Gekochte Erinnerung

Von Sabine Zhang · · 2007/12

Wie geht es einem Koch aus China, der nach Österreich kommt und hier chinesisch kochen will? Welche Zutaten und Gewürze sind unabdingbar, welche kann er ersetzen? Die Antwort hängt nicht zuletzt davon ab, auf welche kulinarischen Abenteuer er sich einzulassen bereit ist.

Als ich 1988 hierher kam, wollte ich nur mein kulinarisches Heimweh stillen und war auf der Suche nach Vertrautem“, erzählt Simon Xie. Er ist Inhaber und Koch des Lokals ON in der Wiener Wehrgasse 8. 1988 waren allerdings selbst Ingwer und Jungzwiebeln, die wichtigsten Zutaten der chinesischen Küche, rar in Wien. Simon verwendete ersatzweise Schnittlauch und Porree, die durch ihre herbe Note den chinesischen Gerichten einen neuen Touch gaben. So wurde gleich zu Beginn aus der Not des Koches eine Tugend. Simon entdeckte etwa auch, dass sich Fleisch und Fisch mit Grünem Veltliner oder Bier genauso gut marinieren lassen wie mit Reiswein. „Manche dieser kulinarischen Veränderungen habe ich dann bewusst beibehalten, weil die Gerichte dadurch einfach besser schmecken.“
Heute ist Simons Küche regional chinesisch geprägt, aber wie Fotografien mit Absicht keine genaue Wiedergabe von Gewohntem. „Krampfhafte Authentizität ist veraltet, aber auch krampfhafte Fusion finde ich uninteressant. Meine geschmacklichen Ideen folgen einer inneren Logik. Was ich koche, muss nachvollziehbar und ehrlich sein. Es soll nicht darauf abzielen, zu beeindrucken“, erklärt er. Dennoch ist man beeindruckt, wenn man von seinem Thunfischtatar mit Kürbiskernöl und eingelegtem Ingwer kostet. Wie kommt jemand auf diese gewagt geniale Kombination? Simon sagt lachend: „Ich bin leidenschaftlicher Esser und habe eine instinktive Beziehung zu Gewürzen und Geschmack. Wir leben in einer globalisierten Welt und haben Zugang zu Gewürzen aus allen Regionen. Oft passen zwei Gewürze aus ganz verschiedenen Gegenden einfach besser zusammen als zwei aus der gleichen. Es ist wie bei binationalen Ehen!“

Simon nimmt sich die Freiheit, nach Belieben zu kombinieren. Für seine Heilbuttsuppe verwendet er grünen thailändischen Curry, ohne sich deshalb an thailändischer Küche zu orientieren. Japanische Sojasauce und koreanische Chilipasten sind ihm lieber als chinesische, weil sie einfach besser schmecken. Ideologische Grenzen kennt er in seiner Küche nicht, Essen ist für ihn in erster Linie nicht Ernährung, sondern Genuss, und Genuss bereitet nur, was gut schmeckt. Daran tastet er sich mit viel Liebe und Genauigkeit heran, denn es passt halt doch nicht alles beliebig zusammen.
Auch in China selber wird ständig kulinarisch experimentiert und einzelne Köche schaffen es, mit einem Gericht eine ganze Stadt in Begeisterung zu versetzen. Der kulinarischen Vielfalt sind keine Grenzen gesetzt. Ein Koch lernt sein Handwerk, das sind Zubereitungsarten, ein Dutzend an der Zahl. Er lernt, dass Konsistenz einen Unterschied im Geschmack macht und es deshalb nicht egal ist, in welcher Form oder Größe Gemüse geschnitten wird.
Danach beginnt für Simon die Freiheit zu experimentieren und neue Geschmackserlebnisse zu kreieren, und obwohl es in Wien mittlerweile fast alles zu kaufen gibt, entscheidet er sich auch bewusst für das Naheliegende: „Eine heimische Forelle schmeckt einfach besser als ein importierter chinesischer Fisch. Aber mit Blütenpfeffer, der nur in Sichuans Bergen wächst, gedämpft, entfernt sie sich von ihrer Herkunft und schmeckt heimisch und fremd zugleich.“

Es ist dem chinesischen Koch in der Wehrgasse ein Anliegen, uns ÖsterreicherInnen Speisen, die uns schon fremd geworden sind, wieder nahe zu bringen. Wenn er etwa von Innereien zu sprechen beginnt, glänzen sein Augen: „Innereien haben eine Poesie, etwas besonders Heimeliges, das mich total an Kindheit erinnert“, schwärmt er. Das beginnt bei seiner leicht scharfen Hühnerleber, die uns vielleicht noch nicht so fremd erscheint wie Lammherzen – in Scheiben geschnitten, im Wok sautiert, binnen Sekunden butterweich. „In Österreich hat man früher so viele Innereien gegessen, das habt ihr total verlernt. Irgendwann mach ich euch wieder ein Hirn mit Ei“ schwärmt er. Simon weiß, dass er seine Gäste behutsam zu mehr kulinarischem Mut erziehen muss.

Letzte Meldung: Simon Xie wurde vom Gault Millau soeben eine Haube zuerkannt.

Sabine Zhang, Sinologin, arbeitet als Geschäftsführerin von SOS-Mitmensch in Wien.

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