Fliegen ist für uns etwas völlig Selbstverständliches. Doch die Treibhausgas-Emissionen des Flugverkehrs sind heute ein großes Problem. New Internationalist-Redakteur Chris Brazier plagt sich mit einer der verzwicktesten Fragen der heutigen Zeit.
Zu Beginn meiner Recherchen befasste ich mich mit Statistiken über die Emissionen des Flugverkehrs. Ich war schockiert. Moderne Flugzeuge emittieren nicht nur Kohlenstoff aus großen Mengen von Kerosin, sie tun das auch in großen Höhen, wo die Treibhauswirkung viel stärker ist als in der unteren Atmosphäre. Außerdem emittieren Jets andere Treibhausgase, darunter Stickstoffoxide und Wasserdampf ("Kondensstreifen"). Der Internationale Klimarat (IPCC) schätzt, dass der Nettoeffekt dieser anderen Emissionen das 2,7-fache des Effekts der Kohlenstoffemissionen ausmacht. Auf einem Hin- und Retourflug von London nach New York bläst man problemlos mehr Kohlenstoff in die Luft als mit dem jährlichen Gas- und Stromverbrauch im eigenen Haus. Das machte mich ziemlich betroffen und brachte mich dazu, meine Einstellung zum Fliegen zu überdenken.
Reisen war in meinem Leben enorm wichtig. Ich kann mir nur schwer vorstellen, welche Art Mensch ich wäre, hätte ich nie in ein Flugzeug steigen können. Aber ich muss anerkennen, dass die tiefgreifenden Folgen des Klimawandels (und der Kampf gegen ihn) uns zwingen werden, unsere Lebensweise zu überprüfen und alle unsere Annahmen zu überdenken. Wie weit, frage ich mich, sind wir bereit, die mit dem Fliegen verknüpfte Mobilitätskultur in Frage zu stellen?
Zweifellos kommt es vorrangig darauf an, dass die Regierungen Maßnahmen gegen den Klimawandel setzen und nicht auf individuelle Verhaltensänderungen. Doch PolitikerInnen in der ganzen Welt drücken sich davor, aus Angst, ihren Job zu verlieren, wenn sie den weltweit zunehmenden Konsum in Frage stellen.
Wenn Menschen versuchen, ihren individuellen "Kohlenstoff-Fußabdruck" zu reduzieren, folgt daraus ja nicht, dass sie nichts mehr für die großen politischen Veränderungen tun. Das eine kann das andere sogar unterstützen. Fühlen wir uns nicht alle weit besser, wenn wir auch unseren Teil zu dem Ziel beitragen, für das wir kämpfen? Unsere Lebensweise zu verändern könnte den Druck auf die Politik verstärken, uns aus dieser Sackgasse herauszuholen. Schließlich wissen wir alle weit besser als je zuvor, welch schmutzige Arbeit jedes Kilogramm Kohlenstoff verrichtet, das wir in die Atmosphäre blasen.
Einer der wichtigsten Verfechter der Idee des "Kohlenstoff-Fußabdrucks" ist Mark Lynas, Autor von High Tide, Six Degrees und Carbon Calculator: Easy ways to reduce your carbon footprint. Als ich Mark traf, hatte er gerade eine lange Schiffsreise nach Norwegen hinter sich. Urlaubsflüge kommen für ihn selbst zwar nicht in Frage, doch ist ihm die moralische Komplexität des Problems durchaus bewusst – und er betont auch, dass individuelle Bemühungen im Vergleich zum Aufbau einer Bewegung, die Regierungen zum Umdenken bringt, zweitrangig sind. Und er sehnt sich nach einer technischen Lösung, auch wenn er hinzufügt: "George wird mich dafür umbringen, dass ich das sage!"
Dieser George ist Monbiot, Kolumnist des Guardian und Autor von Heat: How We Can Stop the Planet Burning. Im Kapitel über das Fliegen ("Love Miles") wird der Schaden, den Flugreisen anrichten, ziemlich drastisch dargestellt – und die Unmöglichkeit, vernünftige Emissionsziele zu erreichen, wenn wir unsere Liebesaffäre mit der Fliegerei fortsetzen.
Beim Lesen meines Interviews mit George (siehe Kasten) werden Sie sich vielleicht fragen, warum ich ihm nicht die naheliegendste Frage gestellt habe: Wie oft bist du selbst im letzten Jahr irgendwohin geflogen? Tatsächlich war die Frage unnötig – er war so darauf vorbereitet, dass er eine andere meiner Fragen missverstand und antwortete, er wäre zweimal in den letzten 18 Monaten geflogen, beide Male zu Konferenzen über den Klimawandel, wobei er den Eindruck hatte, er könnte durch seine persönliche Anwesenheit mehr bewirken als mit einem Flugboykott.
Was mich mehr interessierte, war etwas anderes: Wieso er, der als Reisejournalist begonnen und auf alle möglichen Arten davon profitiert hatte, andere Länder und andere Kulturen kennenzulernen, sich berechtigt fühle, jungen Leuten zu sagen, sie sollten genau die selben Möglichkeiten nicht nutzen? Seine Antwort: Wie schlecht auch immer er sich dabei fühle, das Problem sei so gewaltig, dass es einfach keine Alternative gebe.
Auch die "One World Community" wäre wohl ohne Reisen in beide Richtungen nicht entstanden – auch nicht ohne Menschen aus den entlegensten Gegenden, die unsere Länder besuchen oder sich hier niederlassen, nicht ohne dass wir von anderen Kulturen gelernt und uns an sie angepasst hätten. Was für eine Welt wäre das, in der die einzigen Leute, die per Flugzeug reisen, genau die sind, die sie bis zum Letzten ausbeuten wollen? Würden Flughäfen und Flugzeuge zum Herrschaftsgebiet der skrupellosesten Konzerne? Und nebenbei, wieso nur einen Aspekt der internationalen Luftfahrt ablehnen (Tourismus) und andere akzeptieren (Luftfracht, Luftpost usw.)?
Wenn wir aber trotz der fortschreitenden Erderwärmung weiter herumfliegen, um uns zu vergnügen oder um zu lernen, müssen wir sicherstellen, dass ein solcher Tourismus keinen Schaden anrichtet und die GastgeberInnen wirklich davon profitieren. Wir müssen auch den Druck auf die Politik erhöhen, den Flugverkehr zu beschränken und zu reduzieren. Regierungen machen nur allzu gerne den Einzelnen und sein Konsumverhalten zum Sündenbock. Anstatt Verantwortung zu übernehmen, verweisen sie auf die boomende Nachfrage, planen neue Start- und Landebahnen und Flughäfen, die genauso rasch an ihre Kapazitätsgrenzen gelangen werden wie zusätzliche Fahrstreifen auf einer Autobahn. Der Flugverkehr nimmt um fünf Prozent pro Jahr zu, was bedeutet, dass sich die Passagierflugkilometer bis 2030 verdreifachen werden.*
Der Flugverkehr muss dringendst eingedämmt werden – und physische Grenzen (nicht genug Landebahnen zur Deckung der Nachfrage) sind eigentlich eine sehr praktische, vernünftige Methode, das zu bewirken. Man muss auch nicht besonders fachkundig sein, um die aktuelle Praxis, den internationalen Flugverkehr aus den nationalen Emissionszielen auszuklammern, als Vogel-Strauß-Politik zu erkennen. Außerdem lässt sich der Boom im Flugverkehr nicht mit den "gewöhnlichen, hart arbeitenden Menschen, die einmal im Jahr Urlaub machen" erklären. Selbst in den reichen Ländern geht es nur um eine winzige Minderheit von Menschen, die herumfliegen wie die Verrückten.
*)Mark Rice-Oxley, "Air Travel latest target in climate change fight", Christian Science Monitor 17. August 2007
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