Das erste Mal in der Geschichte Pakistans wurde eine gewählte Regierung nach Ende ihrer Amtszeit mit Hilfe demokratischer Wahlen abgelöst. Wie geht es nun in dem Land, das zu den bevölkerungsreichsten der Welt zählt, weiter?
Der Machtwechsel ist gelungen: Erstmals in der knapp 66-jährigen Geschichte von Pakistan hat eine demokratisch gewählte Regierung eine gesamte Legislaturperiode überstanden. Nach fünf Jahren im Amt konnte die Pakistanische Volkspartei (PPP) von sich aus den Zeitpunkt von Neuwahlen bestimmen. Der Urnengang fand am 11. Mai statt. Trotz eines äußerst gewalttätigen und blutigen Wahlkampfs und trotz massiver Drohungen seitens der radikal-islamischen Taliban gaben fast 60 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Zwar kam es zu zahlreichen Wahlfälschungen, und in manchen Regionen wurden Frauen gezielt von den Wahllokalen ferngehalten, doch das Wahlergebnis wurde schließlich anerkannt. Die Macht wurde an die Muslimliga übergeben, nun amtiert deren Chef Nawaz Sharif als neuer Premierminister.
Es ist ein wichtiger Schritt mit hohem symbolischem Wert für Pakistan. Ob und inwieweit sich nun die Demokratie festigen wird, ist allerdings nicht abzusehen. Denn mit dem Urnengang allein ist noch kein einziges der fundamentalen Probleme des Landes gelöst. Nicht abzusehen ist auch, welche politische Linie Premier Nawaz Sharif tatsächlich verfolgen wird. Wahlversprechen sind in Pakistan zumeist Schall und Rauch.
Viele PakistanerInnen stehen Nawaz Sharif mit großer Skepsis gegenüber. Der Sohn einer erfolgreichen Unternehmerfamilie aus der Provinz Punjab kam in den 1980er Jahren als Protégé des damaligen Militärdiktators Zia ul-Haq in die Politik. Nach Zia ul-Haqs Tod im Jahre 1988 begann ein neues demokratisches Experiment. Doch weder die Pakistanische Volkspartei (PPP) unter Benazir Bhutto noch die Muslimliga unter Nawaz Sharif überstand eine gesamte Legislaturperiode. Wegen Machenschaften der Opposition oder auf Druck des Militärs musste jede Partei nach kurzer Zeit wieder die Macht abgeben. Nawaz Sharif, der von 1990-93 und 1997-99 als Premier amtierte, erwies sich in gesellschaftspolitischen Fragen als äußerst konservativ. Er weitete die islamische Gesetzgebung aus, die unter Zia ul-Haq eingeführt worden war, und verteidigte Regelungen, die Frauen und religiöse Minderheiten diskriminieren. Um seine eigene Macht zu festigen, versuchte er dann sogar, die Rechte des Parlaments und der Justiz zu beschneiden. Damit verspielte er die Unterstützung der Bevölkerung, die ihn 1998 noch groß gefeiert hatte, weil er auf einen Atomtest Indiens mit dem ersten Atomtest in Pakistan geantwortet hatte. Im Oktober 1999 wurde Nawaz Sharif zur Zufriedenheit der meisten PakistanerInnen von General Pervez Musharraf gestürzt.
Ist Nawaz Sharif heute ein geläuterter, gereifter Mann? Darüber gehen die Meinungen im Volk ebenso wie unter AnalystInnen stark auseinander. Die Wahl im Mai dürfte er vor allem dank seiner Wirtschaftsversprechen gewonnen haben. Die PakistanerInnen klagen über Preissteigerungen, eine äußerst instabile Strom-, Gas- und Benzinversorgung sowie über die extrem prekäre Rechtslage. Ein Drittel der mehr als 180 Millionen PakistanerInnen lebt unter der Armutsgrenze. Es mangelt an sauberem Trinkwasser, an Gesundheitsversorgung und Bildungseinrichtungen. Es herrschen große Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung. Sharif hat vor allem eindrucksvolle große Infrastrukturprojekte zugesagt; ob er die sozioökonomischen Probleme an der Wurzel packen will, bleibt abzuwarten.
Das Votum für Sharif war auch eine klare Absage an die PPP, die ihren Erfolg beim Urnengang 2008 zu einem Gutteil dem Sympathiefaktor verdankte. Nach acht Jahren an der Macht musste Militärdiktator Pervez Musharraf 2007 auf Druck der Bevölkerung wieder demokratische Wahlen zusagen, Benazir Bhutto und Nawaz Sharif kehrten aus dem Exil nach Pakistan zurück. Doch Benazir Bhutto wurde bei einer Wahlkampfveranstaltung im Dezember 2007 ermordet. Die PPP verstand das Verbrechen dann zu ihren politischen Gunsten zu nutzen.
Der Mord ist bis heute nicht aufgeklärt. Musharraf, der 2008 ins Exil ging, bei der Wahl im Mai 2013 aber kandidieren wollte, wurde bald nach seiner Rückkehr festgenommen und steht nun unter Hausarrest. Das Verfahren, in dem seine Rolle bei der Ermordung von Benazir Bhutto untersucht wird, läuft. Der führende Staatsanwalt wurde allerdings Anfang Mai bei einem Anschlag getötet. Eine Warnung des Militärs, der Taliban oder anderer Extremisten, den Fall nicht bis ins Letzte zu klären? Auf viele Fragen gibt es in Pakistan keine definitiven Antworten.
Während ihrer Amtszeit von 2008-2013 hat sich die PPP nach Ansicht zahlreicher KommentatorInnen vor allem durch Unfähigkeit und Korruption ausgezeichnet.
„Die vergangenen fünf Jahre waren gekennzeichnet von Terrorismus, Arbeitslosigkeit und sozialen Missständen“, zieht der Sozialaktivist Sarwar Bari von der in Islamabad ansässigen Entwicklungsorganisation Pattan nüchtern Bilanz. Warum hat die PPP dann die gesamte Legislaturperiode überdauert? Auch dafür hat Sarwar Bari eine negative Begründung: „Die PPP hat es verstanden, das Militär nicht herauszufordern und ihre Verbündeten bei der Stange zu halten, indem sie ihnen erlaubte, das Land weiter auszuplündern. Daher wollte auch niemand die Regierung stürzen.“
„Ich selbst würde nie sagen, die PPP sei nicht korrupt“, betont die politische Analystin Ayesha Siddiqa. „Aber alle anderen sind um nichts besser, das Militär ist korrupt, und die Muslimliga von Nawaz Sharif ist ebenfalls korrupt.“ Allerdings endete die letzte Amtszeit von Sharif, einem der reichsten Männer Pakistans, vor 14 Jahren, und er konnte auf die Vergesslichkeit der WählerInnen setzen.
Der ehemalige Cricket-Star Imran Khan erwies sich letztlich nicht als der große Herausforderer, als den manche AnhängerInnen ihn sehen wollten. Khan erklärte, mit seiner Pakistanischen Bewegung für Gerechtigkeit (PTI) das Land erneuern zu wollen. Gerechtigkeit, eine effiziente Regierung und ein entschlossenes Auftreten gegen Korruption lauteten seine zentralen Versprechen. WahlanalystInnen zufolge gelang es Khan, viele JungwählerInnen zu mobilisieren. Doch diese Stimmen reichten nur für Platz drei, hinter der PPP. Von eher geringer Bedeutung dürfte Khans Verhältnis zu den Taliban und anderen radikalen Kräften gewesen sein. Ob aus Überzeugung, Angst, Kalkül oder Anti-Amerikanismus: Khan enthält sich klarer Verurteilungen der Taliban. Allerdings sind auch die PPP und die Muslimliga in der Vergangenheit Allianzen mit radikalen Gruppen eingegangen. Im jüngsten Wahlkampf hat Nawaz Sharif kaum Hinweise darauf gegeben, wie er als Premier Terror und Gewalt konkret bekämpfen würde.
Die Rolle der Islamisten gehört zu den heikelsten Themen in Pakistan. Nach der Schaffung des Staates im Jahre 1947 spielten radikale religiöse Kräfte lange keine Rolle. „Man ging davon aus, dass Pakistan eine Demokratie sein würde“, betont die Publizistin und Dokumentarfilmerin Beena Sarwar. „Doch regionale, kulturelle und ethnische Konflikte verhinderten den raschen Aufbau einer Demokratie. 1958 übernahm die Armee die Macht, und erst im Dezember 1970 fanden die ersten gesamtpakistanischen Wahlen statt.“ Der Streit über das Wahlergebnis führte dann aber zur Abspaltung Ostpakistans als neuer Staat Bangladesch, so Sarwar. Im verbleibenden Pakistan übernahm die PPP unter Zulfikar Ali Bhutto, dem Vater von Benazir Bhutto, die Macht. 1977 fanden wieder Wahlen statt, doch wegen massiver Fälschungen kam es zu Massenprotesten, und die Armee unter General Zia ul-Haq übernahm erneut die Macht.
Pakistans weiterer Weg wäre auf jeden Fall schwierig gewesen, sind sich AnalystInnen einig. Doch wer die 1960er und 1970er Jahre miterlebt hat, erinnert sich mit großer Nostalgie an die vergleichsweise großen Freiheiten und das rege kulturelle Leben von damals. Viele ländliche Regionen waren konservativ und rückständig, doch in Städten wie Lahore und Karachi gab es eine lebendige Lokal- und Kulturszene, an den Unis debattierten linke StudentInnen über eine bessere Zukunft für alle, und eine wachsende Frauenbewegung vertraute darauf, das Land schrittweise in die Moderne führen zu können.
Mit Zia ul-Haq und der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1979 änderte sich die Lage dramatisch. Wenn Pakistan in internationalen Medien heute als einer der gefährlichsten Staaten der Welt dargestellt wird, als eine Atommacht, in der Massenarmut herrscht und radikale Gruppen Terror verbreiten, dann verweisen PakistanerInnen wie der Sozialaktivist Sarwar Bari auf den Ursprung dieser Misere. „1979/1980 wurde Pakistan zu einem Frontstaat. Damals wurden – mit Unterstützung und Finanzierung aus den USA – radikale Gruppen wie die Taliban aufgebaut, und Zia ul-Haq trieb die Islamisierung von Pakistan voran. Damals begannen alle unsere großen Probleme. Pakistan wurde mit Kalaschnikows überschwemmt.“ Nach dem Abzug der Sowjets aus Afghanistan 1989 hätte Pakistans Militärestablishment die militanten Gruppen im Kampf um Kaschmir, das zwischen Indien und Pakistan geteilt ist und von beiden Ländern beansprucht wird, genutzt. Diese Gruppen seien aber längst außer Kontrolle geraten, und sie würden sich auch gegen die BürgerInnen im eigenen Land, gegen religiöse Minderheiten und gegen säkulare Kräfte wenden. „Die große Frage ist“, so Bari, „wie wir den Geist, den die USA und Zia ul-Haq aus der Flasche gelassen haben, wieder in die Flasche zurück bringen.“
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York hat sich Pakistan offiziell dem internationalen Kampf gegen den Terrorismus angeschlossen, doch viele AnalystInnen werfen Pakistans Militär und dem Geheimdienst ISI eine äußerst ambivalente Haltung vor. So soll der ISI das Versteck von Osama bin Laden in Abbottabad in der Nähe von Islamabad gekannt, aber zum Ärger der USA nichts unternommen haben. 2011 landeten schließlich US-Sondereinheiten in Abbottabad und töten Osama bin Laden. Wie Pakistans Militär und Geheimdienst künftig handeln werden, ist nicht absehbar.
Diese Unsicherheit hängt mit dem ungelösten Kaschmir-Konflikt mit Indien zusammen, aber auch mit der ungewissen Zukunft von Afghanistan. Es ist völlig offen, welche Rolle die Taliban nach dem weitgehenden Rückzug der USA aus Afghanistan 2014 dort spielen werden. Pakistans Machthaber könnten die Taliban noch als Verhandlungspartner benötigen. Dazu kommt, dass der Drohnen-Krieg der USA den Anti-Amerikanismus vieler Pakistanis gestärkt hat. Die weltweit wachsende Islamophobie hat zugleich die bewusste Hinwendung vieler Pakistanis zum Islam und zur muslimischen Welt begünstigt.
Vor diesem Hintergrund bleibt auch abzuwarten, inwieweit Nawaz Sharif tatsächlich den Einfluss des Militärs zurückdrängen kann. Zugesagt hat er es im Wahlkampf. Doch das Militär ist weiterhin die dominante Kraft in Pakistan, erklärt Ayesha Siddiqa, die selbst ein Buch zu diesem Thema verfasst hat. „Das Militär agiert zwar derzeit mehr im Hintergrund, aber gewisse Bereiche wie Außen- und Sicherheitspolitik, die Beziehungen zu den USA, zu Indien, Afghanistan und China sind dem Militär vorbehalten, auch wenn offiziell eine demokratisch gewählte Regierung im Amt ist. Das Militär bleibt mächtig.“
Brigtte Voykowitsch ist freie Journalistin und lebt in Wien. Sie besucht regelmäßig Pakistan.
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