„Die Erwartungen wurden übertroffen“, freut sich Pastorin Claudia Haarmann von der Basic Income Grant (BIG) Coalition Namibias. Die Koordinatorin des zivilgesellschaftlichen Bündnisses gegen Armut in Namibia berichtet von den ersten Erfahrungen mit einem bedingungslosen Geldtransfer oder Grundeinkommen. Wurden früher monatlich zwei bis drei Kinder wegen Unterernährung ins nächste Krankenhaus gebracht, so komme dies seit Beginn der Zahlungen nicht mehr vor, erklärt Haarmann. Durchfallerkrankungen hätten deutlich abgenommen, mehr Kinder würden das Schulgeld bezahlen, Aidsmedikamente könnten nun vor Ort ausgegeben werden. Die Hütten wurden verbessert und verschiedene ökonomische Aktivitäten seien entstanden.
100 Kilometer östlich der Hauptstadt Windhoek befindet sich, umgeben von Zäunen und Farmen, Otjivero, eine informelle Siedlung ehemaliger FarmarbeiterInnen, die in den 1990ern entlassen und von den Farmen vertrieben wurden. Seit Jänner erhalten die etwa 1.000 BewohnerInnen mit Ausnahme von EmpfängerInnen der staatlichen Alterspension monatlich 100 Namibische Dollar, ca. acht Euro. Bis dahin hatten die meisten von ihnen kein regelmäßiges Einkommen, lebten von kleinen Jobs und vom „Wildern“ und „Stehlen“. Das einzige Geschäft in der Umgebung gehörte dem Farmbesitzer Hardy Köhler. Nun gibt es zwei weitere Geschäfte, die die BewohnerInnen selbst betreiben. Neu ist auch ein von den EmpfängerInnen gewähltes Komitee, das für eine möglichst gute Verwendung der Gelder sorgt.
Bessere Gesundheit, Ausbildung und Befriedigung der Grundbedürfnisse sowie eine beginnende wirtschaftliche Entwicklung von unten nach oben: Diese ersten Ergebnisse entsprechen den Erfahrungen mit Sozialgeldtransfers in anderen Ländern wie Mexiko, Brasilien oder Sambia. Darunter versteht man direkte Zahlungen an Betroffene. Im Unterschied zu Budgethilfen für Regierungen gehen sie individuell an einzelne Menschen, die, anders als bei Sachleistungen oder Projektförderungen, selbst über die Verwendung der Mittel verfügen. In der Regel werden Sozialgeldtransfers allerdings an Bedingungen wie Schulbesuch oder regelmäßige Gesundheitskontrollen geknüpft. Namibia geht mit dem bedingungslosen Basic Income Grant in Otjivero oder kurz BIG einen Schritt weiter.
Das Pilotprojekt zur Einführung des BIG ist auf zwei Jahre angelegt. Finanziert wird es durch das dahinter stehende Bündnis, durch Organisationen wie das deutsche Hilfswerk Brot für die Welt und private Spenden. Der BIG-Koalition gehören seit ihrer Gründung 2005 unter anderem der Gewerkschaftsdachverband, der Kirchenrat und der Dachverband der Nichtregierungsorganisationen von Namibia an. Der Staat beteiligt sich nicht an der Finanzierung. Das Experiment soll jedoch dazu beitragen, die Bedenken der Regierung gegen die Einführung eines allgemeinen Grundeinkommens auszuräumen. Sein Erfolg wird sich daran messen, ob es gelingt, die Armut eindeutig zu verringern und wirtschaftliche Impulse zu setzen. Ausdrückliches Ziel ist zudem, die in Namibia mit einem Gini-Koeffizienten von 0,7 besonders ausgeprägte Einkommensungleichheit abzumildern.
Koordiniert wird das Projekt von der promovierten Pastorin Claudia Haarmann an der Abteilung für Soziale Entwicklung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Hauptstadt Windhoek. Haarmann wird das Projekt zwei Jahre lang mit sozialwissenschaftlicher Forschung begleiten und beantwortet bereits jetzt Anrufe aus Namibia und aller Welt. Die einfache Frage, was passiert, wenn die Ärmsten direkt Geld erhalten, irritiert. Während internationale Medien weitgehend positiv berichten, sind die Reaktionen in Namibia gespalten. Die EmpfängerInnen würden das Geld vertrinken, heißt es, was Bischof Zephania Kameeta von der Evangelisch-Lutherischen Kirche als Pauschalverdächtigung zurückweist. Vielmehr sei das Grundeinkommen ein von Gott verliehenes Menschenrecht, argumentiert Kameeta. Einzelne prominente Mitglieder der Regierungspartei SWAPO unterstützen bereits die Koalition.
Die Jahre 2008 und 2009 könnten für die soziale Entwicklung im südlichen Afrika bedeutsam werden. Seit etwa 15 Jahren wird die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen in der Region diskutiert. Insbesondere die südafrikanischen Gewerkschaften begannen Anfang der 1990er nach Ende der Apartheid verschiedene Möglichkeiten zu untersuchen, wie das System sozialer Sicherheit ausgedehnt und die große Ungleichheit verringert werden könnte. Unterschiedliche AkteurInnen griffen das Thema auf und setzten die Diskussion fort. In Namibia sind es vor allem die Kirchen. Der Dachverband der Aidsorganisationen wurde, aufgrund der sozialen Folgen der Epidemie, ein weiterer wichtiger Fürsprecher. 2002 erreichte man damit die Regierungsebene. Eine Kommission zur Reform des Steuerwesens untersuchte das Thema Grundeinkommen und sprach eine Empfehlung aus. Der Internationale Währungsfonds riet der Regierung aber wegen zu hoher Kosten ab. Sollte das Projekt nun Erfolg haben, könnte dies der Forderung über Namibia hinaus auch in Südafrika zum Durchbruch verhelfen.
Ein staatliches Grundeinkommen würde bereits bestehende Systeme der Solidarität und andere Sozialmaßnahmen ergänzen. Claudia und Dirk Haarmann haben ausgerechnet, dass die anteilsmäßig größten Unterstützungsleistungen von Armen für noch Ärmere erbracht werden. Für Personen über 60 gibt es eine allgemeine staatliche Rente. Gesundheits- und Schulwesen bieten auch für Arme zugängliche Leistungen an, meist aber gegen zumindest geringe Gebühren. Oft stellen Transportkosten ein unüberwindbares Hindernis dabei dar, sozialstaatliche Angebote in Anspruch nehmen zu können. Vieles deutet darauf hin, dass es eine gewisse Einkommensschwelle gibt, unter der andere Systeme versagen.
Umstritten ist, welche Bedeutung ein Grundeinkommen für die Betroffenen selbst hat. Heißt es Überleben am Tropf, lebenslange Abhängigkeit oder gar Stigmatisierung? Claudia Haarmann hat Kontakt mit den Menschen vor Ort und eine dezidierte Meinung. Zentral ist für sie, was ihnen der Geldtransfer über das Materielle hinaus bedeutet. „Leute, die in absoluter Armut leben, sind von anderen Menschen abhängig“, betont die Projektkoordinatorin. „Das Wichtigste für mich ist, dass ihnen die Würde zurückgegeben wurde und sie nicht mehr das Gefühl haben, nur Bettler zu sein. Sie müssen sich nicht mehr verstecken, weil jeder denkt, sie würden nur kommen, um Essen zu erbetteln, wenn sie zum Nachbarn gehen.“
Siehe auch
www.bignam.org – die offizielle Site zum Pilotprojekt.