Europas doppeltes Spiel

Von Redaktion · · 2010/04

Drei namhafte Menschenrechtsverteidiger aus Mexiko, Diego Cadenas, Abel Barrera und Ricardo Loewe, versammelten sich im Südwind-Büro in der Wiener Laudongasse und sprachen mit Redakteur Werner Hörtner.

Südwind: Das 1997 unterzeichnete „Globalabkommen“ zwischen Mexiko und der Europäischen Union wird von einer Demokratie- und Menschenrechtsklausel eingeleitet, die beide Vertragsparteien zur Einhaltung demokratischer und menschenrechtlicher Prinzipien verpflichtet. Was hat diese berühmte Präambel Mexiko gebracht? Und dient sie Ihnen als Menschenrechtsverteidiger als nützliches Instrument bei Ihrer Arbeit?
Diego Cadenas:
Sie hilft uns dabei so gut wie überhaupt nicht. Hier wird etwas vorgetäuscht, wobei ich nicht genau sagen kann, ob die Simulierung nur auf mexikanischer oder auch auf europäischer Seite liegt. Diese Klausel ist sehr allgemein abgefasst, es gibt keine Sanktionsmöglichkeit, wenn sich ein Vertragspartner nicht an die aufgestellten Prinzipien hält. Es ist sogar höchst wahrscheinlich, dass Mittel, die von der EU nach Mexiko fließen, dort bei der Verletzung von Menschenrechten eingesetzt werden. Im Lakandonischen Urwald in Chiapas z.B. gibt es ein EU-Projekt zur sozialen und nachhaltigen Entwicklung, Prodesis, das unter anderem dazu diente, indigene Gemeinden aus dem Gebiet Montes Azules abzusiedeln.

Die mexikanische Regierung versorgt die EU immer wieder mit schönen Berichten über die Erfüllung der Menschenrechte, und Europa nimmt diese Dokumente kritiklos entgegen. Wir als NGO informieren zwar immer wieder die EU-Regierungen über die wirkliche Situation, und wir werden auch angehört, doch es gibt keine Reaktionen darauf.

Abel Barrera: Diese Klausel ist nur ein Instrument, um sich dahinter zu verstecken. Obwohl wir Menschenrechtsorganisationen hunderte Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Mexiko dokumentiert haben, gab es noch keine einzige Verurteilung der Regierung seitens der EU. Mit dieser Klausel soll nur vorgetäuscht werden, dass dieses Abkommen von demokratischen Regierungen unterzeichnet wurde.

Ricardo Loewe: Ich arbeite auch in einem Interamerikanischen Netzwerk von Anti-Folter-Organisationen mit. Wir wissen, dass die EU an die 20 Millionen Dollar für die Bekämpfung der Folter weltweit zur Verfügung gestellt hat. Verschiedene Gruppen dieses Netzwerks haben über zehn Projekte bei diesem Fonds eingereicht – kein einziges von ihnen wurde angenommen. Dafür kommen die Lastwagen, mit denen die Soldaten transportiert werden, aus Deutschland. Bei der Privatisierung des Wassers naschen vier spanische Unternehmen mit und so weiter. Es gibt viele Investitionen von EU-Staaten in Mexiko, da ist die Einhaltung der Menschenrechte nicht so wichtig. Wir haben sogar viele Fälle dokumentiert, bei denen schwere Menschenrechtsverletzungen durch diese Investitionen begünstigt werden. Die EU betreibt hier ein doppeltes Spiel.

Was machen Sie, wenn Ihre Anklagen weder in Mexiko noch in Europa auf fruchtbaren Boden fallen?
Abel Barrera:
Wir wenden uns an die Interamerikanische Menschenrechtskommission. Was Chiapas betrifft, so sind von dort schon einige Fälle anhängig, und wir aus Guerrero haben bei der Kommission bereits fünf Klagen eingebracht. Vier Fälle sind bereits an den Interamerikanischen Gerichtshof weitergeleitet worden, jenem Tribunal, das amerikanische Staaten wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen verurteilen kann. Aus Guerrero zwei Fälle von indigenen Frauen, die von Soldaten vergewaltigt wurden, und der Fall von Rosendo Radilla, der 1974 vom Militär entführt wurde und seither nicht mehr aufgetaucht ist. In dieser Angelegenheit hat der Gerichtshof den mexikanischen Staat bereits verurteilt.

Und wie schätzen Sie die Arbeit der Nationalen Menschenrechtskommission Mexikos ein?
Diego Cadenas:
Das ist eine politisierte Institution. Die politischen Parteien feilschen untereinander aus, wer welchen Posten bekommt. Wir vom Frayba (Zentrum Fray Bartholomé de las Casas; Anm.) haben schon mehrmals erlebt, wie diese Kommission die Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Organe legitimiert und schützt, statt sie zu verurteilen. Vom juridischen Standpunkt aus ist diese Kommission eine autonome Behörde, doch ist sie in der Praxis von der Politik abhängig. Ihr Präsident wird vom Staatschef ausgewählt und dann vom Parlament bestätigt.

Abel Barrera: Bei den Menschenrechtsverletzungen durch Angehörige der Streitkräfte, die wir anzeigen, schweigt die Kommission oder gibt Unwahrheiten von sich. So erklärte sie z.B. bei einer Frau, die nach Vergewaltigungen starb, diese sei durch eine Gastritis ums Leben gekommen. Wenn es Beschwerden gegen Militärs gibt, so werden diese einvernommen, streiten natürlich alles ab – und die Kommission schließt den Fall, ohne selbst zu recherchieren. Sie agiert eigentlich wie eine Zweigstelle der Armee. Diese Einrichtung hat keinerlei Glaubwürdigkeit mehr. Aber sie kauft zu den teuersten Sendezeiten im Fernsehen Werbeplatz, um die eigene Arbeit zu loben.

Ricardo Loewe: Ich möchte noch hinzufügen, dass die Tätigkeit der Menschenrechtskommission zutiefst aggressiv und gegen die Bevölkerung gerichtet ist. Sie nimmt ja nur Beschwerden entgegen, keine formalen Anklagen. Diesen Beschwerden kann nun nachgegangen werden oder nicht. Nur etwa ein Fünftel von ihnen führt dann zu Empfehlungen gegenüber den Tätern. Wenn man das Budget der Kommission durch die Anzahl der Empfehlungen dividiert, so ergibt sich, dass jede an die drei Millionen Peso kostet, das sind über 170.000 Euro.
Der Regisseur Diego Cadenas ist Direktor des Zentrums Fray Bartholomé de las Casas, kurz Frayba, in San Cristóbal in Chiapas, das Opfer von Menschenrechtsverletzungen unterstützt. Wegen gefährlicher Drohungen gegen ihn startete Amnesty International im vergangenen Juni eine Urgent Action (www.frayba.org.mx).

Der Anthropologe Abel Barrera ist Direktor des Menschenrechtszentrums Tlachinollan mit Sitz in Tlapa, Guerrero. www.tlachinollan.org

Der Arzt Ricardo Loewe, Sohn deutsch-österreichischer Einwanderer, ist Mitarbeiter des Kollektivs gegen Folter und Straflosigkeit mit Sitz in Mexiko Stadt und Acapulco, Guerrero, das Folterfälle dokumentiert und Überlebende von Folter und politischer Gewalt betreut. www.contralatortura.org

Gibt es in Mexiko so etwas wie Sonderstaatsanwaltschaften für Vergehen von Angehörigen des öffentlichen Dienstes und der Streitkräfte?
Abel Barrera:
Dazu möchte ich nur eine Wandaufschrift zitieren, die ich in Guerrero gesehen habe: „Wir wollen keine Sonderanwälte, wir wollen eine normale Justiz!“
Vor einigen Jahren besuchte der UN-Sonderberichterstatter für die Unabhängigkeit der Justiz Mexiko. In seinem Abschlussbericht stellte er fest, dass 75 % der mexikanischen Richter korrupt sind und dass es keine Unabhängigkeit der Justiz gegenüber der Exekutivgewalt gibt.

Wie schafft es der mexikanische Staat, trotz der anhaltenden schweren Menschenrechtsverletzungen im Ausland ein relativ positives Image aufrechtzuerhalten?
Diego Cadenas:
Einerseits, weil er viel Geld investiert, um die Öffentlichkeit und die Organisationen ruhig zu halten, und ebenfalls viel Geld, um über die Medien ein gutes Bild zu verbreiten. Außerdem glaube ich, die europäischen Regierungen haben wenig Interesse daran, die Wahrheit zu erfahren.

Abel Barrera: Bei den internationalen Organisationen wie UNO und OAS (Organisation Amerikanischer Staaten; Anm. der Red. ) ist die Regierung sehr bemüht, das Bild eines fortschrittlichen demokratischen Regimes abzugeben.

Ricardo Loewe: Ein praktisches Beispiel. Am 10. Dezember 2005 wurde in Mexiko die Todesstrafe abgeschafft. Viele Menschen waren überrascht, denn sie hatten gar nicht gewusst, dass es in ihrem Land noch die Todesstrafe gab. Jetzt gibt es eben keine Todesstrafe mehr, doch dafür nehmen die außergerichtlichen Hinrichtungen zu. Welch ein Zufall, nicht wahr? Es gibt in Mexiko einen Staatsterrorismus, es gibt Zensur – und es gibt auch Selbstzensur. Die Menschen haben Angst zu reden.

In letzter Zeit hat man wenig gehört über die Vorgänge in Chiapas. Heißt das, dass die Lage dort ruhiger geworden ist?
Diego Cadenas:
Auch hier glaube ich, dass im Ausland das mediale Interesse gesunken ist. Anklagen wegen Menschenrechtsverletzungen gibt es zur Genüge. Es gibt zur Zeit an die 40.000 Soldaten in Chiapas, doch ist die Militarisierung nicht mehr so sichtbar wie früher. Viele sind in Zivil, es gibt auch eine starke Geheimdiensttätigkeit in den Gemeinden. Die Aufständischenbekämpfung läuft heute mehr über die Medien; Angehörige von sozialen Bewegungen werden diffamiert und kriminalisiert. Eine wichtige Aufgabe der Armee ist es auch, Territorien für die Durchführung von ökonomischen Projekten vorzubereiten.

Auch von Guerrero hört man sehr wenig.
Abel Barrera:
Bei uns gibt es ebenfalls eine starke Militarisierung, doch leben wir damit schon seit den 1970er Jahren, als es hier eine größere Guerillabewegung gab und die Regierung die Armee schickte. Das Militär hat die öffentliche Verwaltung völlig durchdrungen und auch viel zur dominanten Position des Drogenhandels in der Wirtschaft dieses Bundesstaates beigetragen. Durch die Zuspitzung der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Drogenkartellen ist die Präsenz der Armee noch vorherrschender geworden. Die kämpft aber nicht nur gegen den Rauschgifthandel, sondern sie sieht auch in uns, den Aktivisten und Aktivistinnen von sozialen Bewegungen, den Menschenrechtsverteidigern, den Protestbewegungen, ihren hauptsächlichen Feind und denkt, wir stünden entweder im Dienst der organisierten Kriminalität oder der Guerilla. Im vergangenen Februar wurden zwei indigene Menschenrechtsaktivisten bei einer Schuleröffnung von Uniformierten festgenommen; zwei Wochen später fand man ihre Leichen.

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