Industrieller Fischfang wird heute auf allen Ozeanen der Welt unter Einsatz hoch entwickelter Technologie betrieben: Schleppnetze von der Größe eines Fußballfeldes, bis zu hundert Meilen lange Leinen, Ortung von Fischschwärmen mit Hilfe von Satelliten oder Radarsonden. Doch allen Anstrengungen zur Steigerung ihrer Effizienz zum Trotz ist die Fischfangindustrie in der Krise. Seit Ende der 1980er Jahre geht die weltweite jährliche Fangmenge von 90 Mio. Tonnen um etwa 700.000 Tonnen pro Jahr zurück, die Bestände gerade der Arten mit dem höchsten Nährwert, wie Thunfisch und Kabeljau, schwinden. Die durchschnittliche Größe der einzelnen gefangenen Fische nimmt ab, viele haben nicht einmal die Fortpflanzungsreife erreicht. Der kanadische Meeresforscher Daniel Pauly prägte dafür den Ausdruck „die Nahrungskette hinunterfischen“.
Wie die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) im Mai 2004 bekannt gab, sind 65 Prozent der 200 häufigsten Nutzfischarten entweder bereits überfischt oder werden bis an die Grenze der Regenerationsfähigkeit befischt. Weitere zehn Prozent sind so gut wie ausgerottet oder erholen sich langsam davon. Die kanadischen Grand Banks vor der Küste Neufundlands hatten Jahrhunderte lang vor allem dank ihrer reichen Kabeljau-Bestände zu den besten Fischgründen der Welt gezählt. Überfischung ließ die Fänge zu Beginn der 1990er Jahre kollabieren. Zwölf Jahre nach Erlass eines Fangverbots durch die kanadische Regierung gibt es noch immer kaum Anzeichen für eine Erholung der Bestände. Doch das Desaster der Grand Banks hat zu keinem Kurswechsel in der Fischereipolitik geführt. Die Empfehlungen von WissenschaftlerInnen, Fangquoten zu senken und weniger zerstörerische Methoden anzuwenden, werden aus kurzfristigen ökonomischen Interessen ignoriert oder nur halbherzig befolgt. So forderte der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) in Kopenhagen, die EU solle die Kabeljau-Fischerei in der Nordsee ab 2003 völlig einstellen. Europas Fischereiminister konnten sich jedoch nur auf eine Reduzierung der Quote auf 65 Prozent einigen, was kurzfristig das lokale Aussterben dieser Fischart bedeuten kann. Schon um die Jahrtausendwende war die Biomasse der im Nordatlantik gefangenen Speisefische auf ein Fünftel der Fangmenge von 1950 gefallen, ebenso wie der gesamte Fischbestand. Die überdimensionierten Fangflotten des Nordens weichen zunehmend in südliche Gewässer aus. So zahlt die EU etwa 100 Millionen Euro pro Jahr an Länder des Südens, damit 1.300 europäische Schiffe in deren Gewässern fischen dürfen – eine gängige Praxis im Rahmen der 1982 in Kraft getretenen Internationalen Seerechtskonvention.
Die selbe katastrophale Entwicklung wie im Nordatlantik ist nun auch in Westafrikas Küstengewässern zu beobachten. Moderne Fangschiffe, genannt Trawler, können in einer Nacht so viel fangen wie KleinfischerInnen in einem ganzen Jahr. Darunter leiden nicht nur die um 80 Prozent geschrumpften Fischbestände, sondern auch die BewohnerInnen der Küstengemeinden, für die Fisch seit jeher die wichtigste Proteinquelle darstellt. Der Nationalpark Banc d’Arguin an Afrikas nördlicher Atlantikküste, ein riesiges Flachwassergebiet von der halben Größe Belgiens, zählt zu den letzten großen Fischfanggebieten der Erde. Mit 250.000 Tonnen pro Jahr bestreitet die EU die Hälfte des gesamten Fischfanges durch ausländische Schiffe. Die etwa 600 ausländischen Trawler fangen das Dreißigfache der Menge, die einheimische Boote an Land ziehen.
Für Callum Roberts von der Universität York, einen der führenden ExpertInnen für marine Reservate, ist das ein Skandal: „Ausländische Fangschiffe berauben afrikanische Gewässer ihres Fischreichtums. Sie haben internationale Verträge unterzeichnet, die nachhaltiges Fischen vorsehen. Doch nachdem sie dazu daheim nicht in der Lage waren, zerstören sie nun die Zukunft der Fischerei in Afrika.“
Auch dem Südpazifik, der größten noch verbleibenden Region der Welt mit bedeutenden Thunfisch-Vorkommen, droht das selbe Schicksal der Überfischung. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich die Fangmenge vervierfacht. Auf einheimische Fischer entfällt ein Zehntel des jährlichen Fangs. Die restlichen 1,8 Mio. Tonnen im Gegenwert von zwei Milliarden Dollar fischen ausländische Flotten, wofür die pazifischen Inselstaaten im Jahr kaum 100 Mio. US-Dollar erhalten. Wie eine Gruppe von Meeresforschern um Ransom A. Myers von der Universität Dalhousie in Halifax unlängst durch vergleichende Studien von Fischereien in aller Welt gezeigt hat, pflegen industrielle Fangflotten die Biomasse einer vorher nicht befischten Art innerhalb von 15 Jahren auf ein Fünftel des ursprünglichen Werts zu dezimieren. Sie berichtete auch, dass die Ozeane der Welt mehr als neun Zehntel ihrer großen Raubfische verloren haben.
Das rasante Wachstum der industriellen Aufzucht von Fischen und Schalentieren – 38 Millionen Tonnen wurden im Jahr 2001 erzeugt – hat bisher ermöglicht, dass der Fischkonsum trotz des Rückgangs der Fangmengen zunehmen konnte. Schon heute stammt die Hälfte der in den USA verzehrten Meeresfrüchte aus Aquakulturen. Doch die Hoffnung, Aquakultur könne dazu beitragen, den Druck auf wilde Fischbestände zu mildern, trifft nur für jene Arten zu, die (wie Muscheln, Tilapia oder Wels) ohne Fütterung mit Fischmehl aufgezogen werden können. Fischmehl und Fischöl werden aus sonst für den menschlichen Verzehr geeigneten kleinen Fischen wie Hering, Sardinen, Anchovis oder Makrelen gewonnen. Ihre Verwendung bei der Zucht von Lachsen, Thunfischen oder Garnelen fördert daher die Überfischung. Um ein Kilogramm Lachs zu erzeugen, sind bis zu fünf Kilogramm Fischmehl erforderlich. Dazu kommen von solchen Fischfarmen verursachte Umweltschäden wie die Zerstörung von Lebensräumen (z.B. Mangrovenwäldern), Belastungen durch Abfälle, die Einführung nicht heimischer Arten und die Begünstigung von Krankheitserregern.
In einem jüngst erschienenen Bericht warnen mehrere Umweltorganisationen, die Überfischung kleiner Fische zur Lachszucht gefährde marine Ökosysteme in aller Welt. „Aquakultur kann nicht einfach weiter expandieren, ohne jede Maßnahme zur Sicherung ihrer Nachhaltigkeit“, erklärte dazu Rebecca Boyd von der Umweltschutzorganisation WWF (World Wide Fund For Nature).
Unter MeeresbiologInnen hat sich auch die Einsicht durchgesetzt, dass anstelle der Dynamik einzelner Fischpopulationen ganze marine Ökosysteme zu untersuchen sind, um deren Struktur und Funktion zu sichern oder wiederherzustellen. Dazu müsse auf Fischereimethoden verzichtet werden, die den Meeresboden zerstören; marine Reservate seien einzurichten, in denen der Fischfang verboten ist. In die selbe Richtung gehen auch die von Fischerei-ExpertInnen seit Jahren erhobenen Forderungen, die globale Fangflotte radikal zu verkleinern, Subventionen für Schiffe zu streichen und Techniken zurückzudrängen, die Lebensräume schädigen oder für so genannten Beifang verantwortlich sind, Tiere, die unabsichtlich mit gefangen und dann weggeworfen werden.
Die Einrichtung von Reservaten, die bisher nur 0,01 Prozent der Meeresfläche ausmachen, wird ein entscheidender Faktor sein. Ein 1995 zum Schutz von Korallen errichtetes Netzwerk von Reservaten bei St. Lucia in der Karibik hat die Fangmengen kleiner Fischer in der Umgebung um bis zu 90 Prozent erhöht. Inzwischen wächst auch die Anzahl der Nationen, die Maßnahmen im Sinne des 1995 von der FAO veröffentlichten Verhaltenskodex für verantwortungsbewusste Fischerei setzen. So haben Island und Neuseeland ihre Flotten verkleinert und überwachen streng die Einhaltung maximal zulässiger Fangraten. Auf Initiative indischer KleinfischerInnen wurde im November 1997 in Neu-Delhi das „World Forum of Fish Harvesters and Fishworkers“ (WFF) gegründet. Es tritt für nachhaltigen Fischfang und Maßnahmen gegen die Verlegung von Fangflotten vom Norden in den Süden ein. Der 21. November, sein Gründungstag, wurde zum Weltfischereitag erklärt. Die Nachfolgeorganisation „World Forum of Fisher Peoples“ (WFFP) wird im November in Kenia ihre Generalversammlung abhalten. Sie wird dort fordern, dass dem Süden sein für Millionen von Menschen lebenswichtiger Anteil an den Ressourcen des Meeres nicht länger entzogen wird.
Buch- und WebtipsMark Kurlansky:
Kabeljau. Der Fisch, der die Welt veränderte. Econ Ullstein List Verlag, München 2001
Daniel Pauly und Jay Maclean:
In a Perfect Ocean: The State of Fisheries and Ecosystems in the North. Island Press, 2003
Thomas L. Crisman u.a. (Hg.):
Conservation, Ecology and Management of African Fresh Waters. University Press of Florida, Gainesville (u.a.) 2003
Aliou Sall, Michael Belliveau und Nalini Nayak:
Conversations. A Trialogue on Power, Intervention and Organization in Fisheries. International Collective in Support of Fishworkers, Chennai 2002
FAO: www.fao.orgWorldFishCenter: www.worldfishcenter.orgInternational Collective in Support for Fishworkers: www.icsf.orgDeepwave: www.deepwave.orgSea Around Us Project: www.seaaroundus.orgFisch-Informationszentrum: wwww.fischinfo.deZeitschrift mare: www.mare.de