Führende Politiker lateinamerikanischer Länder haben eine neue Koalition gebildet. Sie wollen ihre Aktionen gegen die wachsende Zahl internationaler Klagen von transnationalen Unternehmen gegen Regierungen koordinieren.
Die Zahl von Investitionsstreitfällen steigt weltweit. Oft fordern transnationale Konzerne (TNC) auf dem Klagsweg Millionen- oder sogar Milliardensummen von Regierungen. Bilaterale Investitionsverträge und Freihandelsabkommen versetzen die Unternehmen in die Lage, auch für künftige entgangene Profite Entschädigungen einzuklagen, z.B. aufgrund neuer regulatorischer Bestimmungen durch die Regierungen oder die Kündigung oder Modifikation eines Vertrags.
Es gibt inzwischen mehr als 500 bekannt gewordene Investor-Staat-Verfahren, 60 waren es allein 2012. Einige Länder in Lateinamerika, wie Argentinien, Ecuador, Venezuela und Mexiko, waren Opfer von 20 bis 30 Verfahren. Von der Zunahme dieser Fälle in den letzten Jahren sind auch Entwicklungsländer in anderen Regionen betroffen, etwa Südafrika, Indien, Indonesien, Vietnam und viele andere.
Die Desillusionierung über diese bilateralen Abkommen und die mit ihnen verbundenen Schiedsgerichtssysteme hat bei den Regierungen zu einer Fülle von Aktionen geführt, darunter die Suspendierung von Verhandlungen über neue Verträge, Versuche der Neuverhandlung oder des Rückzugs aus bestehenden Verträgen und der Austritt aus dem ICSID-Gerichtshof (International Centre for Settlement of Investment Disputes).
Bei einem Treffen lateinamerikanischer Minister in Guayaquil in Ecuador wurden verschiedene gemeinsame Aktionen gegen solche Entschädigungsklagen beschlossen. Ecuadors Vizepräsident Jorge Glas Espinel hat das Treffen über zwei Schiedsverfahren informiert, die von Ölkonzernen im Rahmen bilateraler Investitionsverträge gegen seine Regierung geführt wurden und deren Ergebnisse diese als unfair oder sogar unverschämt ansieht. In einem Fall wurde von Ecuador die Zahlung von 2,3 Mrd. US-Dollar (einschließlich Zinsen) an die US-Ölfirma Oxy verlangt, obwohl die Schiedsrichter anerkannten, dass die Firma die Bedingungen ihres Vertrags mit der Regierung gebrochen hatte. Andere Minister und Beamte stellten ebenfalls die Erfahrungen ihrer Länder mit Investor-Staat-Verfahren vor und machten Vorschläge, wie man künftige Fälle vermeiden oder doch zumindest ihre Effekte verringern könnte.
„Nicht länger sollen kleine Länder auf sich allein gestellt den Klagen großer Unternehmen ausgesetzt sein“, sagte der ecuadorianische Außenminister Ricardo Patino auf einer Pressekonferenz nach dem Treffen, das unter seinem Vorsitz stattfand. „Wir haben jetzt entschieden, mit den Herausforderungen durch diese transnationalen Konzerne auf koordinierte Weise umzugehen.“
Sieben Länder, die überwiegend durch ihre Außen-, Handels- oder Finanzminister vertreten waren, nahmen eine Erklärung mit einer Übereinkunft an, eine Konferenz der von TNC-Interessen betroffenen Staaten zu bilden. Es handelt sich um Ecuador, Bolivien, Kuba, Nicaragua, die Dominikanische Republik, St. Vincent und die Grenadinen sowie Venezuela. Die VertreterInnen weiterer fünf Länder (Argentinien, Guatemala, El Salvador, Honduras und Mexiko) nahmen ebenfalls an dem Treffen teil und werden die Ergebnisse noch mit ihren jeweiligen Regierungen beraten.
Die Minister beschlossen die Bildung eines Exekutivausschusses, der zunächst von Ecuador geleitet werden und die politischen und rechtlichen Schritte koordinieren soll, darunter den Austausch von Informationen über rechtliche Streitfälle gegen teilnehmende Staaten, die Koordinierung rechtlicher Schritte und die Information der Öffentlichkeit. Sie beschlossen ebenfalls die Errichtung eines regionalen Schiedsgerichtszentrums zur Lösung von Investitionsstreitfällen zwischen Konzernen und Staaten auf der Basis fairer und ausgewogener Regeln.
Das vorgeschlagene Zentrum soll eine Alternative zu den existierenden internationalen Schiedsgerichten bilden, denen oft Parteinahme für Investoren vorgeworfen wird. Auch wird die Verstrickung in Interessenkonflikte bei diesen Schiedsgerichten beklagt, wie etwa bei dem ICSID, das bei der Weltbank in Washington angesiedelt ist. Nur wenige Schiedsrichter sind mit der Mehrzahl der Fälle befasst, wobei viele von ihnen gleichzeitig in anderen Fällen als Rechtsanwälte für Unternehmen tätig sind oder sogar im Aufsichtsrat transnationaler Unternehmen sitzen.
Die Minister beschlossen ebenfalls, ein „internationales Observatorium“ zu schaffen, um Investitionsstreitfälle zu beobachten und zu analysieren, das gegenwärtige Schiedsgerichtssystem zu reformieren und alternative Mechanismen der Vermittlung zwischen Staaten und den transnationalen Konzernen vorzuschlagen. Das Observatorium würde auch die Koordination zwischen den Rechtssystemen der lateinamerikanischen Staaten unterstützen und die Durchsetzung der einheimischen Rechtsprechung in Streitfällen zwischen Staaten und transnationalen Konzernen fördern. Es könnte die Regierungen auch in Verhandlungen mit transnationalen Konzernen beraten, vor allem bei Handels- und Investitionsverträgen.
Ein Hintergrundpapier zu den Gründen für das Treffen stellte fest, dass die Schiedsverfahren und Klagen europäischer und US-amerikanischer Konzerne gegen eine wachsende Zahl von Staaten des Südens dramatisch zugenommen haben. Diese kostspieligen Entschädigungszahlungen, die in ihrer Mehrzahl zugunsten der Investoren verhängt werden, gefährden nicht nur die fiskalische Situation der Staaten, sondern stellen auch eine ernste Beeinträchtigung der nationalen Rechtsprechung und Souveränität dar und behindern ebenso die Realisierung laufender Entwicklungspläne in Lateinamerika und anderen Regionen.
Die derzeitige Problemlage geht auf die 1990er Jahre zurück, als viele Entwicklungsländer bilaterale Investitionsverträge in der Hoffnung unterschrieben, so ausländische Investitionen ins Land zu locken. Doch die negativen Konsequenzen solcher Verpflichtungen werden jetzt offensichtlich.
Ein zweites Treffen der neu gebildeten Gruppe wird im kommenden Juli in Caracas stattfinden.
Martin Khor ist Direktor des South Centre in Genf.
Übernommen aus: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org), Luxemburg, 29. April 2013.
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