„Etwas aufdecken heißt etwas entblößen“

Von Martina Kopf · · 2007/06

Im Februar brachte Südwind eine Reportage aus Mwanza, der Stadt, in der Darwin’s Nightmare gedreht wurde. Sandor Rieder, künstlerischer Mitarbeiter von Regisseur Hubert Sauper, nimmt nun in einem Gespräch mit Südwind-Redakteurin Martina Kopf zu darin erhobenen Vorwürfen Stellung.

Südwind: In ihrem Beitrag hat die Autorin nachrecherchiert, wie es den Protagonisten von Darwin’s Nightmare jetzt geht. Der Film kommt dabei nicht gut weg. Was sagen Sie dazu?
Sandor Rieder:
Der Artikel bringt eine völlig einseitige Sicht und die Herangehensweise an den Ort und die Leute ist unbedarft und naiv. Die Autorin schaut überhaupt nicht hinter die Fassaden. Wenn ich so einen Artikel schreibe, bezogen auf einen Film wie Darwin’s Nightmare, kann ich nicht schreiben, wie schön die Landschaft in Mwanza ist, und wie freundlich und lieb die Menschen sind, sondern da habe ich eine Verantwortung. Wir reden von einem Land, das eines der ärmsten der Welt ist, und es gibt nichts zu beschönigen.

Richard Mgamba, einer der Mitwirkenden des Films, sagt im Gespräch mit Lena Hörnlein, er wollte nicht, dass seine Identität im Film preisgegeben wird. Stimmt das?
Die Filmarbeit und Recherche hat fünf Jahre gedauert. Das ist nicht eine Reise, auf der man zufällig Leute trifft und mit denen ein bisschen plaudert. Richard Mgamba ist Journalist, kennt selbst die Branche sehr gut, und weiß, wie er damit umgeht. So jemand stellt sich nicht x-Male vor eine Kamera und arbeitet über Monate hinweg mit uns zusammen, ohne dass geklärt wäre, ob er dann im Film vorkommt oder nicht.

Warum stehen dann die Mitwirkenden nicht zum Film, oder können sie nicht dazu stehen?
Das ist die prinzipielle Frage. Man fährt dort hin, fängt an zu filmen, die Leute kennen einen sehr gut, sie wissen auch, wofür wir uns interessieren und was wir wollen. Wir haben uns ja nicht versteckt, wir waren sehr exponiert. Aber was niemand vorhersehen kann, ist, welche Auswirkungen das Produkt, auf das man hinarbeitet, schlussendlich hat. Etwas aufdecken heißt auch immer etwas entblößen, verletzlich machen und verändern. Die Leute, die in irgendeiner Weise mit dem Film zu tun hatten, stehen jetzt unter einem irrsinnigen Druck.

Wie sieht der aus?
Wir wissen zum Beispiel, dass die Straßenkinder aufgefordert wurden, wann immer sie von jemand zum Film gefragt werden, zu sagen, sie sind von uns bestochen, unter Druck gesetzt, belogen worden und so fort.

Würden die Mitwirkenden auch verfolgt werden, wenn der Film nicht so erfolgreich gewesen wäre?
Wenn der Film keinen Erfolg gehabt und keine so breite Masse erreicht hätte, wäre es nie bis Afrika durchgesickert, dass er überhaupt existiert. Darwin’s Nightmare hatte anfangs kein großes Feedback von afrikanischer Seite. Die Oscar-Verleihung ist halt ein globales Ereignis, und da hat man sich plötzlich dafür interessiert.

Ist er in Tansania öffentlich gezeigt worden?
Ich weiß von keinem einzigen Kino in Tansania. Es gibt ja kaum Strom. Die Leute, die Strom und Geld haben, Fernseher und DVD-Player, die schauen sich ganz andere Filme an.

Haben Sie und Hubert Sauper sich bemüht, dass die Leute, die mitgewirkt haben, den Film zu sehen bekommen?
Natürlich. Unser Ziel war immer, dass wir wieder nach Tansania fahren und unsere Arbeit weiterführen – schauen, wie die Leute auf den Film reagieren, mit ihnen diskutieren, dranbleiben, damit sich etwas bewegt.

Warum ist das nicht passiert?
Weil wir seit der Oscar-Verleihung Einreiseverbot haben. Der Film hat viele Menschen unter Druck gesetzt – ich meine jetzt nicht nur die Mitwirkenden, sondern die, die das Ganze mit zu verantworten haben, was wir zeigen. Das betrifft die Politik dort, die Fischindustrie, die so genannten Mächtigen, denen auf die Finger geklopft wurde. Die versuchen jetzt natürlich, sich mit aller Gewalt zu wehren.

Wie war ihr Verhältnis zu den Mitwirkenden in der Zeit, als Sie in Mwanza recherchiert haben?
Mit all den Protagonisten im Film waren wir in erster Linie befreundet. Das war keine einseitige Recherche, sondern die Dynamik ist auch von der anderen Seite gekommen, weil die Leute dadurch, dass sich plötzlich jemand so intensiv für sie interessiert, selbst anfangen, nachzudenken. Auch sich zu öffnen, sensibel zu werden. Das ist ein sehr wichtiger Moment gerade beim Dokumentarfilm.

Was würden Sie JournalistInnen, die in einem afrikanischen Land recherchieren, raten?
Für mich ist Afrika der schönste Kontinent, und ich glaube, wer jemals in Afrika war, kommt nicht mehr davon los. Ich verstehe auch, dass man sehr leicht von Afrika eingelullt wird – von den wunderschönen Menschen, von diesen unglaublichen Landschaften, von den Gerüchen und von allem. Aber gleichzeitig ist es unsere Verpflichtung, hinter die Fassaden zu schauen und uns bewusst mit den Problemen auseinander zu setzen. Man muss mit den Menschen viel Zeit verbringen, sehr viel Vertrauen, Freundschaft und Menschlichkeit aufbauen, um wirklich das zu hören, was der Wahrheit entspricht. Die Menschen haben viel zu viel zu verlieren.

Sandor Rieder lebt in Wien und arbeitet im Bereich Fotografie und Film.

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