Energiewende im Süden

Von Robert Poth · · 2004/09

Unter dem Primat des Klimaschutzes sollte in zehn bis zwanzig Jahren auch im Süden eine Energiewende eingeleitet werden. Ob es dazu kommt, scheint eine Frage der Kosten zu sein – und eine der internationalen Rahmenbedingungen.

Wenn die Ölpreise von einem Rekord zum nächsten klettern, könnte das im Sinne des Klimaschutzes begrüßt werden: Je teurer, desto besser. Tatsächlich lässt sich daran ablesen, dass auch der Süden in die fossile Sackgasse marschiert. Setzt sich die aktuelle Entwicklung fort, würden sich die Kohlendioxid-Emissionen der Entwicklungsländer bis 2050 verdoppeln bis vervierfachen. Auf Basis des Kioto-Protokolls zur Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen dürften sie aber maximal um 30 Prozent gegenüber 1990 zunehmen. Soll das erreicht werden, müssten auch im Süden in den nächsten 10 bis 20 Jahren die Weichen entsprechend umgestellt werden. Unmöglich ist es nicht. ExpertInnen wie Eberhard Jochem vom Schweizer Bundesinstitut für Technik verweisen auf große Einsparungspotenziale: Ohne Verzicht könnte der aktuelle Energieverbrauch im Norden um bis zu 85 Prozent verringert werden – und das bei einer aktuellen Energieeffizienz, die weit höher ist als im Süden. Ebenso lassen sich genügend erneuerbare Energiequellen anzapfen, um auch auf Kernkraft verzichten zu können. Der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) der deutschen Bundesregierung etwa beziffert das Potenzial der Nutzung von Windenergie mit jährlich 140 Exajoule (EJ), das von Biomasse mit 100 EJ; das Potenzial einer Sonnenenergienutzung ist praktisch unbegrenzt. Zur Erklärung: 140 Exajoule entsprechen etwa einem Drittel des weltweiten Primärenergieverbrauchs im Jahr 2000 oder dem Zweieinhalbfachen der aktuellen Stromerzeugung. Die Anteile erneuerbarer Energien an der Stromversorgung (ohne Wasserkraft) sind derzeit in den ärmeren Ländern noch verschwindend (siehe Tabelle), was im Wesentlichen an den Kosten und der Verfügbarkeit der jeweiligen Energien und Technologien liegt. Vor allem diese beiden Faktoren werden auch darüber entscheiden, welche Chancen erneuerbare Energien in den beiden kommenden Jahrzehnten im Süden haben. Dabei könnten drei Bereiche unterschieden werden: Die Versorgung in netzfernen Regionen, die Deckung des Energiebedarfs des Verkehrssektors und die Stromversorgung von Unternehmen und Haushalten über bestehende Netze. Zuerst die schlechte Nachricht: Im Verkehrssektor gibt es für Erdöl praktisch keinen nicht-fossilen Ersatz außer Biotreibstoffen, die oft in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln erzeugt werden müssten. Leider nimmt gerade im Verkehr der Energieverbrauch am schnellsten zu. Wasserstoff wäre nur dann eine Alternative, wenn er „sauber“, also etwa mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen produziert werden könnte. Nur, woher nehmen? In großem Maßstab wird das vielleicht erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf Basis von Solarstrom möglich sein. Bis dahin wird die Antwort im Einsparen bestehen müssen – etwa durch die Förderung des öffentlichen Verkehrs. Die gute Nachricht ist, dass netzferne Regionen heute bereits wirtschaftlicher auch durch erneuerbare Energiequellen versorgt werden können als durch eine Anbindung an zentrale Stromnetze. Und immerhin existiert ein erklärter politischer Wille, dieses Projekt in Angriff zu nehmen: als Teil der Armutsbekämpfung, zu der sich die Welt in Form der Millenniumsziele der Vereinten Nationen bekannt hat. Es wäre ein gewaltiger Erfolg, zumindest den elementarsten Energiebedarf der zwei Milliarden Menschen, die heute auf traditionelle Biomasse wie Holz und Dung angewiesen sind, mit modernen, sauberen Energien zu decken. Eine Energiewende würde damit aber nicht bewirkt: Der Energiebedarf dieser Menschen (hauptsächlich zum Kochen) entspricht lediglich einem Prozent des weltweiten Stromverbrauchs. Was die Stromversorgung über bestehende Netze betrifft, gibt es durchaus Perspektiven. Mit Wind- und Biomassekraftwerken kann bereits jetzt preisgünstig Strom erzeugt und eingespeist werden. Die jeweiligen Potenziale sind natürlich länderspezifisch. In Indien, das über eine eigene Windkraftindustrie verfügt, wären Windkraftkapazitäten von 45 Gigawatt (GW = eine Milliarde Watt) und Biomassekraftwerke mit einer Kapazität von 20 GW möglich, meint das deutsche Umweltministerium – das entspricht 65 Prozent der aktuellen Kraftwerkskapazität des Landes. Sobald solarthermische Kraftwerke gegenüber Gas- und Kohlekraftwerken konkurrenzfähig werden, was ab 2015 der Fall sein könnte (siehe Artikel nächste Seite), stünde eine weitere Alternative bereit. Selbst dann wird ein Ausbau aus Kostengründen aber nur im Gleichschritt mit der Erweiterung der Kapazität der jeweiligen Anbieter stattfinden können. Ob Solarenergie aus Photovoltaik-Anlagen und dezentrale Speichersysteme billig genug werden, um sich großräumige Netze überhaupt ersparen zu können, ist dagegen noch nicht abzusehen. Auch ist der politische Wille offenbar vorhanden – das wurde jedenfalls aus dem Ergebnis der Internationalen Konferenz für erneuerbare Energien Anfang Juni in Bonn („Renewables 2004“) geschlossen. Indien will etwa bis 2012 6 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen decken, wobei die Windkraftkapazität mit 6 GW mehr als verdreifacht werden soll. China erklärte bei der Konferenz, bis 2010 10 und bis 2020 12 Prozent seines Strombedarfs mit erneuerbaren Energien decken zu wollen, wobei Kleinwasserkraftwerke eingerechnet sind. Gleichzeitig sollen jedoch die Gesamtkapazitäten in Indien bis 2012 auf 200 GW verdoppelt und in China mit 1.000 GW bis 2020 sogar um das Zweieinhalbfache erhöht werden. (Zum Vergleich: Die Kraftwerkskapazität in Deutschland beträgt rund 125 GW.) Das würde heißen, dass gerade in diesen „Riesen“ des Südens in erster Linie Gas- und Kohlekraftwerke gebaut werden und zumindest in diesem Zeitrahmen die Abhängigkeit von fossilen Energien sogar zunehmen wird, vom Verkehrssektor ganz zu schweigen. Kohlekraftwerke sind besonders problematisch. Grundsätzlich sollte dem wesentlich emissionsärmeren Erdgas als „Überbrückungstechnologie“ der Vorzug gegeben werden. Gaskraftwerke könnten zudem unter Umständen später auch mit Biogas oder Wasserstoff betrieben werden. Bei voraussichtlich steigenden Gaspreisen wird es jedoch schwierig sein, den Einsatz von Kohle zu reduzieren: Selbst im reichen Deutschland werden Versorgungssicherheit und Deviseneinsparung dagegen ins Treffen geführt. Und was für Deutschland recht ist, kann für ärmere Länder wie China, Indien oder Südafrika, wo große Kohlereserven mit rasch steigendem Strombedarf zusammentreffen, wohl nur billig sein. Ein gesteigerter Wirkungsgrad neuer Kohlekraftwerke wäre eine Art Schadensbegrenzung, während eine Abscheidung von Kohlendioxid (CO2) zwar denkbar, aber noch zu teuer ist. Inwiefern der Energiemix von der laufenden oder geplanten Deregulierung bzw. Privatisierung des Stromsektors in vielen Entwicklungsländern beeinflusst werden wird, ist schwer zu sagen. Einerseits eröffnet eine Trennung von Netzbetrieb und Stromerzeugung Anbietern erneuerbarer Energien direkten Zugang zu KundInnen. Ziel dieser Reformen ist aber andererseits eher, die Voraussetzungen für eine rationelle Energienutzung und für Effizienzsteigerungen zu schaffen, die man sich auch von der Beteiligung transnationaler Energiekonzerne erhofft. Ein Beispiel ist die Reform des Energiesektors in Indien, wo die Elektrizitätsversorger auf Teilstaatsebene bisher durch subventionierten Strom für die Landwirtschaft, Korruption und tolerierte Nichtbezahlung bzw. illegale Abzweigung jährlich Verluste einfuhren, die auf bis zu ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts geschätzt werden. Fazit bleibt: Eine Energiewende ist vor allem eine Frage des Geldes – jedenfalls dort, wo erneuerbare Energien unwirtschaftlich sind oder erscheinen – und damit auch eine Frage der Finanzierung von Forschung & Entwicklung. Was tatsächlich passiert, wird in wesentlichem Ausmaß auch von den zukünftigen internationalen Rahmenbedingungen abhängen. Abgesehen von der im Kioto-Protokoll vorgesehenen Möglichkeit der reichen Länder, Emissionen von Treibhausgasen durch Projekte im Süden zu reduzieren, reicht das Spektrum von einer „CO2-Steuer“ zur Integration der Umweltkosten fossiler Brennstoffe bis hin zu einem Handel mit Emissionsrechten auf Basis eines weltweit einheitlichen Pro-Kopf-Verbrauchs. Letzterer könnte Nord-Süd-Finanztransfers in Höhe von einigen hundert Mrd. Dollar jährlich bewirken, glaubt der WBGU. Letztlich kann aber jede Stärkung der finanziellen Kapazität der Entwicklungsländer – Regierungen und Unternehmen – die Chancen einer Energiewende nur erhöhen. Daher ist auch hier das obligate ceterum censeo der Entwicklungspolitik angebracht: Dringend geboten sind eine weitere Entschuldung, der Aufbau eines fairen Handelssystems, die Erhöhung der Entwicklungshilfetransfers und eine entwicklungsfreundliche Strukturreform der internationalen Finanz- und Kapitalmärkte.

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