Ghanas vierte Republik

Von Kurt Wachter · · 2004/12

Der westafrikanische Staat, seit langem „Musterschüler“ von Weltbank und Internationalem Währungsfonds, profiliert sich jetzt auch als Vorzeigeland in Sachen Demokratie.

In Ghana herrscht Wahlkampf. Wahlwerbende schwärmen in Geländeautos in die entlegensten Dörfer aus und bringen bunte T-Shirts, Mützen, Kerosin zum Kochen und Fahrräder aus chinesischer Produktion mit. Neben hochgesteckten Versprechen sollen die Geschenke arme LandbewohnerInnen daran erinnern, neben welches Parteiensymbol sie am 7. Dezember ihr Kreuz setzen sollen. Wohltuende demokratische Normalität angesichts einer von langen Phasen autoritärer Militärherrschaft geprägten Geschichte.
Der Sieg der Opposition vor vier Jahren bescherte Ghana den ersten durch Wahlen herbei geführten Wechsel einer gewählten Regierung, seitdem es 1957 als erstes afrikanisches Land südlich der Sahara die Unabhängigkeit erlangte. Mit relativer Mehrheit löste die konservative NPP (New Patriotic Party), geführt von John Agyekum Kufuor, den regierenden NDC (National Democratic Congress) ab, die Partei des bis dahin amtierenden Präsidenten Jerry J. Rawlings. Gestützt auf die Verfassung, die nur eine Wiederwahl erlaubt, endete damit die 21 Jahre währende Ära des charismatischen Ex-Putschisten Rawlings.
Seither wird der Regierung unter Präsident Kufuor vor allem internationale Anerkennung zu Teil. Was die Wirtschaft angeht, wurde Ghanas Ruf als „Musterschüler“ von Weltbank und Internationalem Währungsfonds schon während Rawlings’ Militärregimes begründet, als sich das Land früher als andere Strukturanpassungungsprogrammen (SAPs) unterzog. Nun gilt Ghana auch als Vorzeigeland in Sachen Demokratie und Menschenrechte. Allgemein wird erwartet, dass die bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen frei und fair verlaufen werden. Streitthemen im Wahlkampf sind der neoliberale Wirtschaftskurs der Regierung und der Umgang mit den Menschenrechtsverletzungen früherer Regime.

Der Ökonom John A. Kufuor, wegen seiner Körpergröße der „sanfte Riese“ genannt, propagiert Kontinuität. Er will den privaten Sektor als Motor für das Wirtschaftswachstum ausbauen und spricht von dafür notwendigen „Opfern“. Gegen ihn schickt der NDC wie schon bei den letzten Wahlen Rawlings’ ehemaligen Vize-Präsidenten, John Atta Mills, ins Rennen. Er hält der „Demokratie der Grundbesitzer“, die nur den Privilegierten nütze, ein sozialdemokratisches Programm entgegen, das der armen Landbevölkerung zugute kommen soll.
Die Deregulierungspolitik der NPP umfasste die Streichung der staatlichen Subvention bei Benzin, die Aufhebung von Importbeschränkungen, Steuergeschenke an Investoren und eine frei konvertierbare Währung. Zu den makroökonomischen Erfolgen zählt eine Senkung der Inflationsrate von über 30 Prozent auf weniger als die Hälfte, ohne dass das jährliche Wachstum von meist über vier Prozent darunter litt, und eine Stabilisierung der Landeswährung Cedi.
Was viele GhanaerInnen in ihrem Stolz erschüttert, ist aber die Art und Weise, wie die Regierung Kufuor das Wirtschaftswachstum erzielte. Ghana suchte um die Aufnahme in das HIPC-Programm für hochverschuldete arme Entwicklungsländer an, was ihm eine Schuldenreduktion von 3,5 Milliarden US-Dollar einbrachte. War Ghana 1957 wirtschaftlich noch vergleichbar mit Südkorea, befindet man sich jetzt mit Ländern wie Tschad oder Niger im Wettstreit um die Gunst der internationalen Gebergemeinschaft. Im April dieses Jahres stimmte die Regierung überdies zu, dass die zu 17% in staatlichem Besitz befindliche Goldmine Ashanti Goldfields zum Preis von 1,4 Milliarden Dollar von dem südafrikanischen Goldproduzenten AngloGold übernommen wird. Die Opposition übte heftige Kritik an dem Deal und versuchte, ihn mit einer Verfassungsklage zu verhindern. Gold macht zusammen mit Kakao, den beiden wichtigsten Rohstoffen, 70 Prozent des Exporterlöse aus.

Die Lebensbedingungen für die Mehrzahl der Menschen in Ghana haben sich aber trotz aller Anstrengungen im Vergleich zum Ende der Rawlings-Ära noch nicht entscheidend verbessert. Tanko Bitugu ist ein umtriebiger Geschäftsmann im Hausa-Viertel Tudu, unweit des riesigen Makola-Marktes im Herzen von Accra. Er schenkt der positiven Bilanz der Regierung keinen Glauben: „Uns geht es schlechter als vor vier Jahren! Das Leben der einfachen Leute ist jämmerlich. Im Jahr 2000 kauften wir eine Gallone Benzin für 6.400 Cedis, in nur zwei Jahren erhöhte die Regierung den Preis auf 20.000 Cedis (Preis pro Liter rund 15 bzw. 58 Cent; Anm. d. Red.). Wenn du den Treibstoff verteuerst, verteuert sich auch alles andere, von den Lebensmitteln bis zu den Schuluniformen für die Kinder.“ Auch die günstigen Preise für Elektrizität und Wasser sind Vergangenheit.
Wesentliche innenpolitische Debatten entzünden sich weiters an der Bewertung der zwei Jahrzehnte währenden Dominanz von Jerry J. Rawlings. Während sich in der Bevölkerung ein verklärender Rawlings-Mythos breit macht, versuchen sich sowohl NPP als auch der von Rawlings gegründete NDC von der nationalen Überfigur zu emanzipieren. Ein kurzer Blick zurück mag die aktuelle Brisanz erhellen.
Anfang der 1980er Jahre putschte sich in mehreren afrikanischen Ländern eine neue, hoffnungsvolle Generation linkspopulistischer Militärs an die Macht – Thomas Sankara in Burkina Faso, Yoveri Museveni in Uganda und der junge Flieger-Leutnant Jerry J. Rawlings in Ghana. Diese neue Garde genoss anfangs auch die Unterstützung von StudentInnen und Gewerkschaften. 1981 stürzte Rawlings jene Zivilregierung, deren Wahl er selbst durch den Staatsstreich von 1979 erst ermöglicht hatte. Er erklärte sich zum Vorsitzenden des provisorischen Revolutionsrates PNDC (Provisional National Defence Council), aus dem 1992 der NDC hervorging, und rief zum „heiligen Krieg“ gegen die Korruption auf, die in Ghana unter dem Namen Kalabule in aller Munde ist. Das Land wurde flächendeckend mit „Komitees zur Verteidigung der Revolution“ überzogen. Sie verfolgten den Anspruch, die Massen an Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen. 1983 änderte sich der politische Stil des PNDC. Die schwere Dürre in Nordghana und die zwangsweise Repatriierung von einer Million illegal in Nigeria lebender ghanaischer MigrantInnen beschleunigte den Kollaps des bankrotten Staates. Ghana unterzog sich einem radikalen Strukturanpassungsprogramm (SAP) unter dem Diktat des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Erbitterter Widerstand der StudentInnen und Streiks waren die Folge. Die Menschen auf der Straße übersetzten das Kürzel SAP mit „Suffering of African People“. Trotz liberalisierter Wirtschaftspolitik wurde jedoch weiterhin eine revolutionäre „Volksdemokratie“ propagiert.

Mit dem Fall der Berliner Mauer wurden auch in Afrika südlich der Sahara autokratische Systeme zunehmend unpopulär. Der Wille zum Machterhalt bewirkte bei Rawlings Anfang der 1990er Jahre eine saulusgleiche Metamorphose von einem Militärmachthaber in einen neu geborenen Demokraten. Jerry J. Rawlings, der 1979 drei frühere Staatschefs und 1981 einige Staatsanwälte exekutieren hatte lassen, schaffte es 1992, als ziviler Präsident der neuen, vierten Republik gewählt und 1996 für eine zweite Amtsperiode wiedergewählt zu werden. Sein langes politisches Leben verdankte er maßgeblich dem unterstützenden Wohlwollen der Bretton-Woods-Zwillinge Weltbank und IWF, denen das autoritäre System offenbar beste Voraussetzungen bot.

Um die Menschenrechtsverletzungen früherer Regime – einschließlich der Verbrechen unter Rawlings – aufzuarbeiten, bildete die NPP-Regierung nach dem Vorbild Südafrikas eine nationale Versöhnungskommission. In der öffentlichen Debatte über die Gräuel in der Frühphase des PNDC fiel plötzlich auch der Name Kufuor. Rawlings hatte Kufuor 1982 als einen von vier Oppositionspolitikern als Minister für lokale Verwaltung berufen. Obwohl Kufuor das Amt nach sieben Monaten zurücklegte, hatte er doch die Hinrichtungen der Staatsanwälte und andere Menschenrechtsverletzungen in dieser Zeit mitzuverantworten. Und schon viel früher war Kufuor Mitglied einer Regierung gewesen, die Tod und Leid über viele Menschen gebracht hatte: Von 1969 bis 1972 war er stellvertretender Außenminister in der Regierung der Progress Party (PP) unter der Führung von K. A. Busia. Mit dem Ende des Kakaobooms erließ die Busia-Regierung ein Gesetz zur Massenabschiebung von ImmigrantInnen in ihre Herkunftsländer. Bis zu einer Million „Fremde“ – die zum Teil bereits in Ghana geboren worden waren bzw. seit Jahren dort gelebt hatten – mussten daraufhin fluchtartig das Land verlassen. Etliche von ihnen starben in den großen Lagern an den Landesgrenzen. Die konfiszierten Geschäfte und Kakaofarmen fielen größtenteils PP-Sympathisanten zu. Kufuor muss sich heute den Vorwurf gefallen lassen, damals die menschenverachtende Politik mitgetragen zu haben.
Viele rechnen mit einem erneuten Wahlsieg der NPP, auch wenn er knapper ausfallen könnte als vor vier Jahren. Wie die Republikaner in den USA trägt die NPP einen Elefanten im Parteilogo. In der Kultur der Asante, einer der wichtigsten Volksgruppen in Ghana, ist er das Symbol für Unbesiegbarkeit. Offenbar kein schlechtes Omen.

Kurt Wachter arbeitet seit 1997 am Wiener Institut für Entwicklungsfragen und Zusammenarbeit (vidc). Ein Jahr seiner Studienzeit verbrachte er an der Universität Cape Coast in Ghana.

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