Gedanken von Welt: Fang den Wind!

Von Kyaw Soe · ·
Kyaw Soe aus Myanmar auf einem Segelboot
Kyaw Soe aus Myanmar hat in Deutschland sowohl die Sprache, als auch den Segelsport erlernt © privat

In meiner Kindheit in Myanmar habe ich oft Figuren in Zeichentrickfilmen gesehen, die Schmetterlinge mit einem an einem Netz befestigten Stock fingen. Ähnliches konnte ich bei meinen ersten Segel-Erlebnissen in Berlin beobachten.

In Myanmar ist Segeln kein weit verbreiteter Sport. Ich habe es hier in Deutschland über Freunde begonnen und inzwischen ist es ein fester Bestandteil meines Lebens geworden. Statt Schmetterlingen auf einer Wiese mit spielenden Kindern nachzujagen, bin ich mit sportelnden Erwachsenen auf dem Wasser unterwegs. Wir fangen den Wind mit einem Alurohr, dem Spinnaker-Baum, mit dem ein großes, oft farbiges ballonartiges Segel geführt wird, ein, damit das Boot schneller fährt. Ich gehörte bei einer Regatta vergangenen Frühsommer zum dreiköpfigen Team eines solchen aus der so genannten H-Boot-Klasse.

Bei uns an Bord waren wir zur Verständigung auf zwei Sprachen angewiesen, denn nur eine Person sprach sowohl Englisch als auch Deutsch, während ich nur Englisch, aber kein Deutsch sprach und der andere Kollege sich mit Englisch schwertat. Während des Wettkampfes beschränkte sich unser Wortschatz deshalb nur auf die allerwichtigsten Stichworte. Es war schlicht keine Zeit für Übersetzungen oder lange Erklärungen. So riefen meine Teamkolleg:innen etwa bei der Annäherung an die Luv-Tonne einfach nur „Boom, boom!“. Normalerweise würde ich das vielleicht mit der Actionfigur James Bond 007 in Verbindung bringen. Aber für mich war es die so knappe wie klare Ansage schnell aufs Vordeck zu gehen und beim raschen Setzen des schon erwähnten Spinnaker-Baums zu helfen. Alles in allem waren wir recht erfolgreich unterwegs und konnten am Ende den dritten Platz von 26 belegen.

Übungssachen Deutsch und Segeln

Ehrlich gesagt erfüllte mich der Beifall bei der Preisverleihung, nachdem der Wettfahrtleiter unser Team aufgerufen hatte, mit Freude und Stolz. Jeder von uns bekam ein Glas mit dem eingravierten H-Boot-Symbol. Es war meine erste Auszeichnung bei einer Regatta überhaupt und wird mir ein Leben lang in Erinnerung bleiben.
Zurzeit fühle ich mich angesichts des Militärregimes in meiner Heimat staatenlos und weiß nicht, wohin mich meine Reise noch führen wird. Ich bin jedoch sicher, dass diese Medaille in meiner Nähe bleiben wird. Derzeit hat sie einen prominenten Platz am Kopfende meines Bettes. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, gibt sie mir Kraft und stärkt meine Entschlossenheit – etwa beim für mich mühsamen Erlernen der deutschen Sprache.

Ich habe gelernt zu beurteilen, ob der Wind zum Segeln ausreicht. Ich beobachte die Wolken, den Zustand des Wassers und erkenne die Böen. Ich verstehe den Unterschied zwischen günstigem und ungünstigem Wind und weiß, was es bedeutet, zu kreuzen und Großsegel und Fock zu balancieren.

Segeln mag wie der Antrieb eines Bootes auf dem Wasser erscheinen. Aber in meinem Kopf fühlt es sich an, als würde ich in der Luft schweben. In Wahrheit ist die Grenze zwischen dem Schweben auf dem Wasser und dem Schweben in der Luft ein fließender. Für mich verkörpert das Segeln die Kunst, das schwer fassbare Wesen des Windes einzufangen. Eine Übungssache allemal, genau wie Deutsch.

Der Videojournalist und Fotograf Kyaw Soe ist vor dem Militärregime in Myanmar nach Deutschland geflüchtet, wo er seit zweieinhalb Jahren wohnt – und segelt. Wie er das erlebt, hat er mithilfe von Sven Hansen, der immer wieder für das Südwind-Magazin schreibt, in Worte gefasst. 

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