Gefährlicher Einsatz

Von Ralf Leonhard · · 2001/02

Gewerkschaftliche Aktivitäten im Süden können den Job, aber auch das Leben kosten. Und die Organisierung wird enorm behindert. Mit Gewerkschafts-führern aus Pakistan und Guatemala sprach Ralf Leonhard

Immer mehr Frauen werden in Pakistan von der Industrie angeworben. In den meist transnationalen Konzernen bilden die Arbeiterinnen bereits 70 Prozent der Belegschaft. Der Grund: Die Löhne der Frauen liegen mehr als ein Drittel unter denen, die Männern für die gleiche Arbeit bezahlt werden. Nach den oft mehr als zwölfstündigen Schichten werden junge Frauen auf dem Heimweg oft Opfer von Überfällen und sexueller Gewalt.

Khalid Mehmood, der Leiter der pakistanischen Kampagne zur Verteidigung der Gewerkschaften (PTUDC), sieht in der Feminisierung der Arbeit ein gravierendes Problem. Die Industrie drückt damit die Löhne. Dazu kommt, dass Frauen schwieriger zu organisieren sind und ihre Rechte in der Regel noch schlechter durchsetzen können als die Männer.

Im Privatsektor sind von den sechs bis sieben Millionen Beschäftigten nicht mehr als 400.000 organisiert. Mehmood: „Die Regierung verspricht Investoren, dass sie keine Probleme mit Gewerkschaften haben werden.“ Echte Gewerkschaftsarbeit ist praktisch nur im öffentlichen Sektor möglich.

Noch billiger und für die Gewerkschaften völlig unerreichbar sind Kinder, die praktisch in allen Branchen zu fnden sind: in der Landwirtschaft, in Straßenlokalen, Tankstellen und natürlich in der Teppichmanufaktur und der Sportartikelherstellung. Mehr als drei Millionen Kinder zwischen fünf und 14 Jahren müssen in Pakistan schuften. Gesetze gegen Kinderarbeit helfen da kaum, und auch die internationalen Kampagnen etwa gegen die handgenähten Fußbälle aus Pakistan seien wenig hilfreich. Mehmood: „Man kann Kinderarbeit nicht ausrotten, wenn man das System, das Armut hervorbringt, nicht verändert. Der Staat sorgt nicht dafür, dass sie in die Schule gehen können. Dafür fehlt das Geld.“ Pakistan hat andere Prioritäten: Während gerade ein Prozent des Budgets für Bildung und Gesundheit aufgewendet wird, beansprucht die Armee 40 Prozent des Haushalts.

Die PTUDC wurde vor fünf Jahren, nach der Ermordung des Arbeiterführers Syed Arif Hussain, gegründet. Sie kämpft gegen Privatisierung, Sozialabbau, Lohnkürzungen, ungerechtfertigte Kinderarbeit und die Militärdiktatur von General Perwez Musharaf. Die Zahl der Arbeitslosen, derzeit etwa 20 Millionen, wachse jährlich um eine weitere Million, so Mehmood. Denn die Auflagen des Internationalen Währungsfonds verlangen Deregulierung und steten Abbau der Bürokratie. Bei seiner Reise Ende vergangenen Jahres warb der ehemalige Telekommunikationsarbeiter aus Lahore bei europäischen Gewerkschaften um Solidarität.

Tausende LandarbeiterInnen werden nach wie vor in Guatemala in sklavenähnlichen Verhältnissen gehalten, beteuerte José Pinzón, Obmann des christdemokratischen Gewerkschaftsbundes CGTG, im Dezember bei einem Besuch in Wien. Seit vier Jahren herrscht zwar Friede, doch die verheerenden sozialen Verhältnisse, die eine der Ursachen für 30 Jahre Guerillakrieg waren, haben sich nicht gebessert.

Nach der Lohnerhöhung mit Jahresbeginn 2001 verdient ein Plantagenarbeiter knapp 100 US-Dollar im Monat. Dieser Lohn liegt, wie Pinzón vorrechnet, weit unter dem Subsistenzniveau: „270 Dollar braucht eine Familie allein für die Ernährung. Von Wohnung, Schulgeld und Gesundheitsausgaben wollen wir gar nicht sprechen.“ Auf manchen Landgütern, speziell im Hochland von Alta Verapaz, wird nicht einmal dieses staatlich garantierte Mindestgehalt bezahlt.

Versuche, die Arbeiterschaft zu organisieren, werden auch vier Jahre nach den Friedensverträgen oft mit Gewalt unterbunden.

Ein Agrarunternehmer in Alta Verapaz, so Pinzón, habe es vorgezogen, seine Kardamompflanzung zu vernichten und den Betrieb für bankrott erklären zu lassen, anstatt eine Landarbeitergewerkschaft zu akzeptieren. Auf den Bananenplantagen im Osten wurde der Gewerkschaftssitz gestürmt und deren Anführer so lange festgehalten, bis er der rechtswidrigen Entlassung von über 900 ArbeiterInnen zustimmte.

Für den Obmann der Treibstofftransportgewerkschaft endete ein Organisationsversuch im vergangenen Juni tödlich. Oswaldo Monzón, der nach seiner Entlassung wegen gewerkschaftlicher Aktivitäten ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht angestrengt hatte, lehnte es ab, die Klage auf umgerechnet etwa 30.000 Schilling zurückzuziehen. Darauf wurde Monzón verschleppt und ermordet.

Die Gesetze seien nicht so schlecht, bestätigt der 61-jährige Gewerkschaftsveteran Pinzón, doch die staatlichen Institutionen seien zu schwach, um sie durchzusetzen, oder auch nicht willens.

Um Gewerkschaftsbildungen zu vermeiden, versuchen Unternehmer zunehmend, feste Arbeitsverhältnisse aufzulösen und ihre Arbeitskräfte nur mehr befristet zu beschäftigen. So sparen sie außerdem Nebenleistungen und Beiträge an die Sozialversicherung.

Neben LandarbeiterInnen und Beschäftigten der Agroindustrie, des Gastgewerbes und Transportwesens versucht die CGTG daher vor allem, den sogenannten informellen Sektor zu organisieren. Nur 28 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung sind beim Sozialversicherungsinstitut angemeldet. Man schätzt, dass zwei Drittel sich als StraßenhändlerInnen, TaglöhnerInnen oder HandwerkerInnen durchschlagen.

Ralf Leonhard ist freier Mitarbeiter des SÜDWIND-Magazins und lebt als freier Journalist in Wien.

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