Entwicklung am Alsergrund

Von Marc Diebäcker · · 2000/04

Im neunten Wiener Gemeindebezirk wurde die erste Phase eines Pilotprojekts zur „Agenda 21“ abgeschlossen. Mehrere andere Wiener Bezirke und Städte in Österreich möchten sich nun diesem Beispiel anschliessen.

„Verspätet, aber recht erfolgreich“, so könnten die Ambitionen in Wien zur Lokalen Agenda 21 (LA 21) beschrieben werden. Denn erst seit dem Herbst 1998 gibt es auf Initiative des neunten Wiener Gemeindebezirks („Alsergrund“) und der Volkshochschule WienNordWest ein entsprechendes Pilotprojekt – relativ spät im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten. Die Wiener Magistrate Umweltschutz (MA 22) und Stadtteilplanung (MA 21A) konnten dazu gewonnen werden, im Alsergrund exemplarisch für die gesamte Stadt die konkrete Umsetzung der LA21 zu verwirklichen. Ziel war es, gemeinsam mit den BürgerInnen Wege für eine zukunftsorientierte Entwicklung im Bezirk zu erarbeiten. Erfolgreich, wie sich nun am Ende der Pilotphase zeigt.

Die Agenda 21 wurde 1992 als ‚Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert‘ auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro beschlossen. Die Lokale Agenda 21 (LA 21) bezieht sich auf das 28. Kapitel, in dem die Kommunen aufgefordert werden, „in einen Dialog mit ihren Bürgern, örtlichen Organisationen und der Privatwirtschaft einzutreten und eine kommunale Agenda 21 zu beschließen“. Denn nur „durch Konsultation und Herstellung eines Konsenses“ könnten die Kommunen von Ihren Bürgern und Organisationen lernen“ und an die erforderlichen Informationen zur Formulierung geeigneter nachhaltiger Strategien gelangen.

Erfahrungen europäischer Millionenstädte der letzten Jahre zeigen bereits, dass den Beteiligungsmöglichkeiten der Bevölkerung enge Grenzen gesetzt sind, wenn der Agenda-Prozess nicht mindestens auf Stadtteilebene ansetzt. Denn die BürgerInnen als ‚Experten ihres Lebensbereichs‘, wissen am ehesten, wie nachhaltige Entwicklung ‚vor Ort‘ auszuschauen hat. Sie zu motivieren, ihre Ideen zu erfassen und konkrete Projekte umzusetzen, bildeten daher Schwerpunkte des Projekts am Alsergrund.

Martin Schaurhofer lebt seit 1972 im Bezirk, heute am Gürtel. Er arbeitet in der Projektgruppe „Lust und Last an der Thurnstiege im Alsergrund“ mit. Schaurhofer: „Es geht für mich und viele andere engagierte Bürger und Bürgerinnen um eine Verbesserung der Nahversorgung, der Freizeiträume, der Stadtwege, mit einem Wort – der Lebensqualität. Es freut mich, dass Menschen mit verschiedenstem Hintergrund zusammenfinden und gemeinsam ihre Zukunft gestalten. Da gibt es offensichtlich ein bisher unerkanntes Potential an BürgerInnenbeteiligung!“

Zunächst wurde anhand zahlreicher Interviews mit Jugendlichen, Geschäftsleuten, PolitikerInnen und anderen BewohnerInnen ein Bezirksprofil erstellt. Dabei galt es, Probleme zu erkennen, individuelle Bedürfnisse und Interessen der BewohnerInnen festzuhalten sowie bereits vorhandene Potentiale für eine nachhaltige Entwicklung im neunten Bezirk zu erfassen.

Die Auftaktveranstaltung für die konkrete Umsetzung der LA 21 im Januar 1999 wurde von mehr als 170 Leuten besucht. Der Abend war als Großgruppenmoderation gestaltet, bei der viele der anwesenden Personen ihre Ideen für einen lebenswerten Alsergrund einbrachten. In den darauf folgenden Wochen nahmen zahlreiche BewohnerInnen an drei, thematisch unterschiedlichen, „Zukunftswerkstätten“ teil. Es entstanden sechs Arbeitskreise, in denen die ehrenamtlich arbeitenden Aktiven ihre Ideen zu Projektvorschlägen weiterentwickelten. Dazu gehören u.a. die Konzeption eines „Alternativen Bezirksplanes“, der soziale und ökologische Initiativen und Betriebe zusammenstellt. Insgesamt arbeiteten die Aktiven im vergangenen Jahr über 2200 Stunden ehrenamtlich für die LA 21.

Der Wirtschaftstreibende Fritz Weber hat sich dem Arbeitskreis „Global Denken – Lokal Handeln“ angeschlossen, da „nur das Prinzip Nachhaltigkeit unsere Nahversorgung und somit unsere Lebensqualität retten kann“. Und in der Agenda 21 erblickt er den genau richtigen Weg dazu. Die Pensionistin Brigitte Döring, von Beruf Soziologin und langjährige Mitarbeiterin der Vereinten Nationen, hat u.a. der politische Aspekt der Agenda angesprochen: „Ich bin fest davon überzeugt, dass sich nicht nur gewählte Politiker und bezahlte Beamte für die kurz- und langfristigen Interessen der Bevölkerung einsetzen sollten. Durch praktische Mitarbeit können auch Nicht-Regierungsorganisationen und ‚einfache‘ BürgerInnen konstruktiv an der Gestaltung ihrer Umgebung und des sozialen Netzes teilnehmen – und obendrein Politiker und verantwortliche Dienststellen auch zwischen den Wahlen an ihre Versprechungen erinnern und Leistungen einfordern.“

Daneben entwickelten sich im Alsergrund neue Formen des miteinander Kommunizierens, eine Grundvoraussetzung für zukunftsorientiertes Handeln in der Gemeinde. In Zukunftswerkstätten, Arbeitskreisen und Koordinierungstreffen trafen kontinuierlich BewohnerInnen, Wirtschaftstreibende, Politiker und Mitarbeiter der Verwaltung in einem sehr informellen Rahmen aufeinander. Sie lernten gegenseitige Berührungsängste abzubauen und gemeinsam konstruktiv an Visionen und Projekten zu arbeiten.

Aufgrund der positiven Erfahrungen im Alsergrund wird die Agenda 21 nach Ablauf der Pilotphase Ende März fortgesetzt werden. Auch im Rahmen einer wissenschaftlichen Evaluationsrunde im Dezember 1999 wurde die Agenda im neunten Bezirk überaus positiv bewertet und zur Nachahmung empfohlen. Laut Alfred Strigl vom Österreichischen Institut für Nachhaltige Entwicklung (das mit der Wiener Universität für Bodenkultur assoziiert ist) ist das Projekt „als ein wichtiger Initialschritt zur Umsetzung des weltweiten Programms der Agenda 21 in Wien“ anzusehen. Und tatsächlich sind inzwischen weitere Wiener Bezirke (z.B. der 4., 6., 7., 8. und 15.) an einer Umsetzung der LA 21 interessiert.

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Der Autor ist freier Mitarbeiter des SÜDWIND-Magazins und arbeitet seit kurzem im Agenda-Büro Alsergrund mit.

Kürzlich erschien von Marc Diebäcker in einer Schriftenreihe der Mercator-Universität Duisburg ein Buch über „Dritte-Welt-Gruppen in der lokalen Entwicklungspolitik“, eine überarbeitete Fassung seiner Diplomarbeit.

Zum Thema siehe auch den Schwerpunkt „Nachhaltiges Österreich“ im SWM 6/99.

Haben Sie Fragen oder wollen Sie mitarbeiten? Dann wenden Sie sich an das Agenda Büro Alsergrund: Galileigasse 8, 1090 Wien, Tel.: 01/315 78 76, Fax: 01/ 317 52 43-37, Email: agenda21@vhs.at. Internet: www.vhs.at/agenda21/

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