Die Abschaffung von Kinderarbeit bringt mittelfristig mehr als sie kostet, besagt eine neue Studie der ILO. Grund für Optimismus im Zeitalter der Herrschaft des ökonomischen Denkens?
Kinderarbeit ist grausam. Weltweit gibt es 246 Millionen KinderarbeiterInnen, schätzt die Internationale Arbeitsorganisation ILO, deren Konventionen 138 und 182 Kinderarbeit verbieten. 171 Millionen Kinder und Jugendliche verrichten „gefährliche Arbeit“, die ihnen körperlichen, geistigen oder psychischen Schaden zufügt. Für acht Millionen Kinder trifft der Begriff „Arbeit“ nicht mehr zu, sie sind Opfer krimineller Machenschaften – als SklavInnen, Prostituierte, DrogendealerInnen.
Doch die Grausamkeit der gestohlenen Kindheit rechnet sich nicht einmal. Kürzlich hat die ILO die erste Studie über Kosten und Nutzen der Beseitigung der Kinderarbeit weltweit vorgelegt. Und kommt zu dem Schluss: Längerfristig übersteigt der Nutzen der Abschaffung die Einkommseinbußen dadurch fast um das Siebenfache.
Die Haushalte hätten zwar unmittelbar Verluste zu tragen, für die sie finanziell entschädigt werden müssen. Doch würden die Kinder eine Ausbildung genießen, stünden Lohnverbesserungen und Produktivitätsgewinne ins Haus. Jedes Schuljahr bis zum Alter von 14 Jahren steigert das zukünftige Einkommen um durchschnittlich elf Prozent. Darüberhinaus sinken auch noch die Kosten für die Gesundheit der Kinder: unter dem Strich also ein erheblicher Gewinn für Entwicklungs- und Schwellenländer.
Der Kampf gegen Kinderarbeit müsse Hand in Hand gehen mit dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Jährlich 95 Milliarden Dollar kostet laut ILO ein derartiges Programm – rund 20 Prozent der Militärausgaben der betroffenen Länder.
Selbst wenn dann nicht alle Kinder einen adäquaten Job finden, übersteigt etwa ab dem Jahr 2020 der ökonomische Nutzen die Kosten jährlich um rund 60 Milliarden Dollar. Zweifellos eine gute Wertanlage.
Bewirkt also das ökonomische Argument, was alle Menschenrechtsappelle nicht vermochten? Schließlich, sagt der Volksmund, leben wir im Zeitalter des alles überlagernden ökonomischen Denkens.
Man darf pessimistisch sein. Erstens handelt es sich um ein mittelfristiges Projekt, das jenseits der Halbwertszeit politischer Entscheidungen liegt.
Und überdies hat das herrschende Paradigma des Neoliberalismus (etwa in einem Kommentar der renommierten Neuen Zürcher Zeitung zum ILO-Vorschlag) für alle Problemlagen ein einziges Allheilmittel: den freien Handel. Er soll die Menschheit reicher und dadurch quasi automatisch die Welt besser machen. Wenn da nicht die Sache mit der Verteilung des Wohlstandsgewinnes wäre!
Ökonomische Globalisierung ohne politisches Reglement in Richtung Verteilungsgerechtigkeit führt zu einer Verarmung breiter Bevölkerungsschichten. Und Armut ist in Kombination mit Marginalisierung der wichtigste Faktor für das Phänomen Kinderarbeit.
Wer in Sachen Kinderarbeit auf den freien Handel setzt, kann lange warten.
Und die BefürworterInnen einer schrankenlosen Handelsliberalisierung können das im wahrsten Sinne des Wortes. Sind sie doch erwiesenermaßen dessen NutznießerInnen.