„Es wird schon nicht so schlimm sein“

Von Redaktion · · 2008/05

Die Nigerianerin Joana Adesuwa Reiterer hat in Wien den Verein Exit gegründet, um durch Sexhandel nach Österreich gekommene Afrikanerinnen zu beraten und zu unterstützen. Indirekt entstand aus dieser Arbeit auch das neue Erfolgsbuch „Ware Frau“ (siehe Rezensionen). Das Gespräch führte Südwind-Redakteur Werner Hörtner.

Südwind: Kurz zur Vorgeschichte des Buches „Ware Frau“. Sind da Mary Kreutzer und Corinna Milborn an Sie mit dieser Idee herangetreten?
Joana Adesuwa Reiterer:
Nein, umgekehrt. Ich habe Corinna von dem Verein erzählt und was wir so machen, dann haben wir angefangen, über die ganzen Schicksale, die damit verbunden sind, zu recherchieren. So ist die Idee zum Buch entstanden.

Ich glaube, viele Menschen bei uns können nur schwer verstehen, dass das Schicksal, das so viele afrikanische Frauen bei uns in Europa erwartet, in Afrika nicht bekannter ist und wieso das nicht publik gemacht wird.
In Nigeria z.B. gibt es sehr viel Aufklärung bezüglich Menschenhandel und Prostitution. Dabei geht es allerdings mehr um moralische Positionen, dass man das nicht machen soll. Aufklärung, wie das dann wirklich ist, gibt es allerdings wenig. Auch deswegen ist unser Verein entstanden, um zu zeigen, was das wirklich heißt, sexuell ausgebeutet zu werden. Die Armut dort, der Druck auf die Mädchen und die Gewalt sind sehr groß, und so sind sie bereit, das zu riskieren. Oft sind die Schlepper und Zuhälter enge Familienmitglieder oder Freunde. Die Mädchen denken, ja, es gibt Menschenhandel, aber er ist mein Blutsverwandter, und dann wird es schon nicht so schlimm sein. Dass sie mit vielen Männern schlafen müssen und dass auch Gewalt im Spiel ist, das ist ihnen nicht bewusst. Viele Familien sehen das als ein Opfer der Mädchen an, damit man die Burschen in die Schule schicken kann und es ihnen besser geht. Es kommt vor, dass die Frauen nicht ausreisen wollen, aber die Eltern reden ihnen ein, dass sie das doch für die Familie tun sollten.

Was waren Ihre Beweggründe, den Verein zu gründen?
Der Verein wurde im August 2006 gegründet. Ich kam 2003 nach Österreich, und dann habe ich bemerkt, dass mein damaliger Mann in dieses System des Menschenhandels involviert ist. Ich habe mich dagegen gewehrt, das hat dann viele Probleme gebracht und ich bin aus der Ehe in ein Frauenhaus geflohen. Ich brauchte dann viel Zeit, um mich wieder auf die Beine zu stellen. Schließlich habe ich beschlossen, nach vielen Gesprächen mit den betroffenen Frauen, mich für sie einzusetzen, und so ist dann der Verein Exit entstanden. Derzeit werden wir u.a. von der ADA, der Austria Development Agency, unterstützt, für die Zukunft hoffen wir auf eine Subvention durch das Frauenministerium.

Worin besteht nun die alltägliche Arbeit des Vereins?
Wir versuchen, eine Brücke zu bauen zwischen den Opfern, den Behörden und anderen Nichtregierungsorganisationen. Das erste Ziel war, Aufklärungsarbeit in Nigeria zu machen, aber wir haben dann gemerkt, dass wir auch in Österreich aufklären und die Hintergründe für diese ganze Struktur aufzeigen müssen. Viele Frauen fühlen sich schlecht in ihrer Situation, können diese aber nicht verstehen. Was ist gut, was ist schlecht? Was ist eine Menschenrechtsverletzung? Sie sind sich unsicher, was sie von ihren eigenen Gedanken und Gefühlen halten sollen.
Wenn sie einmal erkannt haben, in welcher Situation sie sich befinden, wenn sie ein Rechtsbewusstsein entwickelt haben, aus dieser Lage raus kommen wollen, dann schicken wir sie als nächsten Schritt an andere Organisationen weiter.
Darüber hinaus arbeiten wir mit den Behörden, vor allem der Polizei. Wir haben jetzt eine Kontaktstelle dort, mit der wir eng und gut zusammenarbeiten.
Schließlich sind wir auch mit nigerianischen Behörden in Kontakt, informieren sie, machen Vernetzungsarbeit. Opferschutz heißt für uns nicht nur, die Opfer hier zu schützen, sondern auch in ihrem Herkunftsland. Wenn die Frauen hier aussagen, sollen die österreichischen Behörden mit den nigerianischen kooperieren, um die Zeuginnen zu schützen.

Wie erfahren die Frauen von der Existenz des Vereins? Läuft das vor allem über Mundpropaganda?
Ja, so ist es. Am Anfang haben wir auch Streetwork gemacht. Doch dabei wurden wir beobachtet. Es bestand die Gefahr, dass die Mädchen noch mehr bedroht und eingeschüchtert werden. Jetzt läuft es so, dass uns eine betroffene Frau anruft und wir uns dann einen Termin ausmachen. Oft rufen uns aber auch Freier an oder schicken uns ein SMS und geben uns Hinweise, dann treffen wir uns auch mit ihnen. Wir haben eigentlich für unsere Kapazitäten schon viel zu viele Anfragen.
Die Aussagen von Freiern sind sehr wichtig, um den Menschenhandel zu bekämpfen. Manche rufen an, weil ihnen die Frauen leid tun, oder weil sie sich verliebt haben und ihnen das Mädchen die wahre Geschichte erzählt hat.

Mehr zur Thematik, zur Arbeit des Vereins, Kontakt und Möglichkeiten der Unterstützung: www.ngo-exit.com

Basic

Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!

  • 6 Ausgaben pro Jahr als Print-Ausgabe und/oder E-Paper
  • 48 Seiten mit 12-seitigem Themenschwerpunkt pro Ausgabe
  • 12 x "Extrablatt" direkt in Ihr E-Mail-Postfach
  • voller Online-Zugang inkl. Archiv
ab € 25 /Jahr
Abo Abschließen
Förder

Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.

Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

84 /Jahr
Abo Abschließen
Soli

Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!

Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

168 /Jahr
Abo Abschließen