Die jüngsten Maßnahmen „zum Schutz der kubanischen Revolution“ sind ein Geschenk für die aggressive Bush-Politik und treiben die Antilleninsel noch weiter in die Isolation.
Eigentlich begann dieses Jahr ganz gut für Kuba. Die Beziehungen zur Europäischen Union intensivierten sich und gipfelten in der ersten Märzhälfte in der Eröffnung eines EU-Büros in Havanna. Der Entwicklungs-Kommissar aus Brüssel, Poul Nielson, nutzte einen fast einwöchigen Aufenthalt auf der Antilleninsel zu zahlreichen Gesprächen über die künftige Zusammenarbeit. Die Aufnahme in die AKP-Staaten (fast 80 ehemalige Kolonien aus Afrika, der Karibik und der Pazifikregion, die von der EU besondere Wirtschafts- und Handelshilfen erhalten) wurde in Aussicht gestellt. Der Aufnahmeprozess wurde mittlerweile auf Eis gelegt.
Nur wenige Tage nach Abreise des hohen Gastes aus Brüssel begann eine Welle von Festnahmen in Kreisen der Opposition, vor allem unter Menschenrechts-AktivistInnen und Journalisten. Und schon Anfang April begann ein Monster-Prozess gegen 78 Dissidenten, angeklagt der konspirativen Tätigkeit in Zusammenarbeit mit einer ausländischen Macht, sprich USA. Die rechtliche Grundlage des Vorfahrens war das demokratiepolitisch äußerst fragwürdige „Gesetz zur Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit und der Wirtschaft Kubas“ von 1999, das alle potenziell staatsfeindlichen und wirtschaftsschädigenden Aktivitäten unter hohe Strafen stellt. Und so wurden die Angeklagten zu Gefängnisstrafen zwischen und sechs und 28 Jahren verurteilt.
Aber selbst diesen Prozess hätte Kuba in den Augen der Weltöffentlichkeit zu seinen Gunsten wenden können. Etwa ein dutzend AgentInnen der kubanischen Staatssicherheit hatte seit Jahren die Zirkel der Dissidenten unterwandert und beim Prozess belastendes Material gegen die Angeklagten und Beweise für ihre Zusammenarbeit mit James Cason, seit vergangenem September Leiter der US-amerikanischen Interessenvertretung in Havanna, vorgelegt. Doch diese Blamage für die Kuba-Politik Washingtons wurde durch die Prozessführung wieder zunichte gemacht: die Eile des Verfahrens, die hohen Strafausmaße, der Ausschluss der Öffentlichkeit und internationaler Beobachtung. Was zu einem Propagandaerfolg für Kuba hätte führen können, wurde nun international als weiteres Beispiel für die Unterdrückung der Meinungsfreiheit präsentiert.
Der Paukenschlag erfolgte dann kurz nach dem Prozessende. Im Verlauf des März war es zu mehreren Entführungsaktionen von Flugzeugen und Schiffen ins nahe gelegene Florida gekommen. Die Entführung einer Fähre scheiterte – aus Treibstoffmangel. Am 5. April begann ein Prozess gegen elf Entführer; sechs Tage später wurden drei von ihnen hingerichtet.
Diese aus menschenrechtlichen und juridischen Gründen – es war bei der Entführung zu keiner Gewaltanwendung gekommen – äußerst fragwürdige Maßnahme hat dann nach einigen Tagen des Schreckens zu einer Welle von Protesten aus den Reihen der SympathisantInnen der kubanischen Revolution geführt. Der portugiesische Literaturnobelpreisträger José Saramago kündigte öffentlich seine Unterstützung Kubas auf, der uruguayische Historiker Eduardo Galeano sprach von „Sünden gegen die Hoffnung“. Mit Schmerzen stelle er fest, so Galeano, dass sich in Kuba „die Zeichen einer fortgeschrittenen Dekadenz der Macht mehren“.
Nach dem blamablen Fehlschlag der Schweinebucht-Invasion 1961 sind die US-Präsidenten vor direkten militärischen Interventionen in Kuba zurückgeschreckt und „beschränkten“ sich auf wirtschaftlichen und politischen Druck. Doch durch Präsident George W. Bush und im Besonderen durch den Irak-Krieg wurden die Karten nun neu gemischt. Eine militärische Invasion Kubas ist wieder in den Bereich des Möglichen gerückt. Das weiß Fidel Castro genau. „Wir befinden uns mitten in einer Schlacht gegen die Provokationen, die zu einem Konflikt und einer militärischen Aggression der USA führen sollen“, stellte der kubanische Revolutionsführer im vergangenen April in einer Ansprache klar.
Die kubanische Armee ist sicherlich viel besser auf einen Angriff aus dem Norden vorbereitet als Saddam Husseins Truppen, und ihr Widerstandspotenzial ist wesentlich höher, weshalb sich Washington eine Invasion sehr wohl überlegen wird. Doch wäre es für Kuba ebenso wichtig, im Falle eines Angriffs nicht nur ein militärisches, sondern auch ein möglichst hohes politisches Risiko für Washington darzustellen. Und gerade hier dürfte Castro mit der nun demonstrierten innenpolitischen Härte einen kapitalen Fehler begangen haben: Er hat Bush geholfen, das politische Risiko einer militärischen Intervention auf ein Minimum zu reduzieren.
Mit der Isolation, in die er sein Land in den letzten Monaten geführt hat, hat der kubanische Revolutionsführer zumindest vorübergehend ein wichtiges Standbein seiner Herrschaft gekappt: die internationale Sympathie und Solidarität mit einem Regime, das dabei war, als Gegenpol zum nordamerikanischen Kriegs-Imperialismus immer mehr Punkte zu sammeln.
Die Spekulationen über die wirklichen Hintergründe der harten Gangart des kubanischen Regimes laufen indessen weiter. Die Erschütterungen des Irak-Krieges spielen dabei offenbar eine große Rolle.
Kuba ist sich der hohen politischen Kosten seiner Haltung bewusst. Außenminister Felipe Pérez Roque erklärte im April vor hundert AuslandsjournalistInnen in Havanna: „Wenn andere ihre Souveränität nicht verteidigen – wir tun das sehr wohl. Und das kommt uns teuer zu stehen. Wir kennen den Preis, doch sind wir nicht bereit, auf unsere Souveränität zu verzichten.“
Der Schnellprozess gegen die Dissidenten und die Hinrichtung der Entführer ist also nicht als Zeichen innerer Schwäche zu werten und auch nicht primär als Warnung an die Opposition, sondern als direkte Botschaft an Bush & Co. Kuba hat offenbar der Verteidigung seiner Souveränität – die es durch die Haltung der Vereinigten Staaten direkt angegriffen sieht – oberste Priorität eingeräumt. Weitere wirtschafts- oder demokratiepolitische Reformschritte sind daher für die nächste Zeit nicht zu erwarten. Alle Zeichen stehen auf eine sich verschärfende Konfrontation mit Washington; eine Auseinandersetzung, die vom mächtigen Feind im Norden bewusst gewünscht und angeheizt wird.