Flucht in die Sackgasse

Von Redaktion · · 2014/03

Warum wehren sich Menschen rund um die Welt gegen die Öl- und Gasförderung durch Fracking, eine umstrittene Technik? Worum geht es, wo liegen die Probleme, was ist Mythos und was Realität? Eine Analyse von New Internationalist-Autor Danny Chivers.

Es gibt nur wenige Technologien, an denen sich die Geister derart scheiden: Die einen sprechen von einer Energierevolution, schwärmen vom Beginn eines neuen Energiezeitalters – die anderen verdammen sie als toxische Bedrohung, als Irrweg in einen finalen, tödlichen Öl- und Gasrausch, der uns über die Klimaklippe stoßen wird.

Die Rede ist von „Hydraulic Fracturing“ oder kurz „Fracking“, einer neuen Fördertechnik (siehe Was ist Fracking S. 30), die der Welt eine Öl- und Gasbonanza zu versprechen scheint – eine verführerische Verlockung in einer Zeit, in der es immer schwieriger wird, konventionelle Vorkommen fossiler Brennstoffe zu finden. Dass sich Spekulanten und Öl- und Gaskonzerne für die Technik begeistern, liegt auf der Hand – und die Aussicht auf sprudelnde Einnahmequellen holt auch Regierungen mit ins Boot. Gleichzeitig haben die potenziellen Umweltauswirkungen der Technik betroffene Gemeinschaften auf die Barrikaden getrieben, und die Klimaschutzbewegung hat mit Entsetzen reagiert: Milliarden Tonnen Kohlenstoff, die in Gesteinsformationen eingeschlossen waren, könnten nun in die Atmosphäre gelangen.

In den nächsten paar Jahren wird sich wahrscheinlich entscheiden, ob Fracking weltweit üblich wird, auf einige wenige Länder beschränkt bleibt oder als gefährliche Sackgasse erkannt und samt und sonders ad acta gelegt werden wird.

Fracking ist an sich nichts Neues – die Technik wird bei Vertikalbohrungen bereits seit langer Zeit praktiziert. Doch erst Ende der 1990er Jahre wurde es wirtschaftlich, Fracking in Kombination mit Horizontalbohrungen zur Gewinnung von Kohlenwasserstoffen aus Tonsteinformationen und Kohleflözen einzusetzen – Schiefergas, „Tight Oil“ und Kohleflözgas. Die Pioniere waren Öl- und Gaskonzerne in den USA, einem Land, in dem die Förderung aus konventionellen Lagerstätten bereits vor langer Zeit ihren Höhepunkt überschritten hatte, bei steigendem Importbedarf. Dass sich doch noch mehr Kohlenwasserstoffe aus dem Boden quetschen lassen, war eine Frohbotschaft zur rechten Zeit.

2005 schaltete die Fracking-Industrie einen Gang höher: Durch das so genannte „Halliburton-Loophole“ (Anm. d. Red.: Dick Cheney, Ex-Chef des berüchtigten US-Konzerns Halliburton, soll dabei seine Finger im Spiel gehabt haben) wurde sie vom Trinkwasserschutzgesetz „befreit“, und Projekte konnten nun ohne Sondergenehmigungen und öffentliche Konsultationen vorangetrieben werden. Damit nicht genug: In den USA ist Fracking auch von sechs weiteren Bundesumweltgesetzen ausgenommen, die u.a. die Entsorgung gefährlicher Abfälle regeln, alles dank eines jahrelangen, intensiven Lobbyings der Industrie. Laut Sourcewatch – einer Initiative des Center for Media and Democracy (CMD) – beliefen sich allein die Wahlspenden der Fracking-Lobby zwischen 1990 bis 2011 auf 239 Mio. US-Dollar, das Lobbying selbst verschlang zwischen 2001 und 2011 sogar 726 Mio. Dollar.

Dem Ergebnis nach hat sich der Aufwand ausgezahlt – ein seit 2006 anhaltender „Schiefer-Boom“. Nach Angaben des US-Energieministeriums wurde Fracking bisher bei mindestens zwei Millionen Öl- und Gasbohrungen eingesetzt, und bis zu 95 % der neuen Bohrungen werden „gefract“. Nicht weniger als 43 % der Öl- bzw. 67 % der Gasförderung in den USA stammen aus diesen Bohrungen. Das Beratungsunternehmen IHS Global Insight kam auf Basis von Daten der Industrie zum Schluss, dass mit der Kombination von Fracking und Horizontalbohrtechnik der aktuelle US-Bedarf an Erdgas für 100 Jahre gedeckt werden könnte – diese Zahl ist allerdings umstritten (siehe unten).

US-Präsident Barack Obama ist jedenfalls Feuer und Flamme. „Heute gibt es keinen Bereich, der mehr Innovation verspricht als amerikanische Energie“, so Obama 2012 in seiner Rede zur Lage der Nation. „Die Erschließung der Erdgasvorkommen wird Arbeitsplätze schaffen und LKWs und Fabriken mit Energie versorgen, die sauberer und billiger ist, ein Beweis dafür, dass wir uns nicht zwischen unserer Umwelt und unserer Wirtschaft entscheiden müssen.“

Infektiöser Enthusiasmus. Und das Fracking-Fieber breitet sich aus – in dutzenden Ländern haben Öl- und Gaskonzerne Förderkonzessionen für unkonventionelle Gas- und Ölvorkommen beantragt (siehe Länderbeispiele auf Seite 35). Regierungen zeigen sich beeindruckt vom potenziellen Wachstum der Wirtschaft, von neuen Einnahmequellen und der Vision einer Selbstversorgung mit Energie. In vielen Ländern ist man eifrig dabei, alle Hindernisse für die neue Technik aus dem Weg zu räumen – durch Steuerbegünstigungen und entsprechende Umgestaltung der lokalen Gesetzgebung.

Die Öl- und Gasbranche ist daran natürlich nicht ganz unschuldig, wie den KritikerInnen nicht lange verborgen blieb. Das britische World Development Movement fand etwa heraus, dass ein Drittel der MinisterInnen der aktuellen britischen Regierung direkte Verbindungen zu Öl- und Gaskonzernen und zu den Banken hatte, die diese Konzerne finanzieren.

Mit dem zunehmenden Wissen über Fracking kam es jedoch in fast allen Ländern, wo die Technik zugelassen wurde, zu Protesten und Widerstand. Fracking-Verbote oder Moratorien bestehen derzeit landesweit in Frankreich, Irland, Rumänien, Bulgarien, Luxemburg und in der Tschechischen Republik sowie in Teilen von Australien, Kanada, Spanien, Argentinien und sogar der USA. Viele AktivistInnen befürchten jedoch, dass es sich nur um vorübergehende Maßnahmen handeln könnte, denn auf Regierungsebene wird an Regeln gearbeitet, die Fracking angeblich „sicher“ machen sollen.

Die Bilanz des Fracking in den USA wird oft als Erfolgsstory dargestellt: Die Technik hätte sich dort bewährt, und nichts spreche dagegen, sie nun weltweit anzuwenden. Tatsächlich wurde sie jedoch überhastet in großem Maßstab eingesetzt, ihre Umweltfolgen wurden nicht angemessen überwacht und ihre langfristigen Auswirkungen kaum berücksichtigt. Welche Folgen das Schiefergas-Experiment in den USA tatsächlich haben wird, auf die Umwelt wie auf die Wirtschaft, wird sich erst in Zukunft herausstellen – und diesbezüglich sieht es nicht gut aus.

Die Artikel dieses Themas wurden zuerst im Monatsmagazin „New Internationalist“ (Ausgabe 468, Dezember 2013) veröffentlicht. Wir danken den KollegInnen in Großbritannien für die gute Zusammenarbeit.

Der „New Internationalist“ kann unter der Adresse:
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Redaktionelle Bearbeitung und Kürzung der Artikel: Irmgard Kirchner.
Übersetzung: Robert Poth.

Ob Schiefergas und Tight Oil tatsächlich die große Energiechance sind, ist fraglich. Nach Angaben der US-Energiestatistikbehörde EIA von Juni 2013 gibt es – auf Basis einer Studie von 41 Ländern, die den Großteil der besiedelten Gebiete der Welt repräsentieren – zumindest 345 Mrd. Barrel Tight Oil und 207 Billionen m³ Schiefergas. Diese Vorkommen sind nach Ansicht der EIA „technisch gewinnbar“ und entsprechen elf bzw. 62 Jahren des aktuellen weltweiten Öl- bzw. Gasverbrauchs.

Allerdings gelten 99 Prozent dieses Schiefergases und das gesamte Tight Oil als „nicht gesichert“ – anders gesagt, es handelt sich um bloße Schätzungen auf Basis von Größe und Lage von Ton­steinformationen und der aktuellen Angaben aus der Industrie über die Menge an Öl und Gas, die während der Nutzungsdauer einer Frac-Bohrung wahrscheinlich gefördert werden kann. In internen EIA-Dokumenten, die an die Öffentlichkeit gelangten, wird zugegeben, dass Fracking-Unternehmen dazu neigen, den Umfang ihrer Reserven zu übertreiben, da ihre Schätzungen oft auf der Gasförderung an den besten Stellen der Tonsteinformationen beruhen. Angemerkt wird darüber hinaus, dass Fracking zu einer anfangs hohen, aber danach stark abfallenden Fördermenge führt, d.h. eine Bohrung könnte rasch unwirtschaftlich werden – die Unternehmen geben sich mit den ersten, profitabelsten Fördermengen zufrieden und wechseln dann zum nächsten Standort.

Beim Schiefergas könnte es sich daher nicht um einen Energieboom, sondern bloß um eine weitere „Blase“ handeln. Der Ökonom Robert Ayres warnte unlängst im Magazin Forbes: „Meiner Meinung nach (…) ist der Fracking-Boom teilweise – vielleicht großteils – nur ein Hype, und viele kleine Anleger, um die in verschiedenen Investment-Publikationen geworben wird, werden ihr letztes Hemd verlieren.“

Fracking wird nicht nur in Tonsteinformationen eingesetzt. Man kann damit auch Methangas aus Kohlelagerstätten holen, das so genannte Kohleflözgas („Coal Bed Methane“, CBM). Dieses Gas wurde seit vielen Jahren mit anderen Techniken gefördert, aber die modernsten Frac-Verfahren können die Ausbeute erheblich steigern.

Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) gibt es weltweit CBM-Vorkommen mit einem geschätzten Umfang von 118 Billionen m³, was 36 Jahren des aktuellen globalen Gasverbrauchs entspricht. Doch ebenso wie bei Schiefergas und Tight Oil handelt es sich um näherungsweise Angaben aus der Industrie, die nicht mittels Testbohrungen überprüft wurden. Bei den Schätzungen für die einzelnen Länder besteht enorme Unsicherheit (siehe Tabelle S.34).

Fracking gefährdet die Wasserversorgung. Für eine Frac-Bohrung werden während ihrer Nutzungsdauer zwischen neun und 29 Millionen Liter Süßwasser benötigt. Nach einer Schätzung von Water UK, dem Dachverband der britischen Wasserversorger, kann der Wasserbedarf eines typischen, aus 1.000 Bohrungen bestehenden Fracking-Gebiets bis zu zwei Millionen Liter pro Tag betragen, was dem Bedarf von 13.000 Menschen entspricht. In Gebieten, die bereits unter Wasserknappheit leiden – und überall dort, wo der Klimawandel in Zukunft zu häufigeren Dürreperioden führen wird – kann sich das signifikant auswirken. Beispielsweise hatte die texanische Ortschaft Barnhart im Sommer 2013 überhaupt kein Wasser mehr, wofür zumindest zum Teil auch lokale Frac-Bohrungen verantwortlich waren.

Nach jeder Frac-Maßnahme strömen zwischen 30 und 60 Prozent des Wassers wieder zurück an die Oberfläche, wo es zur Entsorgung gesammelt wird. Dieses Wasser enthält die Chemikalien und den Sand, die ihm zwecks Fracking beigemischt wurden, sowie Metalle, Salze und andere Mineralstoffe, die im Untergrund in das Wasser gelangten. In den USA wird dieses Abwasser großteils in erschöpfte Öl- und Gaslagerstätten gepumpt oder einfach in Fließgewässer eingeleitet. Es ist noch nicht klar, was mit diesen Abwässern anderswo geschehen wird, wo es solche Lagerstätten nicht gibt oder wo sie aufgrund lokaler Umweltschutzbestimmungen auf verantwortlichere Weise entsorgt werden müssen. Die übrigen 40 bis 70 Prozent des verschmutzten Wassers verbleiben im Untergrund. Mit jeder Bohrung werden also Millionen Liter Süßwasser verschmutzt und einer Nutzung durch den Menschen – oder durch Ökosysteme – für die absehbare Zukunft entzogen.

Lecks und Verschmutzungen durch austretende Flüssigkeiten sind an Fracking-Standorten an der Tagesordnung – über Tausende wurde bereits berichtet. Die Industrie selbst gibt 1.000 Zwischenfälle in einem Jahr zu, und das lediglich in North Dakota. Trotzdem wird alles mit einem Achselzucken abgetan, sowohl von der Industrie als auch von der Regierung – als ob es sich um einmalige, bedauerliche Vorfälle handeln würde und nicht um ein inhärentes Problem.

„Wenn es zu Lecks und Verschmutzungen kommt, werden die betroffenen Menschen nur dann von den Unternehmen entschädigt, wenn sie Maulkorbvereinbarungen unterzeichnen, die ihnen untersagen, über das Problem zu sprechen“, versichert Kassie Siegel vom Center for Biological Diversity in den USA. „Vor kurzem etwa wurde bekannt, dass zwei Kindern in Pennsylvania für den Rest ihres Lebens verboten wurde, über Fracking zu sprechen. Das alles macht es schwierig, die Öffentlichkeit über die wirklichen Auswirkungen dieser Technik auf das Leben der Menschen zu informieren.“

Laut einer 2013 veröffentlichten Studie wurde in Brunnenwasser in der Nähe von Fracking-Standorten in Pennsylvania ein gefährlicher Methangehalt festgestellt, wobei mittels Altersbestimmung nachgewiesen wurde, dass das Methan aus der Schiefergasförderung und nicht aus natürlichen Quellen stammt. Die Präsenz von Methan im Trinkwasser wurde im Film Gasland eindrucksvoll dokumentiert: Man sieht, dass ein Einwohner von Colorado sein Leitungswasser anzünden kann.

In Texas wurde in der Nähe von Fracking-Standorten eine erhöhte Belastung des Trinkwassers mit Arsen und anderen Schwermetallen nachgewiesen. Da sich solche Untersuchungsergebnisse häufen, sprachen sich EU- und UNO-Berichte für Vorsicht in Zusammenhang mit Fracking aus. Hydraulic Fracturing, hält etwa das UN-Umweltprogramm (UNEP) fest, „kann selbst dann zu unvermeidlichen Umweltauswirkungen führen, wenn [das Gas] korrekt gefördert wird, und umso mehr, wenn das unsachgemäß erfolgt (…) Auch wenn das Risiko theoretisch verringert werden kann, kommt es in der Praxis regelmäßig zu Unfällen, die sowohl mit undichten oder defekten Ausrüstungen als auch mit mangelhaften Praktiken in Zusammenhang stehen“. Und in einer Studie für das Europäische Parlament von 2011 hieß es: „Zu einem Zeitpunkt, zu dem Nachhaltigkeit der Schlüssel für künftige Vorhaben ist, ist infrage zu stellen, ob die Einspritzung toxischer Chemikalien in den Boden zulässig sein soll oder verboten werden sollte (…) da die langfristigen Auswirkungen nicht untersucht wurden.“

Schwerverkehr und Erdbeben. Eine Untersuchung in Texas ergab, dass während der Errichtung und des Betriebs jeder Plattform fast 600 LKW-Fahrten in eine Richtung erforderlich waren. Ein typisches Fracking-Gebiet in der Region umfasst bis zu 1.000 Bohrplattformen. Die Auswirkungen des Abfackelns von Gas an Fracking-Standorten sind ebenso umstritten, und nicht zuletzt können Frac-Maßnahmen auch Mikroerdbeben auslösen. Auch wenn sie sehr schwach sind, kann ihr kumulativer Effekt doch zu ernsten Problemen führen. Die Beben können auch die Bohrungen selbst beschädigen, womit das Risiko von Lecks und Umweltschäden zunimmt. Neue Studien haben gezeigt, dass es in Gebieten, die von mit Fracking zusammenhängenden Beben betroffen waren, in Zukunft zu stärkeren, natürlichen Erdbeben kommen könnte.

Zweifelhafte wirtschaftliche Effekte. „Fracking besitzt echtes Potenzial, Energie in Großbritannien billiger zu machen (und) Arbeitsplätze zu schaffen.“ – David Cameron, britischer Premierminister, August 2013.

Nach Weltbank-Angaben sind die Erdgaspreise in den USA mit dem Schiefergasboom auf ein Drittel des Niveaus in Europa gefallen. Gleichzeitig, so die US-Handelskammer, seien in den USA 1,7 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen worden; bis 2035 könnten es 3,5 Millionen sein. Doch auch dieses rosige Szenario ist umstritten. Die US-NGO Food and Water Watch verweist darauf, dass niedrige Energiepreise kurzfristig zu einer höheren Abhängigkeit der USA von Erdgas und in der Folge zu höheren Energiekosten führen könnten, wenn der Schieferboom zu Ende geht. Ein Umstieg auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz wäre langfristig eine wirksamere Strategie, für günstige Energiepreise zu sorgen.

In den von der Industrie gesponserten Berichten über die Vorteile von Schiefergas ist auch von den zahlreichen Kosten des Booms keine Rede, die noch auf Jahre hinaus anfallen werden, darunter die Kosten der Beseitigung von Umweltschäden, Gesundheitskosten, die Verluste anderer Wirtschaftszweige wie Tourismus, Landwirtschaft und Fischerei oder der Wertverlust von Immobilien, von den unberechenbaren Folgen des Klimawandels ganz zu schweigen. Berücksichtigt man auch diese Effekte, scheint Schiefergas nicht billig, sondern im Gegenteil sehr teuer zu sein.

Unabhängige Bewertungen der tatsächlichen wirtschaftlichen Auswirkungen von Fracking lesen sich weit nüchterner als die Jubelberichte der Branche. Studien der Cornell University und der Pennsylvania State University zeigen, dass die Schiefergasförderung einem extrem ausgeprägten Konjunkturzyklus unterliegt. Die neu geschaffenen Arbeitsplätze sind in der Regel nicht so zahlreich wie erwartet und werden weitgehend mit Fachleuten von anderswo besetzt. Zwar profitiert die lokale Wirtschaft während des Booms, doch ist der Nutzen ebenfalls geringer als vorhergesagt und zudem von steigenden lokalen Preisen, einer starken Zunahme des Schwerverkehrs, der Verdrängung anderer Unternehmen und einem Zustrom von GelegenheitsarbeiterInnen begleitet, der die lokale Infrastruktur überfordert. Sind die lokalen Vorkommen erschöpft, verschwinden auch die Extra-Jobs und die zusätzlichen Arbeitskräfte, und die lokalen Geschäftszweige, die auf ihrer Basis entstanden, brechen wieder zusammen. Was bleibt, ist eine industrialisierte Landschaft und eine teure, überdimensionierte öffentliche Infrastruktur.

Der Ökonom Nicholas Stern, weltweit bekannt aufgrund seiner Bewertung der Kosten des Klimawandels, hat die Behauptung der britischen Regierung, dass Fracking die nationalen Energiepreise senken würde, als „ökonomisch unhaltbar“ bezeichnet: Erdgas werde in Europa auf einem großen, zusammenhängenden Markt gehandelt, weshalb bei einer geringfügigen Zunahme der Gasförderung in einem einzelnen europäischen Land nur mit unwesentlichen Auswirkungen auf die Inlandspreise zu rechnen wäre.

Barton Moss, Nordengland: Demonstrant stoppt LKW auf dem Weg zur Probebohrung.

Keine Brückenfunktion. Erdgas wird in der Regel als Brennstoff beworben, der eine „Brückenfunktion“ im Rahmen des Übergangs zu erneuerbaren Energien übernehmen müsste. Tatsächlich spricht immer mehr dafür, dass die Expansion der Gasförderung das Gegenteil bewirkt. Selbst der Klimawandelausschuss der britischen Regierung hat gewarnt, dass ein neuer Wettlauf um Gasressourcen Investitionen in erneuerbare Energien verhindern und es unmöglich machen würde, die nationalen Treib­hausgasemissionen wie vorgesehen zu reduzieren.

Immer zahlreichere Studien legen zudem nahe, dass die Technologien der erneuerbaren Energien bereits jetzt gut genug sind, um uns völlig unabhängig von fossilen Energieträgern zu machen. Jeder Mensch könnte heute mit etwa einem Drittel des aktuellen Pro-Kopf-Energieverbrauchs in Europa eine gute, „moderne“ Lebensqualität genießen. Das wäre möglich, wenn wir alle Zugang zu nachhaltigen Mobilitätsoptionen, effizient geheizten bzw. gekühlten Wohnungen und zu lokal erzeugten Nahrungsmitteln hätten – und wenn wir alle weniger Konsumschrott kaufen und weniger fliegen würden als derzeit in den reichen Ländern üblich. Würde die reiche Minderheit des Planeten ihren Energieverbrauch gemäß diesen Vorgaben reduzieren, wäre der Rest der Welt in der Lage, ebenfalls dieses nachhaltige Niveau erreichen, alles auf Basis der heutigen Technologien erneuerbarer Energien.

Klimaeffekte: Illusionär bis fatal. BefürworterInnen des Fracking behaupten gerne, dass die Förderung von Schiefergas die Nachfrage nach Kohle und damit auch die Klimaschädlichkeit der Energieerzeugung in den USA verringert hätte. Tatsächlich ist der Kohleverbrauch in den USA gesunken – 2011 wurde um 22 % weniger Kohle in Kraftwerken verfeuert als 2006. Aber CO2 Scorecard, eine US-NGO, kam anhand von Zahlen aus der Industrie zum Schluss, dass sich diese Reduktion nur zu einem Drittel dem Preisvorteil von Gas gegenüber Kohle verdankte, während der Rest auf andere Faktoren wie Umweltschutzgesetze und Umweltschutzkampagnen zurückzuführen war. Gleichzeitig hat das steigende Angebot von billigem Gas Investitionen in erneuerbare Energiequellen und Energieeffizienz verhindert, womit der Nutzen für die Umwelt insgesamt letztlich gering und bestenfalls kurzfristig war.

Schließlich ist es weiterhin ungeklärt, ob Erdgas aus Frac-Bohrungen tatsächlich weniger Treibhausgasemissionen verursacht als Kohle. Bei der Verbrennung von Erdgas in Kraftwerken entsteht zwar nur halb so viel CO2 pro Kilowattstunde. Das ist aber nicht alles. Erdgas besteht hauptsächlich aus Methan, und bei seiner Förderung und seinem Transport entweicht unweigerlich auch einiges davon in die Atmosphäre – und Methan ist ein mächtiges Treibhausgas. WissenschaftlerInnen haben ausgerechnet, dass Gas bereits bei Leckraten von ca. drei Prozent genauso klimaschädlich wäre wie Kohle. Schiefergas zu verbrennen mag theoretisch weniger klimaschädlich sein als die Verbrennung von Kohle, aber wie häufig das in der Praxis tatsächlich der Fall ist, bleibt dahingestellt.

Aber all das geht vielleicht am wirklichen Problem vorbei. Während Industrie und Politik sich weiterhin über die jährlichen Quoten für Treibhaus­gas­emissionen streiten, haben sich in der Debatte über den Klimawandel neue Perspektiven ergeben. Führende WissenschaftlerInnen sagen nun, dass wir uns nicht darauf konzentrieren sollten, wie viel Treibhausgase wir jährlich in die Luft blasen, sondern dass wir vielmehr Ziele auf Basis der Menge an fossilen Brennstoffen festlegen sollten, deren Förderung wir uns noch leisten können. Sogar die konservative Internationale Energieagentur hat zugegeben, dass wir zwei Drittel der sicheren Kohlenwasserstoffreserven im Boden lassen müssen, um wenigstens eine 50%-ige Chance zu haben, einen unkontrollierbaren Klimawandel zu vermeiden.

Selbst wenn wir also ab morgen keine Kohle mehr verbrauchten, könnten wir nur etwas mehr als die Hälfte der konventionellen Öl- und Gasreserven nutzen. In dieser Gleichung bleibt keinerlei Platz für unkonventionelle Kohlenwasserstoffe; ihre Förderung ist mit der Erhaltung eines erträglichen Klimas einfach unvereinbar.

Die Argumentation mit der Ersetzung der Kohle und der geringeren Treibhausgasintensität ist letztlich irrelevant. Wir müssen uns schleunigst von allen fossilen Energieträgern verabschieden, und der Versuch, eine ganze neue Industrie zu schaffen, die darauf beruht, noch mehr davon zu fördern und zu verbrennen, ist nichts anderes als heilloser Unsinn.

Der Widerstand. Wo sich die Frontlinien im Kampf gegen Fracking manifestieren, ist oft überraschend. In Großbritannien geriet etwa die verschlafene Ortschaft Balcombe in der südenglischen Grafschaft Sussex plötzlich in den Brennpunkt: Anti-Fracking-AktivistInnen aus dem ganzen Land unterstützten die lokale Bevölkerung bei einer Reihe von Blockaden gegen Testbohrungen des Ölunternehmens Cuadrilla. In Tunesien war es der Gewerkschaftsdachverband UGTT, der eine landesweite Kampagne gegen Fracking startete, nachdem die Regierung einen Vertrag mit Shell unterzeichnet hatte. In Frankreich wurde die Regierung durch vehemente Proteste gezwungen, zuerst ein Moratorium für die Schiefergasförderung zu erklären und sie dann völlig zu verbieten. Im Oktober wurde eine Klage gegen das Verbot vom französischen Verfassungsgerichtshof abgewiesen – was sich hoffentlich als wirksames Bollwerk gegen zukünftige Klagen erweisen wird.

Diese Kampagnen verdankten sich allesamt den AktivistInnen in den USA, die die Auswirkungen des Fracking in ihrem Land dokumentiert und selbst einige beachtliche Erfolge vorzuweisen haben, darunter ein Fracking-Moratorium im Bundesstaat New York. In ihnen manifestiert sich jedoch auch ein merkwürdiges Paradoxon: Fracking ist einerseits eine große Bedrohung für das Klima, scheint aber andererseits dem Kampf gegen den Klimawandel einen dringend nötigen Aufwind zu verschaffen, indem sich Menschen aus allen möglichen Gesellschaftsschichten plötzlich zu Allianzen zusammenfinden, die bisher kaum jemand für möglich gehalten hätte.

Copyright New Internationalist

Mit Dank an Caleb Behn, Zahara Choudri, Sam Geall, Lech Kowalski, Lian Lundy, Hugh Macmillan, Sarah Newton, Dom O’Dwyer, Borislav Sandov, Kassie Siegel und Cam Walker.

Danny Chivers ist Umweltjournalist, Umweltforscher und Performance Poet. Er ist der Autor von „The No-Nonsense Guide to Climate Change“ und war einer von 21 AktivistInnen, die im Oktober 2012 ein Gaskraftwerk im englischen Nottinghamshire besetzten, um gegen den von der Regierung geplanten Ausbau der Stromerzeugung durch Gaskraftwerke zu protestieren.

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