliebt. Altmeister Augusto Boal besucht zum vierten Mal seine Fangemeinde in Österreich. Dem Reiz des Forumtheaters auf der Spur war

Er war ihr schon am Bahnsteig unangenehm aufgefallen. Und jetzt setzt er sich noch genau ihr gegenüber und starrt sie unentwegt an. Am liebsten würde sie aufspringen und sich woanders hinsetzen, jedoch wie sieht das aus? Er redet auf sie ein. Das Mädchen ist sichtlich irritiert, antwortet jedoch brav. Der Mann kommt näher, will ihre Beine berühren. ”Halt! Stopp! Was glaubst du eigentlich wer du bist, du alter Spanner!“, Maria hat die Szene mit Wut im Bauch beobachtet. Wie oft hatte sie das schon persönlich erlebt. Sie löst die Schauspielerin ab und schreit dem ”Anmacher“ wütend ins Gesicht.

Wir sind mitten in einem Forumtheaterstück. Noch viele Frauen werden die Gelegenheit am Schopfe packen, das Wort ergreifen und ihre aufgestauten Emotionen loswerden. Forumtheater wirkt. Egal, wie viele Menschen anwesend sind, bei jeder Aufführung beteiligt sich das Publikum. Forumtheater lässt niemanden kalt. Erzählt werden lebensnahe Konflikt- und Leidensgeschichten, die es den ZuschauerInnen ermöglichen, sich in die Betroffenen hineinzuversetzen.

Das Publikum überschreitet die Grenzen eines Theaterstücks. Die Menschen werden vom passivem Zuschauer zum Handelnden, der aktiv in die Szene eingreift.

Warum aber solidarisieren sich die ZuseherInnen meist mit den Opfern? ”Es ist die Leidenschaft, die persönliche individuelle Leidenserfahrung, die es ermöglicht, sich einzufühlen und der große Wunsch, diese Leidenserfahrung zu beenden und in Wohlergehen umzugestalten“, sagt Lisa Kolb, Obfrau der ARGE Forumtheater Österreich.

Forumtheater ist eine Methode des ”Theater der Unterdrückten“, das vom Brasilianer Augusto Boal entwickelt wurde. Boal arbeitete viel in den Straßen und Slums Lateinamerikas. Seine Stücke beziehen sich hauptsächlich auf die Unterdrückung während der Militärdiktatur. Er musste 1971 seine Heimat verlassen, setzte aber seine Arbeit in Argentinien und Peru fort. ”Schluss mit einem Theater, das die Realität nur interpretiert. Es ist an der Zeit, sie zu verändern“, sagte Boal. 1976 war er erneut zur Flucht gezwungen und brachte so das Forumtheater nach Europa. Erst 1986 konnte Boal seine Arbeit in Brasilien fortsetzen.

In Österreich gibt es zwölf kontinuierlich arbeitende Gruppen, die sich in der ARGE Forumtheater zusammengeschlossen haben. Neben kleineren Bühnenauftritten passiert Forumtheater eher spontan und dort, wo Konflikte vorhanden sind. Die Gruppen treten vorwiegend bei diversen Tagungen, Veranstaltungen, in Betrieben, in Schulen und im öffentlichen Raum auf. Wie zum Beispiel im Hof des Gemeindebaus im 15.Wiener Bezirk. Die Gruppe ”VHS 15.Bezirk“ macht das Zusammenleben zwischen WienerInnen und Randgruppen wie alten Menschen oder AusländerInnen zum Thema. Die Gruppe ”Sehnsucht“ wiederum hat sich auf Suchtprävention spezialisiert. Sie tritt hauptsächlich vor SchülerInnen auf.

Das Interesse am Forumtheater nimmt zu. Inzwischen haben sich in Österreich vier wichtige Zentren herauskristallisiert: Graz mit der Gruppe ”InterACT“ unter der Leitung von Michael Wrentschur, Innsbruck (”spectACT“, Irmgard Biebermann), Wiener Neustadt (”SOG. THEATER“, Margarete Meixner) und Wien, wo Lisa Kolb für Interessierte die Ansprechperson ist.

Vom 6. bis 21. April ist Augusto Boal zu Gast in Österreich: vom 6. bis 10. April in Graz (Infos bei Michael Wrentschur, Tel. 0316/380-2547), vom 10. bis 13. April in Wien (Infos bei Lisa Kolb, Tel. 01/524 45 01), vom 16. bis 18. April in Innsbruck (Infos bei Irmgard Biebermann, Tel. 0512/57 93 61) und vom 19. bis 21. April in Wr. Neustadt (Infos bei Margarete Meixner, Tel. 02622/248 32-14).

Am AGB (Ausbildungsinstitut für Gruppenpädagogik und kreative Bildungsarbeit) wird unter der Leitung von Lisa Kolb von November 2001 bis März 2003 ein Lehrgang für Theaterpädagogik abgehalten, der auch die Methode des Forumtheaters behandelt. Dieser zweijährige Lehrgang findet erstmals in Österreich statt. Der Lehrgang besteht aus 23 Seminartagen und kostet 30.000 Schilling.

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