Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine will Europa seine Energieversorgung diversifizieren. Eine neue Pipeline soll Abhilfe schaffen.
Von Martina Schwikowski
Neu ist es nicht, das Megaprojekt: Drei Wüstenstaaten wollen eine Gaspipeline durch die Sahara bauen. Bereits vor mehr als einem Jahrzehnt hatten sich Vertreter*innen der Länder Nigeria, Niger und Algerien getroffen, um das Projekt zu planen. Dann lag es wieder auf Eis. Doch nun haben die Energieminister diesen Sommer eine Absichtserklärung unterzeichnet. Für Europa könnte die Pipeline eine Alternative zu den russischen Gaslieferungen bieten – falls sie tatsächlich gebaut wird.
Expert*innen gehen jedoch davon aus, dass es noch lange dauern wird, bis Gas durch die Pipeline Richtung Europa fließt. Manche sprechen von mehr als zehn Jahren. Für Isaac Botti, Analyst für öffentliche Finanzen in der nigerianischen Hauptstadt Abuja, mangelt es am politischen Willen: „Ich habe das Gefühl, dass es sich nur um eine Verpflichtung auf dem Papier handelt, die nicht durch Taten untermauert wird“, sagt er.
Noch fehle es an politischen Rahmenbedingungen und Geldern, so Botti. „Die nigerianische Regierung ist der Hauptlieferant von Gas, ebenso wie die algerischen Partner. Wenn der Wille vorhanden ist, muss Nigeria dafür sorgen, dass es losgeht“, betont Botti. Einige europäische Länder setzen seit Beginn des Ukrainekrieges alles daran, ihre Erdgasimporte aus Ländern außerhalb Russlands aufzustocken.
4.000 Kilometer lange Gaspipeline gen Norden
Das Projekt in Afrika soll knapp 13 Milliarden Euro kosten – einzelne Quellen sprechen von bis zu 20 Milliarden. Es sieht vor, Milliarden von Kubikmetern Gas aus Nigeria über eine rund 4.000 Kilometer lange Pipeline, die sogenannte Trans-Sahara-Gaspipeline (TSGP oder auch Nigal) durch den Niger nach Algerien zu transportieren.
1.000 Kilometer der Strecke entfallen auf Nigeria, 800 auf Niger und mehr als 2.300 Kilometer auf algerisches Gebiet. Aus Algerien soll das Gas über eine bestehende Pipeline, die TransMed, durch das Mittelmeer nach Italien gepumpt oder für den Export auf Flüssiggas-Tanker verladen werden. Die TSGP soll zudem die Märkte entlang ihres Wegs durch die Sahara versorgen.
Aus dem Niger-Delta sollen rund 30 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr durch die Transportröhre nach Algerien fließen. Schon jetzt ist Nigeria nach Algerien der zweitgrößte Gasexporteur Afrikas. Der italienische Energiekonzern Eni und die algerische Ölgesellschaft Sonatrach beschlossen im Mai, die Entwicklung von Gasfeldern und grünem Wasserstoff in Algerien zu beschleunigen und die Gasexporte nach Italien zu steigern.
Nigeria: Große Gasreserven, große Probleme
Laut Botti sei das Potenzial der geplanten Pipeline viel größer: „Nigeria verfügt über eines der größten Gasvorkommen der Welt, etwa fünf Billionen Kubikmeter (Nigerias Gasvorkommen sind die zehntgrößten der Welt. Die größten Reserven befinden sich Zahlen der OPEC zufolge in Russland mit 35 Billionen Kubikmeter, die USA belegen demnach den 5. Platz mit 8,7 Billonen Kubikmeter, Anm. d. Red.), mit einer Förderkapazität von 85 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, und wenn man den Wert dieses Vorkommens betrachtet, sind es über 800 Milliarden Euro, die mit diesen Projekten verdient werden könnten“, rechnet der Finanzexperte.
Im krassen Gegensatz dazu steht die Armut in Nigeria. Die Instabilität im Land lässt den Bau der Pipeline unrealistisch erscheinen. Entführungen und Angriffe durch die islamistische Terrorgruppe Boko Haram im Norden Nigerias seien ein latentes Sicherheitsrisiko, sagen Expert*innen.
Europa setzt auf Wasserstoff
Hinzu kommt: Angesichts der massiven Auswirkungen des Klimakrise hat die EU vor, bereits ab 2030 mindestens 55 Prozent weniger CO2 auszustoßen. Fossiles Erdgas gilt als weniger schädliche Brückentechnologie. Langfristig baut Europa jedoch darauf, es weitgehend etwa durch grünen Wasserstoff zu ersetzen.
Für den Transport von Wasserstoff, aber auch für Gas, wird zurzeit schon der Bau von eigenen LNG-Terminals in Deutschland vorangetrieben. Nigeria liefere bereits auf dem Seeweg Flüssiggas nach Europa, sagt Khadi Camara vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft. „Größte Abnehmer von nigerianischem LNG in Europa sind derzeit Frankreich, Spanien und Portugal – die Länder mit LNG-Terminals“, so die Expertin für den Energiesektor.
Bis der Umbau zu den Erneuerbaren Energien besser läuft, könnten noch andere Länder wie Ghana, Mosambik oder Tansania als Erdgaslieferanten an Bedeutung gewinnen. Sie müssten ihre Infrastruktur verbessern. Zudem hat Namibia riesengroße Mengen an natürlichen Gasvorkommen entdeckt und gilt als einer der afrikanischen Hoffnungsträger für europäische Energieversorger.
Martina Schwikowski arbeitete von 1995 bis 2015 als Korrespondentin für deutschsprachige Medien im südlichen Afrika. Seit 2015 ist sie auch für die Deutsche Welle im Einsatz und pendelt zwischen ihrem Wohnsitz in Johannesburg und Deutschland.
Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!
Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.
Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.
Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!
Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.