James Shikwati ist Direktor des Inter Region Economic Network (IREN) in Kenia. Dieser Think Tank entwickelt Strategien zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen in Afrika. Der Ökonom ist ein entschiedener Gegner der Entwicklungszusammenarbeit. Mit ihm sprach Südwind-Redakteurin Nora Holzmann.
Südwind-Magazin: In einem Interview mit der „Zeit“ sagten Sie vor einigen Monaten: „Stoppt die Hilfe! Es ist dringend!“. Ich nehme an, an diesem Aufruf halten Sie fest?
James Shikwati: Ich bleibe dabei. Fast immer sind die Leute schockiert, wenn sie das hören. Der will Afrikanerinnen und Afrikaner umbringen! Die Funktion eines Think Tanks ist es aber, sich die Ursachen von Problemen anzusehen. Beispiel Kenia: Wenn Sie in den Norden fahren, finden Sie dort trockenes Land vor. Die Menschen sind auf Lebensmittelhilfe angewiesen. Wenn Sie aber in die Stadt fahren, nach Nairobi, Kisumu, Mombasa, sehen Sie ein pulsierendes Land, eine wachsende Wirtschaft, Bäuerinnen und Bauern, die viel produzieren und sich sogar beschweren, dass sie für ihre Produkte keinen Absatz finden. Sie können also das Wechselspiel sehen: Man will helfen, trägt aber dazu bei, dass eine Regierung unverantwortlich handelt. Käme nicht von außen Lebensmittelhilfe, würde der Druck auf die Regierung steigen, Straßen in den Norden zu bauen, so dass die Bäuerinnen und Bauern ihre Produkte dorthin bringen können.
Ich könnte noch eine Reihe weiterer Beispiele nennen. Ich sage Stopp, weil die Hilfe ein System erhält, das es für Afrikanerinnen und Afrikaner schwierig macht, ihr eigenes Potenzial auszuschöpfen.
Ist Hilfe bei einer humanitären Krise willkommen? Oder wollen Sie, dass auch diese Hilfe gestoppt wird?
Wenn die Hilfe Jahre andauert, bringt auch sie dieselben Probleme mit sich wie Entwicklungshilfe. Hilfe ist sehr wichtig, um eine Krisensituation in den Griff zu bekommen. Man kann keine Menschen sterben lassen, wenn es die Möglichkeit gibt, zu helfen. Aber es zu einer kontinuierlichen Industrie zu machen führt wieder in dieselbe Falle, das Problem zu erhalten.
Machen Sie einen Unterschied zwischen staatlicher Hilfe und Hilfe durch zivilgesellschaftliche Organisationen?
Wenn Leute helfen, haben sie ihre eigenen Vorstellungen, ihre eigenen Ideen, was richtig ist. Das kann aber für die Zielgruppe genau das Falsche sein. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie von der Regierung, der Zivilgesellschaft oder einer humanitären Hilfsorganisation kommen. Für uns in Afrika geht es nicht um die Art der Hilfe. Es geht um die Frage, warum ein Kontinent, reich an Ressourcen, arm ist. Wenn wir darüber nachdenken, werden wir bemerken, dass wir nicht in das globale Wirtschaftssystem eingebunden sind. Selbst wenn man Gold besitzt, ist es wertlos, wenn man es nicht entsprechend verkaufen kann.
Wäre es nicht wichtiger, für gerechte Handelsbeziehungen zwischen Europa und Afrika einzutreten, anstatt zu fordern, die Hilfe abzuschaffen?
Wir müssen die Hilfe stoppen, da sie Treibstoff für ein schlechtes System ist, das uns weniger am Handel teilhaben lässt. Warum? Ein Geberland erwartet, dass der Empfänger nicht beginnt, sich über dessen Politik aufzuregen. Gerade jetzt versucht die EU afrikanische Länder unter Druck zu setzen, die EPAs (Economic Partnership Agreements, Anm. d. Red.) zu unterzeichnen.
Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass afrikanische Länder hier über den Tisch gezogen werden: Wenn sie nicht unterschreiben, bekommen sie dies nicht oder wird jenes nicht erlaubt. Mit dem Resultat, dass afrikanische Länder Handelsabkommen unterzeichnen, die ihnen schaden.
Themenwechsel: „Landgrabbing“. Sie haben in einem Ihrer Artikel geschrieben, manche afrikanischen Führer würden Land sogar gegen Whisky-Flaschen tauschen. Was kann dagegen unternommen werden?
Die Herausforderung liegt hier gar nicht so sehr bei den Europäerinnen und Europäern – obwohl es auch sehr wichtig ist, dass ihnen die negativen Auswirkungen klar werden. Sie liegt bei Afrika. Afrikanische Regierungen haben erst vor kurzem erkannt, dass ihre Bürger auch Investoren sind. Anfangs galt der Begriff nur für Leute von außerhalb. Aber jetzt gibt es eine große Zunahme an afrikanischen Investoren. Manche Regierungen haben so genannte Büros für Inlandsanlagen eröffnet. In Sambia zum Beispiel werden auch Sambierinnen und Sambier, die außerhalb des Landes leben, ermutigt, in Sambia zu investieren. Sobald man realisiert hat, dass Afrikaner selbst Investoren sein können und sollen, wird Landgrabbing kein Problem mehr darstellen, da sie selbst das Land nutzen.
Wie wird ihr Vorschlag, Entwicklungshilfe zu stoppen, in Afrika aufgenommen?
Es gibt solche, die meine Position teilen. Die finden es gut, dass wir endlich einmal darüber diskutieren. Eine Kultur des kritischen Hinterfragens brauchen wir in Afrika dringend. Aber es gibt andere, die diesen Vorschlag unerhört finden. Ich bekomme auch böse E-Mails. Mir geht es darum, Afrika im globalen Wirtschaftssystem zu verankern. Ich hoffe, immer mehr Menschen können den Sinn dahinter sehen.
Wenn Menschen in Europa mit Bildern vom Hunger in Afrika konfrontiert werden und den Drang zu helfen verspüren – was sagen Sie ihnen: Lehnt euch zurück, in ein paar Jahrzehnten wird sich das schon regeln? Oder gibt es etwas, dass sie stattdessen tun könnten – zum Beispiel Fairtrade-Produkte aus Afrika kaufen?
Wir wollen kein Mitleid. Bei Fairtrade geht es immer um Mitleid – das ist nicht Handel. Wir müssen uns stattdessen für gerechte Gesetze im Handel einsetzen. Wenn ein Bauer zehn US-Dollar für sein Produkt bekommen sollte und er bekommt nur einen Cent, dann ist das wie Betrug. Die österreichische Regierung hat Beziehungen zu afrikanischen Regierungen. Sie kann auf Regierungsebene handeln, um Dinge zu verbessern. Aber es gibt auch viele Möglichkeiten für österreichische Unternehmen, die zum Beispiel Kompetenzen im Bereich Infrastruktur haben. Auf der individuellen Ebene sollte man das Augenmerk auf Produktivität legen. Wie kann meine Verbindung mit der Person auf dem Bild dazu führen, dass diese Person produktiv wird?
Zukunft ohne Hunger
James Shikwati war anlässlich des Caritas-Kongresses „Zukunft ohne Hunger“ zu Gast in Wien. Anfang Juni diskutierten dort zahlreiche Vortragende aus aller Welt gemeinsam mit 700 TeilnehmerInnen Strategien gegen den weltweiten Hunger. Im Eröffnungsteil appellierten sowohl Bundespräsident Heinz Fischer als auch Kardinal Christoph Schönborn an die österreichische Bundesregierung, die Entwicklungszusammenarbeit nicht wie geplant zu kürzen. Unterbrochen wurde das harmonische Auftreten der EingangsrednerInnen von einer Protestaktion durch Studierende der Internationalen Entwicklung. Ihr Studium an der Universität Wien steht vor massiven Einschnitten (siehe SWM 06/2012).
Die Dokumentation des Kongresses ist zu finden unter: www.zukunft-ohne-hunger.at
Sie haben immer wieder die positiven Auswirkungen des Engagements von China in Afrika unterstrichen. Die Chinesen würden wenigstens ehrlich sagen, dass es ihnen um Profit geht.
Die Chinesen kommen noch mit einem leeren Notizbuch. Sie stellen Fragen. Das Gegenteil ist der Fall mit Europa und den USA. Sie kommen mit einem voll geschriebenen Notizbuch: Wir haben uns das angeschaut, ihr solltet es auf diese und jene Art angehen.
Der mit dem leeren Notizbuch gibt das Gefühl, dass er zuhört. Und wenn er zuhört, macht er wahrscheinlich eher das, was man von ihm wünscht. Der andere hält Vorträge darüber, was man tun sollte. Allerdings gab es auch einmal eine Zeit, in der die Europäer mit leeren Büchern kamen. Auf Grund der historischen Erfahrung sage ich: Afrika muss vorsichtig sein. Im Grunde ist kein großer Unterschied zwischen Europa und China. Macht ist Macht.
Was ist ihre Vorhersage für die Zukunft? In Österreich kämpfen entwicklungspolitische Organisationen und engagierte Menschen seit vielen Jahren für eine Steigerung der Mittel der Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7% des Bruttonationaleinkommens. Sollen wir stattdessen die 0,0% anstreben?
Sogar wenn die Entwicklungshilfe erhöht wird, wird sie irrelevant werden. Warum? Weil sich die Welt so sehr verändert, dass irgendwann auch afrikanische Länder sagen werden: Nein, wir wollen eure Hilfe und eure Ratschläge nicht. Geht weg mit eurem Geld. Ich würde sagen: Macht keine Kampagnen dafür, die Hilfe zu erhöhen, sondern dafür, wie wir besser und auf innovative Weise zusammenarbeiten können.
Welche Expertise hat Österreich, die Afrika nicht hat, und umgekehrt? Was könnten wir tauschen, nicht aus Mitleid, sondern wegen seines Wertes? Ich würde keine Energie dafür aufwenden, die Prozentpunkte zu erhöhen, sondern darauf, innovativ zu werden und eine Vorreiterrolle dabei einzunehmen, es anders zu machen.
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