Was sollen wir tun? Mit dem Autofahren aufhören?“, fragt ein Mann im Publikum. Alle kichern. Ifie Lott aus Nigeria antwortet: „Ja, wenn das hilft, dass in meinem Dorf niemand mehr sterben muss, dann möchte ich, dass Sie mit dem Autofahren aufhören.“ Es folgt ein langer Applaus. Diese Episode trug sich im November 2008 während des Dokumentarfilm-Festivals in Amsterdam zu, als der halbstündige Film „Poison Fire“ des schwedischen Regisseurs Lars Johansson vorgestellt wurde. Der Film behandelt das Umwelt- und Menschenrechtsdesaster im Niger-Delta in Nigeria. Am Pranger: die holländisch-britische Ölfirma Shell.
Shell begann 1956 mit der ersten Ölbohrung im Dorf Oloibiri. Heute ist Nigeria der achtgrößte Ölexporteur der Welt. Ein gravierendes Umweltproblem im Delta stellt nach wie vor das Abfackeln von Erdgas dar, das bei der Ölförderung anfällt. Regisseur Johansson begleitete Ifie Lott durch das Niger-Delta. Die Volontärin der Umweltorganisation Friends of the Earth dokumentierte per Videokamera die Folgen der Ölförderung. Johansson zeigt den gewaltfreien Widerstand der Bevölkerung. Die nigerianische Regierung, die ebenso Mitverantwortung trägt, kommt im Film allerdings glimpflich davon.
Immer wieder richtet sich die Kamera auf die riesigen Feuerherde: Mächtig, laut und furchterregend schießen die Flammen in den Himmel. Tag und Nacht. Ihre Hitze ist im Film nahezu spürbar. Die Rauchsäulen sind sogar auf Satellitenaufnahmen zu sehen.
Die Ölförderung verursacht ein Umweltdesaster im 24.000 Quadratkilometer großen Gebiet – und das seit mehr als 50 Jahren. Das Delta ist dicht besiedelt, etwa 20 Millionen Menschen leben hier. Laut Umweltaktivist Chima Williams seien die Probleme enorm: Das Verbrennen des Gases verursache Luftverschmutzung, sauren Regen, die Menschen hätten Atemprobleme, Augenentzündungen. Zusätzlich verschmutze auslaufendes Öl das Wasser, Tiere und Pflanzen stürben. Die jährliche Ölverschmutzung im Delta sei mit dem Exxon-Valdez-Desaster, als aus einem aufgelaufenen Öltanker 40.000 Tonnen Öl das Meer verpesteten, zu vergleichen, sagt Johansson. „Ich war schockiert, als ich ins Delta kam. Ich habe mich gefragt, wieso ich über dieses Desaster bisher kaum etwas gehört habe“, berichtet der Regisseur. Shell macht illegales Anzapfen von Ölpipelines und den florierenden Schwarzmarkt mit abgezweigtem Öl für die Umweltverschmutzung verantwortlich. Auch Greenpeace bestätigt dies. Erschwerend kommt die allgemeine unsichere Lage in der Region hinzu. Bisher gibt es keine genauen Untersuchungen über Ausmaß und Ursachen der Verschmutzung.
Laut Weltbank liegt Nigeria beim Abfackeln von Gas weltweit an zweiter Stelle – mit 16,8 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, nach Russland, wo 50 Milliarden Kubikmeter jährlich verbrannt werden. Regisseur Johansson weist darauf hin, dass der CO2-Ausstoß durch das Abfackeln den Emissionen von 18 Millionen Autos im Jahr entspricht. Allerdings sei es sogar oft besser, das Gas zu verbrennen, gibt Klimaexpertin Silva Herrmann von Global 2000 zu bedenken, denn: „Das Abfackeln von Methangas ist klimafreundlicher als es einfach ausströmen zu lassen.“ Die Alternative wäre, das Gas vor Ort für die Energie- und Stromerzeugung zu nutzen. Darin sind Umweltorganisationen und Shell sich einig. Doch braucht man dafür eine entsprechende Infrastruktur wie Kraftwerke, Leitungen. „Shell hat in Nigeria gerade ein Kraftwerk gebaut, doch das ist nicht unser Kerngeschäft“, erklärt Shell-Sprecher Rainer Winzenried. „Wir können zuliefern, aber es fehlt an staatlicher Infrastruktur.“ Greenpeace vermutet, dass es sich für Shell finanziell nicht auszahle, das Gas vor Ort zu verwenden, da die Bevölkerung so verarmt ist. „Die Sicherheitslage macht es zusätzlich schwierig ein Gasnetz zu errichten“, so der Greenpeace-Experte Jurrien Westerhof.
„Es ist unglaublich, wie völlig anders sich Shell in Nigeria als in Europa verhält“, ärgert sich Rechtsanwalt Chima Williams, federführende Gestalt im Widerstand. Im Mai 2008 hat er dem niederländischen Minister für auswärtigen Handel, Frank Heemskerk, die Umweltsituation im Niger-Delta geschildert. „Er war sehr überrascht und forderte, dass sich Shell in Afrika nach europäischen Standards verhalten soll. Er bedankte sich für die Information, aber machte keine Versprechen“, kommentiert Williams, den sein jahrelanges Engagement immer wieder nach Europa führt, das Treffen. Auch das europäische Parlament sei an der Entwicklung im Niger-Delta „interessiert“. Aber konkret würden europäische PolitikerInnen nichts unternehmen.
„Ich kämpfe nicht gegen die Ölfirmen, sondern für die Rechte der Menschen“, erklärt Williams sein Anliegen. „Make gas flare history“, steht auf seinem T-Shirt.
Er und seine MitstreiterInnen waren so wütend, dass sie zu Gericht gingen. Zuerst klagten sie die Ölfirmen in Port Harcourt, parallel dazu auch beim Obersten Gerichtshof in Benin City, wo sie erfolgreich waren. Der Richter forderte die Ölfirmen in Nigeria auf, das Gas-Abfackeln sofort zu beenden, weil es illegal sei und gegen die Grundrechte auf Leben und Menschenwürde verstoße. Die Firmen sollten bis 31. Mai 2007 einen Ausstiegsplan präsentieren. Dem ist Shell nicht nachgekommen, sondern hat Berufung eingelegt. Seit zehn Jahren löst das Unternehmen samt der beteiligten Regierungs-Ölfirma NNPC die vielen Versprechen nicht ein. Beteiligt an dem Joint Venture sind nach Darstellung von Shell neben NNPC mit 55 und Shell mit 30 Prozent auch Total mit zehn und Agip mit fünf Prozent.
„Ich erkenne Nigeria und das Niger-Delta in diesem Film nicht wieder“, kommentiert der Konzernsprecher Winzenried „Poison Fire“ knapp. Dass Shell die Zielvorgaben nicht eingehalten habe, räumt er ein. Aber: „Zu einem guten Teil werden wir auch instrumentalisiert.“ So würden oft auf dem Rücken der Energiewirtschaft politische Konflikte mit der Regierung ausgetragen. „Ich will nicht alles nur entschuldigen, doch der Staat kassiert enorme Gewinne. Aber wo bleibt das Geld?“, fragt Winzenried und meint: „Ich habe Mitgefühl für die Bevölkerung. Dort ist nichts. Zu wenige Krankenhäuser, zu wenige Schulen, keine Infrastruktur. Alles staatliche Aufgaben. Ich verstehe, dass die Leute sauer sind.“
„Wenn meine Regierung so korrupt ist, warum macht Shell dann Geschäfte mit ihr?“, fragt hingegen Ifie Lott. Korruption ist für den Ölkonzern sicher kein Grund, auf lukrative Geschäfte zu verzichten. Denn trotz Produktionseinbußen verzeichnete Shell im Jahr 2007 weltweit 31 Milliarden Euro Gewinn. Anwalt Williams ist der Meinung, dass es Aufgabe des Konzerns wäre, das Gas-Abfackeln auf eigene Kosten zu beenden. Die Regierung habe ihren Anteil geleistet, indem das Gericht so eindeutig gesprochen habe. Allerdings ist der Staat Nigeria in einem wichtigen Punkt säumig: Mit den Gewinnen aus der Ölförderung könnte die Infrastruktur errichtet werden, um die wertvolle Ressource Erdgas zur Energieerzeugung zu nutzen.
Kurzfilm auf
http://poisonfire.org Eine längere Version für Kino und Fernsehen ist in Arbeit.