Österreich wird zum umweltpolitischen Schlusslicht der EU. Das Kyoto-Ziel zum Schutz des Weltklimas wurde de facto aufgegeben, meint Wolfgang Mehl.
Ende März wurde in Österreich der Allokationsplan zum Emissionshandels-Gesetz veröffentlicht. Bereits die zuvor diskutierten Entwürfe kamen der Wirtschaft in allen denkbaren Bereichen entgegen. Die nach dem jetzigen Beschluss zu vergebenden Gratis-Zertifikate für zusätzliche Emissionen in den nächsten Jahren – fast plus fünf Millionen Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr im Vergleich zur Basis-Periode, das entspricht plus 18 Prozent – nehmen dem an sich schon sehr wirtschaftsfreundlichen Entwurf jede umweltrelevante Substanz.
Um die Tragweite dieser Ergebnisse richtig einordnen zu können, muss man sich die Vorgeschichte der nationalen und internationalen Klimapolitik vor Augen halten:
Mittelfristig erfolgreicher Klimaschutz erfordert einen praktisch kompletten Ausstieg aus den fossilen Energieträgern. Die weltweite Forschung ist sich darin einig. Binnen der nächsten 50 Jahre müssten die Industriestaaten ihren Verbrauch an Erdöl, Erdgas und Kohle um rund 80 Prozent senken, um eine global nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Das Kyoto-Protokoll ist nur ein erster, kleiner Schritt zum Klimaschutz. Es sieht eine Reduktion der Treibhausgas-Emissionen der Industriestaaten um minimale fünf Prozent im weltweiten Durchschnitt vor. Das ist bei erfolgreicher Umsetzung höchstens ein Tropfen auf den längst sehr heißen Stein.
Das Kyoto-Protokoll war immer schon voller „Schlupflöcher“ für Klimasünder. Allein die Ausnahmeregelungen für den internationalen Flugverkehr reduzieren die Wirksamkeit des Kyoto-Abkommens um rund die Hälfte; unzählige andere Vertragstricks führen zu weiteren Verschlechterungen. Alle Kyoto-Folgekonferenzen haben die Vereinbarungen weiter ausgehöhlt.
Österreich liegt beim Klimaschutz im EU-Vergleich schon jetzt auf einem der allerletzten Plätze. Um die in der EU-Aufteilung zum Kyoto-Protokoll vorgeschriebenen minus 13 Prozent zu erreichen, muss Österreich von heute, 2004, weg gerechnet fast 25 Prozent der Treibhausgas-Emissionen reduzieren. Das erfordert dringende Maßnahmen weit über den betrieblichen Emissionshandel hinaus. Im jährlichen Kyoto-Ranking der Europäischen Umweltagentur ist Österreich inzwischen auf den traurigen viertletzten Platz zurückgefallen. Wie soll das Ziel von minus 13 Prozent erreichbar sein, wenn Industrie und Energiewirtschaft, die für gut ein Drittel der österreichischen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sind, in den nächsten Jahren 18 Prozent mehr ausstoßen dürfen?
Versteckte Subventionen für die Industrie? Umso unverständlicher sind vor diesem Hintergrund die jetzt vereinbarten „Reduktionsziele“. Bedenkt man, dass die österreichische Industrie ihre Emissionen von 1990 bis 2002 weitgehend konstant gehalten hat, wird die Verwunderung noch größer. Woher dieser plötzliche „Bedarf“ an Unmengen von zusätzlichen Emissionszertifikaten? Der Verdacht liegt nahe, dass mit einer breit angelegten Kampagne und „Brachial-Lobbying“ jedes Risiko, Klimaschutz ernst nehmen zu müssen, ausgeschaltet werden soll. Sollten Industrie und Energiewirtschaft im Gegensatz zu ihren eigenen Wachstumsprognosen ihre Emissionen weiter konstant halten, könnten 5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent auf dem EU-Emissionshandels-Markt zum Preis von – nach derzeitigen Prognosen kalkuliert – 50 Millionen Euro verkauft werden.
Die Emissionshandelsrichtlinie der EU fordert einen „Beitrag zum Kyotoziel“ und sieht eine Berücksichtigung von Industrie-Wachstum nicht vor. Der Entwurf der Bundesregierung verletzt die wichtigsten Spielregeln für die Umsetzung der Emissionshandelsrichtlinie, nämlich den „Beitrag zum Kyotoziel“ und die „Konsistenz mit der nationalen Klimastrategie“. Österreich riskiert damit offen eine Zurückweisung der Pläne durch die EU-Kommission. Die angekündigte nachträgliche Umgestaltung der Klimastrategie im Hinblick auf einen forcierten Einsatz der flexiblen Mechanismen ist strikt abzulehnen. Der Emissionshandel wird es den österreichischen Firmen erlauben, ihre Verpflichtungen durch Projekte (Joint Implementation mit anderen Industriestaaten/Clean Development Mechanismus CDM mit Entwicklungsländern) im Ausland zu erfüllen.
Ein transparentes und unabhängiges Prüfverfahren zur Verifizierung der Emissionsdaten der Unternehmen muss gesetzlich garantiert werden. Die derzeitigen Entwicklungen hin zu einer von der Industrie geführten Registrierstelle bedeuten, dem Wolf die Verantwortung für die Geißlein zu übertragen.
Umweltorganisationen und die österreichische Bevölkerung waren unzureichend bis überhaupt nicht eingebunden, die Wirtschaftsvertreter dafür in höchstem Ausmaß. Wochenlang fuhren Industrieunternehmen, Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer eine Kampagne gegen Klimaschutzmaßnahmen und Ökostrom.
Die andere Seite der Dinge: Klimaschutz ist keineswegs nur Belastung für die Wirtschaft, große Teile würden massiv profitieren. Diverse Studien des Wirtschafts-Förderungsinstituts WIFO erwarten von einer Umsetzung der nationalen Klimastrategie zur Erreichung der Kyoto-Ziele rund 20.000 neue Arbeitsplätze bis 2010.
Leider melden sich in der aktuellen Debatte zum Emissionshandel nur Lobbyisten jener Wirtschaftszweige lautstark zu Wort, die Mehrkosten befürchten – vor allem Energiewirtschaft und energieintensive Branchen. Potenzielle Gewinner wie Bau- und Baunebengewerbe, Öffentlichen Verkehr oder den Bereich erneuerbarer Energie hört man weit seltener. Es bleibt die Hoffnung auf eine neue Koalition der Verantwortung in Wirtschaft und Industrie.