„Ernüchterung hat sich eingestellt.“

Von Redaktion · · 2011/12

Die ägyptische Journalistin und Autorin Mansura Eseddin spricht mit Brigitte Voykowitsch über die Situation der Frauen nach der Revolution.

Südwind Magazin: Haben Sie den Eindruck, dass die Rolle der Frauen in der Revolution nun gewürdigt wird?
Mansura Eseddin:
Nein, im Gegenteil. Es gibt bereits jetzt genug Leute, die so tun, als hätten die Frauen gar nicht an der Revolution teilgenommen. Wir befinden uns in einer sehr schwierigen und unsicheren Übergangsphase. Nach der anfänglichen Euphorie hat sich Ernüchterung eingestellt. Der Transformationsprozess geht sehr langsam voran. Niemand kann vorhersagen, wie es weitergehen wird. Niemand kennt heute das genaue Kräfteverhältnis zwischen den Angehörigen des alten Regimes, den radikalen islamistischen Gruppen, den gemäßigten Islamisten und den demokratisch gesinnten Gruppierungen. Erst die Ergebnisse der Parlaments- und dann der Präsidentenwahlen werden ein Indikator sein. Entscheidend wird auch die Zusammensetzung jenes Komitees sein, das die neue Verfassung schreiben wird.

Wie würden Sie die Lage der Frauen in Ägypten heute beschreiben?
Als Frau muss man für alles kämpfen – für das Recht auf Bildung, für das Recht, den Mann der eigenen Wahl zu heiraten, für das Recht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Ich komme aus einem kleinen Dorf im Nildelta und habe das selbst so erlebt, und ich kenne viele Frauen, die ebenfalls für alles kämpfen mussten. Es gibt so viel Armut in Ägypten, und die weibliche Genitalverstümmelung steht zwar unter Strafe, wird aber weiter praktiziert. Aber ich möchte kein allzu düsteres Bild malen, denn die ägyptischen Frauen sind stark. Sie sind nicht arme, unterdrückte Opfer, wie sie in westlichen Medien dargestellt werden. Das habe ich bei meiner eigenen Mutter erlebt. Natürlich gibt es auch Frauen, die von sich behaupten, dass sie nie benachteiligt worden sind.

Was empfinden Sie persönlich heute als Frau besonders schwierig?
Der öffentliche Raum ist in Ägypten kein frauenfreundlicher Raum. Das muss eine Frau schon am Morgen beim Anziehen bedenken, denn wenn man irgendein Gewand trägt, das als zu freizügig angesehen werden könnte, läuft man Gefahr, sexuell belästigt zu werden.
Ganz anders geht es dagegen im Kulturbereich zu. Die kulturelle Szene ist Frauen gegenüber sehr freundlich. Meinen Erfahrungen nach stoßen Frauen hier auf keine Hürden. Einen Verleger zu finden, war für mich überhaupt nicht schwer.

Welches Ägypten wünschen Sie sich für die Frauen?
Ich wünsche mir für alle Ägypter – Frauen und Männer – ein Land, in dem Demokratie und Toleranz oberste Werte sind und sich durchsetzen. Ich trete für persönliche Freiheiten ein – aber mit der Bedingung, dass für alle dieselben Freiheiten und Rechte gelten müssen. Ich war nie religiös. In der Schule musste ich das Kopftuch tragen, es war Teil der Schuluniform.
Doch in meinem Inneren spürte ich, dass es nicht zu mir gehörte. 1996, zwei Jahre nach Beginn meines Studiums in Kairo, beschloss ich, das Kopftuch für immer abzulegen. Wenn eine Frau das Kopftuch oder gar den Gesichtsschleier tragen will, ist das ihre Entscheidung. Aber sie darf mir nicht vorschreiben, dass ich so zu sein habe wie sie.

Siehe Rezension von „Hinter dem Paradies“ auf S. 38.

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