Frauen und Töchter

Von Chris Brazier · · 2006/06

Den Frauen von Sabtenga ist es gelungen, über Mikrokredite kleine Einkommen zu erwirtschaften und in ihrem Dorf die Beschneidung ihrer Töchter abzuschaffen. Doch das Verhältnis zwischen den Geschlechtern wandelt sich nur langsam.

Ich sitze im Schatten eines Baumes zusammen mit den 22 Mitgliedern der Kobenka-Frauengruppe. Dass sich hier Frauengruppen bilden, hat weniger mit einem Bewusstsein der Marginalisierung oder Unterdrückung als vielmehr mit handfesten, praktischen Bedürfnissen zu tun.
Männer sind insbesondere für die Bereitstellung der Grundnahrungsmittel verantwortlich (vor allem Hirse, aber auch Sorghumhirse und Reis), die einer Familie das Überleben sichern, und sie werden einen leeren Getreidespeicher in einem Dürrejahr mit einem Gefühl der Scham betrachten – als ob ihre Manneskraft in Zweifel gestellt worden wäre. Auch die Frauen müssen auf den Getreidefeldern mithelfen, neben ihrer Verantwortung für das Wasserholen, das Stampfen und Auslesen des Getreides und das Kochen. Weniger bekannt ist jedoch, dass es in einer Subsistenzlandwirtschaft im Allgemeinen auch die Frauen sind, die das Geld für all die kleinen Ausgaben einer Familie auftreiben müssen, von etwas Fleisch oder Gewürzen, um das Essen schmackhafter zu machen, bis zum Geld für Kleider und sogar Schulgebühren (siehe Artikel S. 35).
Deswegen sind heute so viele Frauen an einem Nebeneinkommen interessiert. Die Kobenka-Frauen zahlen einen monatlichen Mitgliedsbetrag von 50 Francs CFA (7,6 Eurocent), womit sie Zugang zu Mikrokrediten haben, und alle von ihnen haben mit diesen Mitteln ihre eigenen geschäftlichen Aktivitäten finanziert – in der Regel den Verkauf von Lebensmitteln auf dem Markt, etwa Erdnüsse oder Bohnen. Ihr erklärtes Ziel ist es, ein eigenes Erdnussfeld anzulegen, vielleicht in zwei Jahren, und damit ein Geldeinkommen zu erzielen, das ihnen das Leben tatsächlich erleichtern wird.

Die Kobenka-Gruppe ist ein anderes signifikantes Zeichen des Fortschritts im Vergleich zu 1985 und 1995. Das zentrale Thema unseres Films vor 20 Jahren war die erdrückende Arbeitslast der Frauen – eine dramatische Visualisierung von Statistiken, wonach Frauen in Burkina Faso vier Stunden täglich mit dem Wasserholen, zwei bis drei Stunden mit dem Getreidestampfen und alle zwei bis drei Tage vier weitere Stunden mit dem Brennholzsammeln zubrachten.
Heute haben Eselkarren die Arbeitslast der Frauen enorm verringert. Mit ihnen wird die Ernte nach Hause gebracht, das Wasser vom Brunnen und das Brennholz. Auch für das Auslesen und Stampfen des Getreides müsste im Prinzip nicht mehr so viel Zeit aufgewendet werden, da es mittlerweile mechanische Mühlen in den Dörfern gibt. Viele Frauen machen das jedoch lieber selbst, anstatt dem Müller Geld zu bezahlen. Letztlich ist es aber der geringere Zeitaufwand für Routinearbeiten, der es Frauen ermöglicht hat, eigenen Erwerbstätigkeiten nachzugehen und sich damit eine gewisse materielle Selbständigkeit zu sichern.
Kein Wunder also, dass meine Frage an die Kobenka-Gruppe, ob sich die Lage der Frauen in den letzten zehn Jahren verbessert hat, mit einem allgemeinen und energischen Kopfnicken beantwortet wird. Allerdings ist keine der Frauen jung genug, um von einer anderen größeren Revolution im Leben der Frauen und Mädchen des Dorfs profitiert zu haben – einer Revolution, die bei meinem letzten Besuch bereits im Gange war. Die große Mehrheit der Mädchen in Burkina Faso müssen noch immer die Verstümmelung ihrer Genitalien über sich ergehen lassen, wenn sie das Pubertätsalter erreichen – die Entfernung der Klitoris (und manchmal auch der kleinen Schamlippen), zumeist mit einem Rasiermesser.

1985 fand ich heraus, dass Mariama als erste Frau im Dorf gegen die Entfernung der Klitoris aufgetreten war und sich geweigert hatte, ihre älteste Tochter Memnatu dem Messer zu überantworten. Als ich 1995 zurückkam, schlug mir das Herz bis zum Hals – war sie von den traditionellen Kräften im Dorf zur Konformität gezwungen worden? Was ich stattdessen erfuhr, erschien fast wie ein Wunder – wenn auch eines mit sehr praktischen, politischen Wurzeln. Mariama und andere, gleichgesinnte Frauen hatten nicht nachgegeben, sondern in dem Streit die Oberhand behalten.
Überredungskünste sowie Radiokampagnen der Regierung hatten den Dorfchef davon überzeugt, dass die Praktik so rasch wie möglich eingestellt werden musste (vor allem wegen ihrer fatalen gesundheitlichen Folgen – manche Mädchen werden unfruchtbar, erleiden Behinderungen oder sterben sogar daran). Er hatte Dorfversammlungen einberufen, um seinen Gesinnungswandel bekanntzugeben, und versprach, die Behörden zu verständigen, falls er von weiteren Fällen in seinem Zuständigkeitsgebiet erfahren sollte.

Mit Freude kann ich berichten, dass diese Revolution siegreich und eine weitere Generation der Mädchen des Dorfs unversehrt blieb. Bemerkenswert ist allerdings, dass Sabtenga eine isolierte Insel der Sicherheit zu sein scheint.
Zwar wurden die Kampagnen gegen die Verstümmelung der weiblichen Genitalien (FGM) in Burkina Faso im letzten Jahrzehnt ausgeweitet und intensiviert. FGM ist seit 1996 verboten, und Burkina Faso war 2002 eines von vier afrikanischen Ländern, wo FGM auch tatsächlich bestraft wurde. Wer FGM praktiziert, riskiert bis zu drei Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von bis zu 900.000 Francs CFA (1.370 Euro) – und wer von Beschneidungen weiß und sie nicht meldet, eine Geldstrafe von rund 150 Euro. Das verleiht der Drohung des Dorfchefs mit der Auslieferung an die Polizei einigen Biss. Verdeckt ist die Praktik aber zweifellos noch üblich, und wahrscheinlich ist nach wie vor die Mehrheit der Mädchen davon betroffen, sogar in den Dörfern in unmittelbarer Nachbarschaft von Sabtenga. Die Frauen im Dorf sind verständlicherweise stolz auf ihren Erfolg, eine „FGM-freie“ Zone geschaffen zu haben. Und dass die Gesundheit ihrer Töchter davon profitiert, steht außer Frage.

Polygamie hingegen ist im Dorf weiterhin die Regel. Zwei der Frauen der Kobenka-Gruppe, Felicité und Rianatu, sind mit dem selben Mann verheiratet, Ousmane, und ich gebe mein Bestes, um die Ansichten sowohl der Männer als auch der Frauen zur Polygamie herauszufinden. Ousmane etwa sagt mir, dass ihn die Anforderungen einer Subsistenzlandwirtschaft dazu bewogen hätten, eine zweite Frau zu heiraten. „Wenn man hier Bauer ist und nur eine Frau hat, ist es mehr oder weniger unmöglich, mit der Arbeit auf den Feldern zurecht zu kommen. Wenn man nur eine Frau hat, was passiert, wenn sie krank ist? Und wer schaut nach den Kindern, wenn es auf den Feldern Arbeit gibt? Für mich ist das keine Frage der Religion, es ist bloß praktisch.“
Ob die Entscheidung, eine zweite Frau zu nehmen, etwas mit Sex zu tun hat? „Nein, das hat auch nichts mit Sex zu tun – mehr als eine Frau braucht man dafür nicht. Gibt es Eifersucht? Ja, das kann vorkommen. Aber deshalb ist es wichtig, beide gleich zu behandeln – eine Woche mit der einen zu verbringen und die nächste mit der anderen.“
Felicité wiederum stammt, wie schon ihr Name andeutet, aus einer christlich-monogamen Familie und musste zum Islam konvertieren, um Ousmane heiraten zu können. Das zeigt auch, wie entspannt hier mit interreligiösen Ehen umgegangen wird; ChristInnen und MuslimInnen leben oft gemeinsam im selben Gehöft. Ihr wäre es klar gewesen, sagt Felicité, dass Ousmane einmal eine weitere Frau heiraten könnte. Auf die Frage, ob sie ihre Zustimmung verweigert hätte, wenn er sie darum ersucht hätte, will sie nichts antworten. Stattdessen bekräftigen Felicité und Rianatu, was alle betroffenen Frauen im Dorf zur Polygamie sagen: Dass es gut sei, Hilfe bei der Hausarbeit und bei der Kindererziehung zu haben, und auf die Unterstützung einer Freundin im eigenen Haushalt zählen zu können.

Ousmanes Ansicht, dass Polygamie eine unvermeidliche Begleiterscheinung der Subsistenzlandwirtschaft sei, wird im Dorf nach wie vor weitgehend geteilt. Vor zehn Jahren hatte ich aufgrund meiner Gespräche mit jungen Burschen den Eindruck, dass Polygamie doch eher als überkommene Einrichtung gesehen und nach und nach verschwinden würde. Davon ist heute aber noch wenig zu bemerken.
Die Beziehungen zwischen Männern und Frauen ändern sich sehr langsam – „peu à peu“, sagen die Kobenka-Frauen. Die tägliche Arbeitslast der Frauen hat sich verringert, wenn sie auch zwangsläufig dazu neigen, die freie Zeit mit anderen Tätigkeiten zu füllen, die ihren Familien zugute kommen werden. Keinerlei Anzeichen gibt es hingegen, dass sich Männer vermehrt der Arbeiten im Haushalt annehmen würden. Wenn ich in zehn Jahren zurückkomme, sage ich zu ihnen, werde ich nicht nur erwarten, ihr eigenes Erdnussfeld zu sehen, sondern auch etwas essen zu können, was einer ihrer Männer gekocht hat. Sie lachen – aber nicht wegen der Idee mit dem Erdnussfeld.
„Ein Mann, der kocht? Du machst Witze – er wüsste ja nicht einmal, womit er anfangen soll!“

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