Patente sind eine Form geistiger Eigentumsrechte, die oft als „Anreiz und Belohnung“ für ErfinderInnen gepriesen werden. Aber sie sind auch Anlass massiver Proteste von BäuerInnen, zahlreicher Klagen transnationaler Konzerne und indigener Völker sowie ungezählter Versammlungen und Erklärungen von Mitgliedern der Zivilgesellschaft. Das alles lässt sich nur verstehen, wenn man begreift, dass es bei Patenten um die Kontrolle von Technologie und den Schutz von Wettbewerbsvorteilen geht.
1769 erfand der Engländer Richard Arkwright eine mit Wasserkraft angetriebene Spinnmaschine, die das Baumwollspinnen in die Fabriken verlagern sollte. Die Erfindung machte das britische Königreich zu einer Weltmacht in der Stoffherstellung. Um diesen Wettbewerbsvorteil und die Märkte für Baumwollstoffe in den britischen Kolonien zu schützen, beschloss das Parlament unter anderem ein Verbot der Ausfuhr der Arkwright-Maschinen sowie der Auswanderung sämtlicher ArbeiterInnen, die in Arkwright-Fabriken gearbeitet hatten. Von 1774 an drohte allen, die Arkwright-Maschinen oder Arbeiter ins Ausland brachten, eine Geldstrafe von 200 Pfund und zwölf Jahre Gefängnis.
1790 verließ ein gewisser Samuel Slater, als Bauer verkleidet, England in Richtung Neue Welt. Er hatte jahrelang in den Arkwright-Fabriken gearbeitet. Nach seiner Ankunft suchte er sich Geldgeber und errichtete aus dem Gedächtnis eine komplette Arkwright-Fabrik. Damit ermöglichte er die Produktion von Baumwollstoffen in handelbarer Qualität und brachte die USA auf den Weg zur Industriellen Revolution und wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Slater wurde für seine Leistung reich belohnt. Zu seinen Lebzeiten galt er als Held. Er gilt nach wie vor als „Vater der amerikanischen Industrie“. Für die Engländer allerdings war er ein Patentverletzer, ein Dieb geistigen Eigentums.
Interessanterweise war der Patentschutz zur Zeit der Tat Slaters Teil des US-Rechts. Aber dieser Schutz galt nur für US-Erfindungen. Bis zu den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts war es üblich, ja sogar akzeptiert, wenn auch mit Murren, dass Staaten Patentrechte nur insoweit durchsetzten, als dies in ihrem nationalen Interesse war. Als sich die jungen USA das geistige Eigentum Europas durch Piraterie aneigneten – Slater war nicht der einzige Übeltäter – gratulierten sich die Menschen in den USA dazu. Sie betrachteten den Diebstahl als Beweis ihrer nationalen Stärke, als gerechtfertigte Reaktion auf die Weigerung Englands, seine Technologie zu transferieren.
Anfang der 70er Jahre des 20.Jahrhunderts begann sich die Situation zu verändern. Die US-Industrie forderte besseren Schutz für ihre wissensbasierten Produkte in Bereichen wie der Computer- und Biotechnologie, wo sie weltweit führend waren. Geistige Eigentumsrechte waren der Schlüssel dazu. Daher setzten sich die USA zusammen mit gleich gesinnten Industrieländern dafür ein, Bestimmungen zum Schutz von geistigem Eigentum, einschließlich Standards für Patente, in internationale Handelsabkommen aufzunehmen. Dies hat gewaltige Veränderungen in den Handelsabkommen bewirkt und einen Kampf ausgelöst, der noch nicht ausgestanden ist. Die Ironie: Die Annahme eines weltweit einheitlichen Patentrechts könnte bedeuten, genau jenen Weg zur Entwicklung zu versperren, den die USA selbst eingeschlagen hatten.
Der Sieg in der ersten Runde ging an die transnationalen Konzerne der reichen Länder. Sie prahlten ganz offen damit, das Abkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (TRIPS) der 1995 gegründeten Welthandelsorganisation WTO durchgesetzt zu haben – einheitliche Standards für Urheberrechte, Patente, Warenzeichen etc. TRIPS entstand ohne öffentliche Konsultationen und ohne Mitwirkung des gemeinnützigen Sektors. Wie das ablief, beschrieb James Enyart von Monsanto: „Die Industrie … identifizierte ein bedeutendes Problem im internationalen Handel. Sie erarbeitete eine Lösung, verwandelte sie in einen konkreten Vorschlag und verkaufte ihn unserer eigenen Regierung und anderen … Die Industrie- und Handelsunternehmen der Weltwirtschaft haben gleichzeitig die Rolle des Patienten, des Diagnostikers und des behandelnden Arztes gespielt.“
Ironischerweise argumentierten beide Seiten des Kampfs um TRIPS mit Diebstahl. Wenn US-Unternehmen die „Notwendigkeit“ der Anerkennung von Patenten und Warenzeichen im internationalen Handel begründeten, verwiesen sie auf Verluste von 40 bis 60 Mrd. US-Dollar, die ihnen durch Diebstahl von geistigem Eigentum durch „Piraten“ in der Dritten Welt entstünden; sie erklärten, wie diese Piraterie den Anreiz für Investitionen untergrabe und behaupteten, die Qualität nachgeahmter Produkte (bei Medikamenten, Anm. d. Red.) sei geringer und koste Menschenleben. Die GegnerInnen von TRIPS führten aus, dass viele der in den reichen Ländern hergestellten Produkte, fast alle ihrer Nahrungspflanzen und ein hoher Anteil ihrer Medikamente auf pflanzlichem und tierischem Protoplasma aus den armen Ländern basierten. Zuerst sei das Wissen um die Substanzen und ihren Gebrauch gestohlen worden, dann wären die Substanzen selbst an die Reihe gekommen – und all das praktisch ohne Lizenzgebühren. Sie erklärten diese Aneignung ohne Gegenleistung zur „Biopiraterie“ und argumentierten, dass die Aufnahme des Patentschutzes in Handelsabkommen wahrscheinlich einen weiteren Diebstahl von genetischem Material aus armen Ländern erleichtern würde.
Auf den Vorwurf, in den Entwicklungsländern „gesammelte“ Substanzen wären gestohlen worden, folgte das Gegenargument, dass es sich um „natürliche“ Substanzen oder „Rohstoffe“ handle, die sich nicht patentieren ließen. Dagegen wurde vorgebracht, dass diese Substanzen keineswegs „Rohstoffe“, sondern das Ergebnis von Tausenden Jahren des Studiums, der Auswahl, des Schutzes, der Bewahrung und Entwicklung durch Gemeinschaften der armen Länder und indigene Völker wären.
Andere betonten, dass Handelsabkommen, die eine Übernahme ungeeigneter Konzepte von Eigentum und Kreativität erzwingen, nicht nur eine Zumutung wären, sondern auch immer kostspieliger würden. Für die ärmeren Länder, deren Schöpfungen vielleicht nicht patentierbar wären, stünden an erster Stelle die Kosten nicht erzielter Gewinne. An zweiter Stelle kämen Kosten durch höhere Aufwendungen: Mit der Erteilung von Patenten auf Lebensformen, Körperteile und Gene des Menschen sowie der Ausdehnung des industriellen Patentsystems auf die ganze Welt mittels Handelsabkommen hätten die Gesellschaften der ärmeren Länder mit beträchtlichen, rechtlich durchsetzbaren Lizenzgebühren zu rechnen.
Patente auf Saatgut oder Nutztiere könnten etwa dazu führen, dass BäuerInnen ihr traditionelles Recht verlieren, Saatgut aufzubewahren (die Aussaat ohne Bezahlung von Lizenzgebühren entspräche der unbefugten Herstellung eines patentierten Produkts); dass sie für jedes auf patentiertem Material beruhende Saatgut oder Nutztier Lizenzgebühren zahlen müssen; und dass sie in eine größere Abhängigkeit von Düngemitteln und Herbiziden gezwungen werden, hergestellt von den selben Unternehmen, die zuerst ihr traditionelles Saatgut gesammelt und ihnen dann vom Chemieeinsatz abhängige Derivate dieses Saatguts zurückverkauft haben – dies vor allem aufgrund der aktuellen Tendenz der Forschung und der zunehmenden Kontrolle von Saatgutfirmen durch Agrochemie-Konzerne.
Die Kosten von Patenten auf biologische Substanzen, die für medizinische Zwecke verwendbar sind, wären sogar höher und noch folgenschwerer.
Für den Großteil der Menschen auf dem Planeten würde der ganze Patentierungsprozess zu immer höherer Verschuldung führen; für sie würden diese Handelsabkommen auf eine „Eroberung durch Patente“ hinauslaufen, ungeachtet der angeblichen wirtschaftlichen Vorteile.
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