Falsche Versprechen

Von Redaktion · · 2008/11

Henry Ford träumte von Kunststoffautos aus Soja, und heute träumen auch Dow, DuPont und andere Chemiekonzerne von einer „grünen“ Zukunft. Doch Biokunststoff, argumentiert NI-Autor Jim Thomas, ist nicht die Öko-Lösung, zu der er hochstilisiert wird.

Biokunststoff ist eigentlich nichts anderes als Kunststoff, der aus pflanzlichen Rohstoffen und nicht aus Erdöl hergestellt wird. Das ist an sich weder neu noch unbedingt ökologisch sinnvoll. Die ersten Kunststoffe wie etwa Zelluloid wurden aus Zellulose hergestellt, bevor sich Erdöl als billigerer Rohstoff erwies. Und heute, mit den stark steigenden Ölpreisen, sind es ebenfalls die geringeren Rohstoffkosten und nicht „grüne“ Grundsätze, die Biokunststoffe für Chemieunternehmen wieder attraktiv machen.
„Grün“ bedeutet für die Kunststoffindustrie vor allem neues Geld – einen ganzen Haufen davon. Der Marktanteil von Biokunstststoffen liegt zwar nach Branchenangaben noch weit unter einem Prozent. Doch der Umsatz beläuft sich bereits auf eine Mrd. US-Dollar jährlich, und er könnte bis 2012 auf mehr als zehn Mrd. Dollar zunehmen. Zwar wird versucht, Biokunststoffe als „naturnah“ zu vermarkten; die Hersteller sind aber die selben Agroindustrie- und Chemiekonzerne, die weiterhin toxische Produkte verkaufen und industrielle Monokulturen fördern. ADM und Cargill – die zusammen einen Großteil des Weltgetreidehandels kontrollieren – sind mit den Produktlinien NatureWorks und Mirel zwei der wichtigsten Akteure, ebenso wie DuPont, BASF und Dow, drei der größten Chemieunternehmen der Welt.

Biokunststoffe können (biologisch) abbaubar sein oder auch nicht. Viele Biokunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen – wie etwa Sorona von DuPont – machen keine Anstalten, sich in der Umwelt zu zersetzen. Selbst jene, die angeblich abbaubar sind, wirken sich vielleicht nur geringfügig auf den Umfang des Plastikmülls aus. Die „abbaubaren“ Tragtaschen, die in vielen Supermärkten angeboten werden, sind großteils Produkte der Petrochemie. Theoretisch zerfallen sie innerhalb einiger Jahre durch die Einwirkung von Sonnenlicht und Sauerstoff. In einem aktuellen Bericht der australischen Regierung heißt es dazu jedoch: „Für viele abbaubare Polymere reichen die vorliegenden Daten nicht aus, um mit Sicherheit angeben zu können, wie lange es dauert, bis sie völlig biologisch abgebaut sind.“ Im selben Bericht wird darauf verwiesen, dass sie bloß in kleinere Teile zerfallen könnten, die mit höherer Wahrscheinlichkeit von „kleineren Tieren wie eben ausgeschlüpften Seeschildkröten“ verschluckt werden. Über den Wert abbaubarer Kunststoffe für die Umwelt herrscht daher verbreitete Skepsis.
Biologisch abbaubare Biokunststoffe kommen in den Medien etwas besser weg. Diese Kunststoffe zerfallen – in der Regel in industriellen Kompostwerken – unter Einwirkung von Hitze und von Mikroorganismen und Enzymen in ihre Grundbestandteile und Mineralstoffe. Die Verwesung muss mit standardisierten Tests gemessen werden und innerhalb eines bestimmten Zeitraums ablaufen, der sich je nach Kompostiermethode unterscheidet. Leider gibt es derzeit so wenige Kompostwerke, dass nur ein Bruchteil der biologisch abbaubaren Kunststoffe dort landet. Ingeo – ein von NatureWorks entwickeltes Polylactid – ist einer der „kompostierbaren“ Kunststoffe, der sich in gewöhnlichen Komposthaufen nicht zersetzt. Das Material kann außerdem mit dem für Plastikflaschen verwendeten PET (Polyethylenterephthalat) verwechselt werden und dadurch existierende Recyclingkreisläufe beeinträchtigen.

Soviel zum Abbau. Aber fossile Brennstoffe durch Pflanzen zu ersetzen, das muss doch eine gute Idee sein, oder? Das ist die Voraussetzung, auf der der „grüne“ Anspruch der Biokunststoffe großteils beruht. Doch wie sich am Beispiel der Agrotreibstoffe gezeigt hat, ist ein Umstieg vom Öl auf Biomasse als Treibstoff unserer Industriegesellschaft auch mit Problemen verbunden – mit Hunger etwa. Wenn die Kunststoffproduktion auf pflanzliche Rohstoffe umgestellt wird, werden Land und Erträge, die ansonsten Menschen ernährt hätten, dem Gewinnstreben der Kunststoffindustrie geopfert. Wenn es bei herrschendem Hunger inakzeptabel ist, Nahrungsmittel in Treibstoffe zu verwandeln, sollte es noch weit inakzeptabler sein, sie in Tragtaschen zu verwandeln.
Ein Beispiel ist der DuPont-Biokunststoff Sonora, eine Faser, die für Teppiche, Kleidung und Autoteile verwendet wird. 2007 errichtete DuPont eine Bioraffinerie im US-Bundesstaat Tennessee, die jährlich 6,4 Millionen Bushel Mais (ca. 220.000m3) in rund 4.500 Tonnen Kunststoff verwandelt. Die nötige Anbaufläche bloß für dieses Werk beläuft sich auf 16.000 Hektar. 2010 will DuPont 25 Prozent seiner weltweiten Chemikalien- und Kunststoffproduktion auf nachwachsende Rohstoffe umstellen, in der Hoffnung, letztlich überhaupt aus dem Erdöl auszusteigen.
Laut dem Beratungsunternehmen bio-era handelt es sich um einen Branchentrend. Ein Fünftel der weltweiten Produktion von Chemikalien und Kunststoffen, ein 1.800 Mrd.-Dollar-Geschäft, könnte 2015 auf pflanzlichen Rohstoffen basieren, großteils auf stärke- oder zuckerhaltigen Feldfrüchten. Addiert man das zu dem Mais und anderen Agrarerzeugnissen, die bereits zur Treibstoffherstellung genutzt werden, ergibt das eine gigantische Menge, mit der man stattdessen Menschen ernähren könnte.

Wie um den Kreis zu schließen, scheinen Agrotreibstoffe tatsächlich zum neuesten Rohmaterial für Biokunststoffe zu werden. Ende 2009 will Brasiliens größtes petrochemisches Unternehmen, Braskem, eine 150 Mio. Dollar teure Fabrik eröffnen, die jährlich 200.000 Tonnen Polyethylen (u.a. verwendet für Tragtaschen) aus Zuckerrohr-Ethanol erzeugen soll. Die Zuckerrohrplantagen für die Ethanolproduktion bedecken heute in Brasilien bereits rund sechs Mio. Hektar Land und stoßen wegen der Vernichtung von Waldflächen und Sklavenarbeit auf heftigen Widerstand. Das World Rainforest Movement warnt, dass der brasilianische Cerrado, ein zwei Millionen km2 großes Wald- und Savannengebiet mit extrem hoher Biodiversität, von Zuckerrohrplantagen zerstört wird. Die Expansion von Zuckerrohr-Monokulturen durch mächtige Oligopole liegt „beinahe allen sozial-ökologischen Konflikten in Brasilien und im gesamten übrigen Lateinamerika“ zugrunde, versichert die Aktivistin und Anwältin Camila Moreno von der brasilianischen Nichtregierungsorganisation Terra de Direitos.
An den meisten agroindustriellen Rohstoffen ist nichts nachhaltig und schon gar nichts biologisch. Stärke für Biokunststoffe wird heute wahrscheinlich hauptsächlich aus gentechnisch modifiziertem Mais hergestellt. Kunststoffe aus Kartoffeln – wie die Marke Bioplast der britischen Stanelco – sind ebenso problematisch. Kartoffeln weisen eine der höchsten Pestizid-Belastungen aller Nahrungsmittel auf, warnt die Environmental Watch Group in den USA – die Verbindungen zwischen Gentechnik und zukünftigen Biokunststoffen sind allgegenwärtig. Neben Maissorten sind bereits vier gentechnisch modifizierte Kartoffelsorten zum Anbau in Nordamerika zugelassen, und BASF hat auf gentechnischem Weg eine speziell auf den Biokunststoffmarkt ausgerichtete Kartoffel entwickelt („Amflora“), die vor der Zulassung in der EU steht.
Tatsächlich bewerben nur zwei größere Biokunststoffhersteller, die italienische Novamont und die kanadische EarthCycle, ihre Produkte als „gentechnik-frei“. NatureWorks von Cargill bietet KonsumentInnen u.a. die skurrile Option, die Verwendung von genveränderten Rohstoffen durch einen Aufpreis zu „kompensieren“. Die Gentechnik wird vielleicht bald soweit sein, Kunststoffe direkt in den Pflanzen zu erzeugen. Sollten solche „Plastik-Pflanzen“ in die Nahrungsmittelversorgung gelangen, würde dies ernsthafte Umwelt- und Gesundheitsprobleme aufwerfen.

Schließlich gibt es die synthetische Biologie. Anders als der bisherigen Gentechnik geht es ihr nicht darum, etwa bloß Gene zwischen Arten zu transferieren, sondern neuartige, künstliche biologische Systeme zu erzeugen. Maschinell erzeugte DNA-Moleküle werden zu neuen genetischen „Programmen“ zusammengefügt, die Organismen wie Bakterien, Hefe oder andere Mikroben „übernehmen“, um derart Zucker in Kunststoff zu verwandeln. Der Biokunststoff Sonora von DuPont etwa wird ausschließlich mittels Hefe erzeugt, die eine völlig künstliche, von Genencor entwickelte DNA enthält. Für den Biokunststoff Mirel von ADM wird eine synthetische Mikrobe verwendet, die von Metabolix gebastelt wurde. Alle Bedenken, die den Vormarsch genveränderter Organismen begleitet haben (genetische Kontamination, fehlende Sicherheitsprüfungen, Eigentumsansprüche von Unternehmen), gelten umso mehr für die synthetische Biologie, die bisher keiner Regulierung, Auszeichnungspflicht oder obligatorischen Sicherheitsprüfung unterliegt.
Im Eigentum von Konzernen, keine biologische Abbaubarkeit, Stärkung der industriellen Landwirtschaft, immer weitreichendere gentechnische Eingriffe: Begeisterung über die grüne Zukunftsvision der Kunststoffindustrie will da nicht so recht aufkommen. Immerhin aber gibt es Versuche, die Entwicklung in vernünftigere Bahnen zu lenken. So arbeitet das Netzwerk „Sustainable Biomaterials Collaborative“ (SBC), in dem sich 16 zivilgesellschaftliche Organisationen und ethisch verantwortliche Unternehmen zusammengeschlossen haben, an der Definition eines tatsächlich „nachhaltigen“ Biokunststoffs.

Warum das Netzwerk ins Leben gerufen wurde, erklärt einer der Gründer, Tom Lent, so: „Die Versprechungen der Biokunststoffe wurde nicht umgesetzt.“ SBC hat ein Grundsatzdokument, die „Sustainable Bioplastics Guidelines“*) veröffentlicht, das auf zwölf vernünftigen Prinzipien beruht – von der Vermeidung von Pestiziden und genveränderten Pflanzen bis zur Unterstützung kleinerer Landwirtschaftsbetriebe. Ein anspruchsvolles und erfrischendes Dokument, das sich markant vom nichtssagenden „Greenwash“ der Biokunststoffindustrie unterscheidet. Es mag nicht viele „nachhaltige Biokunststoffe“ geben, auf die verwiesen werden könnte – aber es ist immerhin ein ehrlicher Beginn.

Copyright New Internationalist

Jim Thomas arbeitet als Rechercheur und Autor für die ETC Group in Ottawa (www.etcgroup.org).

*) Download unter www.sustainablebiomaterials.org/documents.htm

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