Die Demokratische Republik Kongo tut sich schwer damit, Wirtschaftsstrukturen zu überwinden, die während des Krieges als „illegale Ausplünderung“ angeprangert wurden.
Wenn der 17-jährige Patrice von seinem Leben in den Bergwerken erzählt, wird es still im Saal. Schwere Arbeitsbedingungen, eine chaotische Sicherheitslage, Wegelagerei durch Bewaffnete – der drahtige und forsche Schüler aus der Stadt Shabunda im Osten der Demokratischen Republik Kongo, der in seiner freien Zeit nach Coltan gräbt, macht in knappen Worten deutlich, unter welchen Umständen sich die Mineralienförderung in Kongos Kriegsgebieten abspielt (siehe Kasten). Spätestens jetzt wird den TeilnehmerInnen des OECD-Workshops zum informellen Bergbau in Kongos Kivu-Provinzen klar, dass zwischen dem offiziellen Friedensprozess in der Hauptstadt Kinshasa und der Realität im ostkongolesischen Kriegsgebiet Welten liegen.
Während des Krieges im Kongo von 1998 bis 2003, dessen direkte und indirekte Folgen nach Schätzungen des US-Hilfswerks „International Rescue Committee“ (IRC) über drei Millionen Menschen in Ostkongo das Leben kosteten, finanzierten sich alle Mächtigen des Landes – ob die anerkannte Regierung in Kinshasa, die Rebellen im Osten und Norden oder die informellen Milizen in den umkämpften Gebieten – durch den Export von Mineralien. Aus den Diamantenminen von Kasai und den Kupfer- und Kobaltvorkommen von Katanga bedienten sich die Regierungen der Präsidenten Laurent und Joseph Kabila. Um die im informellen Tagebau ausgebeuteten Coltanvorkommen der östlichen Kivu-Provinzen, aus denen das in der Mobilfunk- und Computertechnologie nachgefragte Tantal gewonnen wird, tobte der Kampf zwischen Rebellen der RCD (Kongolesische Vereinigung für Demokratie) und Ruandas Armee auf der einen Seite und ihren lokalen bewaffneten Gegnern auf der anderen, darunter ruandische Hutu-Gruppen und kongolesische Mayi-Mayi-Milizen. Alle Gruppen nutzten ihre ausländischen Alliierten – vor allem Simbabwe auf Regierungsseite und Ruanda auf Rebellenseite – als Rohstoff-Abnehmer und Lieferanten militärischen Schutzes.
Vor allem der oft brutale Krieg um Coltan sorgte ab 2001 für einen internationalen Aufschrei gegen die „illegale Ausplünderung“ der natürlichen Reichtümer des Kongo. Eine UN-Kommission stellte im Herbst 2002 fest, „kriminelle Netzwerke“ plünderten das Land systematisch aus. Internationale Gruppen forderten daraufhin sogar einen Boykott von Coltan aus Ostkongo, obwohl dies die einzige Einnahmequelle großer Bevölkerungsteile in dem am schlimmsten vom Krieg getroffenen Landesteil war.
Von dieser Debatte ist wenig geblieben. Die UN-Kommission wurde aufgelöst, ihre Berichte blieben folgenlos. Und Kongos neue Allparteienregierung, die im Rahmen des Friedensprozesses im Sommer 2003 ihr Amt aufnahm und das Land bis Sommer 2005 zu freien Wahlen führen soll, ist an einer Veränderung der Ausplünderungsstrukturen wenig interessiert: Sie setzt sich zusammen aus VertreterInnen all jener Gruppen, die durch die „illegale Ausplünderung“ überhaupt erst mächtig wurden.
Offiziell arbeiten Kongos neue Institutionen an der Überwindung von Illegalität. Modell ist die internationale Diamantenindustrie: Nach weltweiter Empörung über die Finanzierung afrikanischer Kriege durch den Export von Diamanten aus Krisengebieten setzte sie Anfang 2003 das sogenannte „Kimberley-Prozess-Zertifikationssystem“ zur Kontrolle des Diamantenhandels in Kraft. Dieser soll sich in Zukunft auf Steine beschränken, die mit staatlichen Gütesiegeln ausgestattet und von gesetzestreuen Händlern in Umlauf gebracht werden.
Kongos Bergbauminister Eugène Diomi Ndongala will dieses Prinzip nun auch auf den Coltanhandel anwenden. „Wenn ein Händler die Zulassung beantragt, muss er eine rechtmäßige Firma gründen und die Steuergesetze einhalten“, erklärt der Minister. „Dann gebe ich ihm die Handelserlaubnis.“
So einfach wird in Kongos Friedensprozess aus „illegaler Ausplünderung“ ein „legales Geschäft“. Denn selbstverständlich verbessern sich die Bedingungen in den Minen und die Geschäftspraktiken von Händlern und Militärs nicht allein dadurch, dass der Unternehmer Steuern zahlt. Im Gegenteil: Die den Schürfern gezahlten Preise dürften weiter sinken, weil die Händler ihre Profitmargen halten wollen. Dies belegen erste Erfahrungen aus Kongos Diamantenfördergebieten nahe der Grenze zu Angola.
Die beginnenden Versuche des Staates, den Coltanhandel in Ostkongo zu regulieren, laufen in eine ähnliche Richtung: „Die Behörden verlangen 3.000 US-Dollar für die Registrierung als Händler“, erregt sich Jean Mudereza vom Unternehmerverband der Provinz Süd-Kivu. „So treiben sie die Leute regelrecht in die Illegalität und in die Nachbarländer, wo die Handelsbedingungen besser sind.“
Er spricht damit ein Problem an, vor dem KritikerInnen der internationalen Kampagnen gegen „illegale Ausplünderung“ schon während des Krieges gewarnt haben. Wird Legalisierung allein daran festgemacht, dass der Handel nicht mehr über Nachbarländer läuft – wie zum Beispiel Coltan über Ruanda – sondern von Kongolesen selbst getätigt wird, ist das noch keine Änderung zum Besseren. Denn Ausbeutung ist keine Frage der Nationalität, sondern der Fairness von Geschäftsbedingungen.
Allmählich merken das auch jene KongolesInnen, die während des Krieges vor allem gegen „die Ruander“ wetterten. Auf einer Konferenz des wichtigsten pankongolesischen Netzwerks von Initiativen zur Beobachtung des Rohstoffhandels CENADEP (Nationales Zentrum zur Unterstützung der Entwicklung und der Bevölkerungsbeteiligung) in Kinshasa Ende Juli dieses Jahres wurde festgestellt, dass „die Ausbeutung weitergeht“. Das Netzwerk will nun sein Monitoring in Zusammenarbeit mit der britischen Organisation „Global Witness“ verstärken. Eine Monatszeitung, „La Voix du Paysan Congolais“ (Stimme des kongolesischen Bauern), soll die gesammelten Informationen öffentlich machen.
Zum gleichen Zeitpunkt diskutierte die neue Zentralafrika-Initiative der OECD auf einem Workshop in Kinshasa Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Wirtschaftszusammenarbeit und der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Schürfern im informellen Tagebau des Kivu, um den „Übergang von einer Kriegs- zu einer Friedenswirtschaft“ zu fördern.
Dass in Ostkongo weiterhin unzählige Milizen und Warlords ihr Unwesen treiben, unterstützt von Angehörigen der Allparteienregierung in Kinshasa, erschwert jedoch konkrete Fortschritte. In der Region um die Stadt Walikale, ein Zentrum des Coltanhandels im Regenwaldgebiet der Provinz Nord-Kivu, hat die Entdeckung neuer Vorkommen des zinnhaltigen Erzes Kassiterit seit einigen Monaten zu einem Aufschwung im Bergbau geführt. Parallel dazu kommt es zu intensiven Kämpfen zwischen Truppen, die offiziell alle der neuen Regierungsarmee des Kongo angehören sollen. Die Kriegswirtschaft des Kongo hält sich prächtig.
Dominic Johnson ist Afrika-Redakteur der Berliner Tageszeitung taz und war zuletzt im Juli in der DR Kongo.