Mit 14.000 „Ökodörfern“ will Senegal Desertifikation und Landflucht zurückdrängen. Funktionieren kann das nur, wenn sich die gesamte Infrastruktur im ländlichen Bereich ändert.
Das Dorf Mbackombel kämpft. Die Waffen der Dorfbewohnerinnen und -bewohner sind Solar-Energie, Mini-Biogasanlagen und Wiederaufforstung. Mbackombel liegt etwa 80 Kilometer außerhalb der senegalesischen Hauptstadt Dakar und ist ein so genanntes Ökodorf. Für den Kampf, den die Menschen in Mbackombel führen, benötigen sie jede Hilfestellung, die das Dorf bekommen kann.
Weite Strecken des zentralen und nördlichen Senegal verwandeln sich mehr und mehr in eine Wüste. Große Baobab-Bäume sind auf den ersten Blick alles, was von der vielfältigen Vegetation geblieben ist. Am Rande kleiner Dörfer, bestehend aus mit Stroh gedeckten Hütten, liegen staubige Äcker. Auf diesen wächst zu wenig, um die Menschen zu ernähren.
Jedes Jahr ziehen 14 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner vom Land in die Städte. Auch in Senegal flüchten Landbewohnerinnen und -bewohner vor Armut, ökologischer Zerstörung und Wüstenbildung. Um Alternativen zu schaffen, beschloss die Regierung Senegals 2008, auf „Ökodörfer“ zu setzen. Angeregt durch 45 bestehende Ökodörfer im Land sollen weitere 14.000 Dörfer sukzessive in „Ökodörfer“ umgewandelt werden. Als Partner ins Boot holte sich die Regierung dabei das Global Ecovillage Network (GEN), eine weltweit vernetzte Graswurzelinitiative.
GEN wurde im Jahr 1995 gegründet. Davor bestehende „Ökodörfer“ in Europa, den USA und Asien schlossen sich zusammen und bauten das Netzwerk auf. Anfangs waren es vor allem Aussteigerprojekte, die nach alternativen Lebensstilen suchten. Angesichts globaler Probleme wie Klimawandel, Wüstenbildung, Landflucht und Hunger bekam das Netzwerk eine neue Rolle im Wissenstransfer mit ärmeren Ländern der Erde.
Die Definition, was „Ökodörfer“ sind, ist sehr breit: „Ökodörfer sind gewachsene Dorfgemeinschaften oder Neugründungen, die durch bewusste Mitwirkung all ihrer Bewohner und Bewohnerinnen gestaltet werden“, führt Ousmane Pame, Präsident von GEN-Afrika, aus. „Ein Ökodorf trägt dazu bei, die umliegende Natur nicht nur zu schützen, sondern sogar zu regenerieren, und es verbessert gleichzeitig die Lebensqualität der Menschen“, so Pame weiter. Nachsatz: „Ökologie, Wirtschaft, Soziales und Kultur sind zu einem ganzheitlichen Ansatz integriert.“
Siegel oder Label gibt es für „Ökodörfer“ nicht. Die Auflagen sind bewusst nicht scharf, da sich die Bewegung als eine offene, breite versteht.
Es gibt keine Vergünstigungen oder Vorteile allein durch die Bezeichnung „Ökodorf“. Als Graswurzel- und Selbsthilfenetzwerk bietet GEN selbst keine Zuschüsse, aber hilft bei Förderanträgen und bietet Ausbildungslehrgänge an.
Wie viele „Ökodörfer“ es weltweit gibt, lässt sich nicht genau sagen. Die Zahl schwankt zwischen 700 und 10.000 – ganz davon abhängig, wie weit eine Initiative in ihrem Übergang zu einem Ökodorf schon ist.
In Afrika existieren „Ökodörfer“ von Ägypten bis Südafrika, von Togo bis Kenia. Senegal ist bis jetzt das erste Beispiel, wo eine Regierung diesen Ansatz fördert. Üblicherweise entstehen die Initiativen meist durch den Zusammenschluss von Menschen, die ihre Situation aus eigener Kraft verändern wollen.
Ökodörfern in Europa, wie z.B. Siebenlinden in Sachsen-Anhalt in Deutschland, gelingt es, den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Aber lässt sich das Konzept überhaupt auf Afrika übertragen? Stadt- und Regionalplaner Steffen Emrich ist seit 15 Jahren für verschiedene Entwicklungszusammenarbeits-Organisationen in Afrika tätig und berät ländliche Initiativen in der Region, darunter auch „Ökodörfer“. Er kann der Idee viel abgewinnen, warnt aber auch vor zu hohen Erwartungen: „Natürlich ist ein neues Selbstverständnis, z.B. für den Anbau ortstypischer Gemüsesorten, zu begrüßen“, sagt Emrich. Das fördere die Unabhängigkeit von markt-konformen Anbauformen – Stichwort Cash Crops. Der NGO-Insider findet zudem den ganzheitlichen Ansatz und die Miteinbeziehung traditionellen Wissens sinnvoll.
Emrich glaubt jedoch nicht an eine Universallösung gegen Landflucht: „Die Menschen haben sich nicht ausgesucht, wo sie zur Welt gekommen sind. Wer einen höheren Bildungsstand oder mehr Wohlstand sucht, wird trotz allem selten auf dem Land bleiben.“ Es müsse im ländlichen Raum eine Infrastruktur aufgebaut werden, die ein Leben hier möglich macht – und das betreffe genauso Mobilität, das Gesundheitswesen, Kultur und Bildung, so Emrich. Ohne eine Änderung im politischen Bewusstsein könnten sich auch die schönsten Ökoprojekte nicht nachhaltig halten. Ansonsten könnte ein Vorhaben wie das von Senegal, 14.000 „Ökodörfer“ zu etablieren, „zu einer Marketingveranstaltung für die Regierung verkommen“.
Mbackombel soll als Pilotprojekt Vorbild für zukünftige „Ökodörfer“ sein. Bei einem Lokalaugenschein Mitte 2013 zeigen sich VertreterInnen der senegalesischen Regierung sowie Repräsentanten von GEN mit der Entwicklung zufrieden. Junge Männer erklärten den Besucherinnen und Besuchern die Technologie ihres dezentralen Solarsystems. Straßenbeleuchtungen und Licht in den Wohnhütten verbinden traditionelle Bauweise mit einer innovativen, angepassten Technologie. Die Dorfbewohnerinnen und -bewohner zahlen einen kleinen Beitrag für ihre Beleuchtung und ermöglichen so gleichzeitig Ausbildung und Arbeitsplätze für die Dorfjugend.
Die Frauen der Gemeinde demonstrierten die Vorteile ihrer neuen, sparsameren Kochtechniken: eine Kombination von raucharmen Lehmöfen, verschiedenen Solarkochern und Mini-Biogasanlagen, die mit dem Mist ihrer eigenen Tiere betrieben werden. Die Dorf-Älteste Coumba Khebbe Tiam kann sich noch an dichte Bewaldung erinnern, an saubere Flüsse und Löwen. „Die neue Technik zeigt den jungen Leuten wieder Respekt vor der Natur“, sagt sie.
Bei der Entwicklung der Lehmöfen half sie mit den anderen Dorffrauen selbst mit. Die Lehmöfen werden mittlerweile auch in Mbackombel gebaut und vertrieben: ein ökonomisches Standbein für die Gemeinde.
Und: Junge Männer, die bereits in die Städte abwanderten, kehrten wieder nach Mbackombel zurück. Alouise Thiaw ist einer von ihnen. In Dakar wurde er Maurer, ein Beruf, der in seinem Heimatdorf jetzt gebraucht wird. „Ich verdiene gut“, berichtet er stolz.
Wiederaufforstung, klimagerechte Anbauformen in Gemeindegärten, biologisches Bauen und Rückzüchtungen lokaler Hühnersorten gehören zu den weiteren Modellprojekten in Mbackombel. Der Computerraum der Schule ermöglicht Kindern wie Erwachsenen via Internet den Anschluss an die digitale Welt.
Bevor ein Dorf in das Ökodorf-Programm Senegals aufgenommen wird, müssen die verschiedenen Bevölkerungsgruppen – die Ältesten, Männer, Frauen und Jugendliche – den Bedingungen zustimmen: Die Gemeinde stellt einen Teil des Gemeinschaftslandes für die Wiederaufforstung zur Verfügung. Sie macht die neue ökologische Infrastruktur auch umliegenden Dörfern zugänglich. Von allen Einnahmen der neuen Einrichtungen und Geschäftszweige, wie etwa der Lehmofen-Produktion in Mbackombel, wird ein bestimmter Prozentsatz zurückgelegt – für Krisenzeiten, aber auch als Initialfinanzierung für weitere Projekte.
Für GEN-Afrika-Chef Pame kommt die Initiative der Regierung zur rechten Zeit: „Die traditionellen Gemeingüter in Senegal verschwinden zunehmend“, betont er. „Land und Rechte an natürlichen Ressourcen werden an Investoren verkauft. Die alte Tradition des gemeinschaftlichen Wirtschaftens weicht der Privatisierung.“ Gewinner seien hier internationale Konzerne und Großgrundbesitzer. Kosha Joubert, Präsidentin von GEN-International ergänzt: „In Dörfern wie Mbackombel finden ländliche und kosmopolitische, traditionelle und innovative, Graswurzel- und Regierungsansätze zusammen.“
Pame und Joubert sind zuversichtlich, dass die „Ökodörfer“-Initiative in Senegal erfolgreich sein kann: „Der Staat besitzt gute Voraussetzungen für eine landesweite Entwicklung von Ökodörfern“, so Joubert. „Der Geist von Gemeinschaft, von gemeinsamem Landbesitz, der Vorrang des Gemeinwohls vor Einzelinteressen sowie die Werte von Gastfreundschaft und Großzügigkeit sind nach wie vor in den Menschen lebendig.“
Leila Dregger ist Journalistin und Agrar-Ingenieurin.
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