Ernährung: Ernsthafte Krise

Von Robert Poth · · 2008/02

Die rasch steigenden Weltmarktpreise für Nahrungsmittel fordern zunehmenden Tribut in ärmeren Ländern. Bisher ist kurzfristige Schadensbegrenzung auf Länderebene die Regel, eine kohärente Strategie sucht man vergebens.

Jahrzehntelang waren die Weltagrarmärkte von Überschüssen der reichen Länder gekennzeichnet, deren subventionierter Export für den Niedergang der Landwirtschaft etwa in Afrika südlich der Sahara verantwortlich gemacht wurde. Für die Nahrungsmittelpreise schien es, zumindest real (inflationsbereinigt), nur eine Richtung zu geben – nach unten. Plötzlich jedoch sieht alles anders aus: Seit Anfang 2006 haben sich die Weltmarktpreise von Getreide und Ölsaaten fast verdoppelt, die von Milchprodukten fast verdreifacht, und für das laufende Jahr ist nach Prognosen der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO keine Entspannung in Sicht.
Gründe für diesen Preisauftrieb gibt es mehrere. Einmal die langfristig steigende Nachfrage nach Futtermitteln, die mit dem steigenden Fleischkonsum vor allem in Asien zusammenhängt. Dazu kommt die zuletzt weltweit angekurbelte Produktion von Agrotreibstoffen aus Mais, Raps und Soja, die direkt und indirekt (über die Reduzierung von Anbauflächen und Substitutionseffekte) auch die Preise anderer Produkte erhöht hat. Es brauchte dann nur noch einige lokale und regionale Ernteausfälle, um die weltweiten Lagerbestände bei Weizen auf nur zwölf Wochen des Weltkonsums zu drücken, den niedrigsten Stand seit 47 Jahren (nach Daten des US-Landwirtschaftsministeriums).
Unabhängig davon sorgen die hohen Ölpreise für steigende Produktionskosten. Nach Weltbankdaten lagen die Düngemittelpreise zu Jahreswechsel 2007/8 etwa doppelt so hoch wie im Jahresschnitt 2005. Allein die höheren Energiepreise werden die Kosten der Reisproduktion in Vietnam, dem zweitgrößten Reisexportland nach Thailand, um mehr als 12% gegenüber 2007 erhöhen. Schließlich haben sich auch die Seefrachtkosten für Getreide und Ölsaaten binnen eines Jahres verdoppelt, vor allem infolge von Kapazitätsproblemen durch die hohe Transportnachfrage für Eisenerz, Stahl und Kohle. Der Transport von Mais aus den USA in die EU kostete zuletzt 75 Dollar pro Tonne, nicht weniger als 40% des Exportpreises.

Zweifellos wirkt sich dieser Preisauftrieb positiv auf Nettoexportländer und die landwirtschaftlichen Einkommen weltweit aus – von der möglichen Reduzierung der Agrarsubventionen in den reichen Ländern ganz zu schweigen, die Hoffnungen auf einen erfolgreichen Abschluss der blockierten Doha-Runde der WTO aufkommen ließen. Mittlerweile scheint aber auf offizieller Ebene ein anderes Thema ins Zentrum zu rücken: Die Effekte höherer Nahrungsmittelpreise auf arme Nettoimportländer sowie auf arme Bevölkerungsgruppen im Süden, die selbst in ländlichen Regionen mehrheitlich zu den „NettokäuferInnen“ von Nahrungsmitteln gehören.
Noch Ende Oktober wirkte Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, eher wie ein einsamer Rufer in der Wüste der internationalen Diplomatie, als er die Produktion von Agrotreibstoffen aus Nahrungsmitteln als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ geißelte und für ein fünfjähriges Moratorium plädierte. Dabei hatte er bloß daran erinnert, dass schon bisher geschätzte 850 Millionen Menschen weltweit an Hunger litten – großteils aus Armut, nicht weil es zuwenig Nahrung gibt – und dass höhere Lebensmittelpreise diese chronische Katastrophe eher verschärfen dürften.
Im Dezember schlugen dann das International Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington, das Welternährungsprogramm WFP und auch die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO Alarm. Kombiniere man die Erhöhung der Ölpreise mit der Erhöhung der Lebensmittelpreise, ergebe das die Elemente „ernsthafter Krisen in der Zukunft“, warnte FAO-Chef Jacques Diouf. Drastischer formulierte es Joachim von Braun, der Leiter des IFPRI: „Das Welternährungssystem ist in der Krise. Die Situation war seit 15 Jahren nicht mehr so besorgniserregend.“ Und Josette Sheeran, Direktorin des Welternährungsprogramms (WFP), sprach von der „knappesten Versorgungslage der jüngeren Geschichte … Viele Menschen können sich einfach keine Lebensmittel mehr leisten“.

Manche davon haben noch die Kraft, sich zu wehren. Was mit den Protesten gegen die Preissteigerungen bei Maismehl, dem so genannten „Tortilla-Aufstand“ in Mexiko Anfang 2007 begonnen hatte, setzte sich im Laufe des Jahres mit Unruhen in Marokko, Usbekistan, Jemen, Guinea und Senegal fort, wie die FAO im Dezember berichtete. Zuletzt gab es im November Proteste in Mauretanien mit dutzenden Verletzten und einem Toten. Dass es nicht schlimmer kam, hält von Braun nicht für beruhigend: „Ein Jahr oder zwei Jahre lang können Länder mit Lagerbeständen stabilisierend wirken. Die Gefahr beginnt in den nächsten 12 bis 24 Monaten.“
Tatsächlich scheinen bisher kurzfristige Gegenmaßnahmen gewirkt zu haben. Dazu gehören Ausfuhrkontrollen oder Ausfuhrsteuern in traditionellen Nahrungsmittelexportländern wie etwa Russland, Argentinien, Indien oder Vietnam, Preiskontrollen wie in China oder die Senkung von Einfuhrzöllen in Importländern. Origineller ist man in Bolivien, wo das Militär seit vergangenem Herbst Großbäckereien betreibt, während Venezuelas Staatschef Hugo Chávez die Melkkuh der Nation, die staatliche Erdölgesellschaft PDVSA, nun auch zur Behebung der Versorgungsengpässe bei Nahrungsmitteln einsetzen will.

China, ein Nettoimporteur im Nahrungsmittelhandel, ist insofern besonders betroffen, als hier die importierte Preissteigerung durch interne Versorgungsprobleme verschärft wird: Schweinefleisch verteuerte sich binnen eines Jahres um 56%, die Lebensmittelkosten insgesamt stiegen um 18%. Die zunehmende Nervosität der Behörden in Beijing lässt sich an den jüngsten Maßnahmen erkennen: Anfang Jänner wurden die Strafen für Unternehmen, die sich an Preisabsprachen beteiligen oder Nahrungsmittel horten, auf rund 130.000 Dollar verzehnfacht.
In manchen Ländern scheinen weiterreichende Preiseffekte erst bevorzustehen, etwa bei Fleisch und Eiern. In Indien etwa forderte die Geflügelindustrie Anfang Jänner einen Stopp privater Exporte von Mais und Soja, Futtermittel, die ca. 75% der Produktionskosten für Geflügel und Eier ausmachen. Der Maispreis in Indien hat sich in manchen Regionen innerhalb eines Jahres verdoppelt, ebenso der von Sojamehl, und die Branche befürchtet, ihre Produkte nicht mehr mit Gewinn absetzen zu können.
Subventionen sind eine andere mögliche Maßnahme – die muss sich ein Land aber leisten können. Während die Regierung in Jamaika Anfang Jänner 500 Mio. US-Dollar an Subventionen für Grundnahrungsmittel bewilligte, meinte ihr Gegenstück in Mauritius, die ihrigen nicht mehr erhöhen zu können: Brot wird daher noch im Jänner um bis zu 20% teurer werden. Auch in Senegal stiegen die Brotpreise im vergangenen Herbst um 12%, obwohl die Importzölle auf Weizen gesenkt wurden.
Die Weltbank geht jedenfalls davon aus (in ihrem Bericht zu den „Global Economic Prospects 2008“), dass die meisten Länder nicht in der Lage sein werden, ihre KonsumentInnen vor steigenden Nahrungsmittelpreisen zu schützen. Auch begrenzte „Sicherheitsnetze“, die nur für ärmere Bevölkerungsgruppen gedacht sind (wie etwa in Bangladesch) dürften überfordert sein, falls die Preise – wie die Weltbank erwartet – länger auf hohem Niveau bleiben.

Sogar die internationale Nahrungsmittelhilfe für Krisenländer scheint gefährdet. Anfang Jänner warnte das WFP, dass der ursprünglich auf 100.000 Tonnen geschätzte Bedarf an Nahrungsmittelhilfe in Afghanistan viel höher ausfallen könnte. Grund: die privaten Einfuhren würden aufgrund der hohen Weizenpreise wahrscheinlich nicht den erwarteten Umfang erreichen. Und es gibt derzeit 37 Länder, die Nahrungsmittelhilfe benötigen – zuletzt kam Kenia zusätzlich auf die Liste.
Welche Gegenmaßnahmen sollten ergriffen werden, um die befürchteten Folgen zu vermeiden? Sowohl die Empfehlungen von IFPRI als auch das Aktionsprogramm der FAO von Mitte Dezember klingen nicht wirklich neu: Maßnahmen zur Angebotssteigerung, da Marktmechanismen allein nicht ausreichen, wie etwa mehr Investitionen in die ländliche Infrastruktur und die Verteilung von Gutscheinen für Saatgut und Düngemittel (ein FAO-Vorschlag); Handelserleichterungen; eine Stärkung der Sicherheitsnetze in betroffenen Ländern und mehr Investitionen in die landwirtschaftliche Forschung. Eine IFPRI-Empfehlung ist übrigens in der EU bereits realisiert: Das Flächenstilllegungsprogramm wurde für 2008 ausgesetzt, was zu einem Mehrertrag von zumindest zehn Mio. Tonnen Getreide führen soll.
Schließlich fordert die FAO eine Abstimmung der Agrotreibstoff-Politik mit den internationalen Bemühungen zur Bekämpfung des Hungers, ein Thema, das auf einer hochrangigen Konferenz über „Welternährungssicherheit und die Herausforderungen des Klimawandels und der Bioenergie“ in Rom Anfang Juni debattiert werden soll. Zwar zumindest zwei Jahre zu spät, aber immerhin ein Schritt zu mehr Kohärenz – wenn auch nur ein kleiner.

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