Frantz Fanon in Nairobi

Von Martina Kopf · · 2006/12

Mit einem Raum „Frantz Fanon“ knüpft das nächste Weltsozialforum in Nairobi an einen fast vergessenen politischen Denker und Aktivisten an: Zu Recht, denn seine Lektüre vermag auch heute zu bewegen.

Der Verfasser von „Die Verdammten dieser Erde“ erhält mit dem nächsten Weltsozialforum (WSF) neue Aktualität. Vor 45 Jahren wurde Frantz Fanon mit seinem oft als „Manifest der Dritten Welt“ bezeichneten Buch in der internationalen Linken als Theoretiker des nationalen Befreiungskampfs berühmt und als häufig missverstandener Verfechter von Gewalt berüchtigt. Ein eigener „Raum Frantz Fanon“ widmet sich nun von 20. bis 25. Jänner am WSF in Nairobi dem komplexen Ideengebäude des Arztes und Aktivisten aus Martinique, der in den afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen seine politische Wahlheimat fand.
Das WSF schließt damit an die Wiederentdeckung und Revision an, die Fanons Schriften seit den 1990er Jahren vor allem im Bereich der postkolonialen Theorie erfahren. Seine Analysen von mentalen, kulturellen und politischen Dimensionen von Kolonialismus und Rassismus sowie seine Einsichten in die Zusammenhänge von Unterdrückung und Gewalt sind unverändert von Bedeutung.

Doch nicht allein aufgrund seiner Inhalte ist es wert, heute Fanon zu lesen. Tatsächlich sind Fanon lesen und „über“ Fanon lesen zwei grundverschiedene Erfahrungen. Etwa wenn er sich in Schwarze Haut, Weiße Masken aufmacht, die rassistische Struktur Europas von innen her zu erkunden und aufzeigt, bis in welch tiefe Schichten der weiße Blick auf den Schwarzen, der ihn zu einem rassisch Anderen macht, unsere Menschlichkeit deformiert.
Doch werden wir dabei nicht mit steril verpackten Ergebnissen konfrontiert, sondern eingeladen, am Prozess des Erkennens wie auch des Irrens selbst teilzuhaben. Es ist kein Schreiben, aus dem Ideen, Zweifel, Emotionen entfernt sind, damit das „reine“ objektivierte Ergebnis bleibt.
Mehr als darüber zu schreiben führt Fanon in seinem Schreiben vor, wie repressive und entmenschlichende Strukturen, Handlungen und Ausdrucksweisen wirken: In einer offenen, lebendigen Sprache, die berührt und zur Partizipation einlädt – anders, als ein akademischer Diskurs und die Programmatik politischer Forderungen es zu tun vermögen.

Einen Schlüssel zu dieser ungewöhnlichen Sprache, die über Jahre lebendig im Gedächtnis zu bleiben vermag, lieferte später Josie Fanon, Ehefrau von Frantz Fanon, Französin und Journalistin, die mit ihrem Mann nach Algerien ging und bis zu ihrem Freitod 1989 dort lebte. In einem Interview erzählt sie über den Entstehungsprozess von Schwarze Haut, Weiße Masken: „Er ging auf und ab wie ein Redner, der improvisiert. Das erklärt den Rhythmus seines Stils, den Atem, der alles […] durchzieht, was er schrieb.“ Oder eigentlich Josie Fanon: Beide Bücher, mit denen ihr Mann berühmt wurde, kamen so zustande, dass er ihr diktierte und sie schrieb. Wer immer etwas vom kreativen Prozess versteht, weiß, wie bedeutsam die Rolle jener, die zuhören und schreiben, in dieser Art von Gemeinschaftsproduktion ist.

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