Hunger ist das Thema des dritten Teiles der Katastrophen-Enzyklopädie des Innsbrucker Wissenschaftlers Josef Nussbaumer.
Große Hungerkatastrophen von 1845 bis heute bilden einen weiteren Bestandteil von Nussbaumers Katastrophen-Enzyklopädie. Das Buch, wieder in zwei Teilbänden, wird Anfang nächsten Jahres erscheinen.
INI = Die größte Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg ereignete sich in China im Zeitraum von 1958-1962. Sie sei im folgenden exemplarisch für Nussbaumers akribische Recherchen herausgegriffen.
Mit geschätzten 30 Millionen Toten gehört sie zu den schlimmsten Ereignissen des 20. Jahrhunderts. Um so unverständlicher, daß so lange Zeit über die chinesische Hungersnot geschwiegen wurde. Erst 1996 erschien in London die erste Monographie darüber. Der Autor dokumentiert diese und andere Hungersnöte, gestützt auf umfangreiche Quellen, und gibt interessante Hintergrundinformationen bezüglich der Ursachen.
Mit dem sogenannten Großen Sprung nach vorne sollte die chinesische Wirtschaft angekurbelt und dadurch bessere Lebensbedingungen für die chinesische Gesellschaft geschaffen werden. Die gesamte wirtschaftliche Entwicklung wurde auf die Frage reduziert, wie viele Tonnen Stahl erzeugt werden können. Alles Schmelzbare diente der Stahlproduktion, welche abstruseste Formen annahm. So wurden zum Beispiel zur Regierungszeit Mao Tsetungs nahezu alle privaten gußeisernen Haushaltsgeräte im Rahmen der Stahlaktion in den Hochöfen eingeschmolzen, so daß de facto nur mehr in öffentlichen Kantinen gegessen werden konnte.
Die Landwirtschaft wurde auf Kosten der Stahlkampagne in ihrer Wichtigkeit für die Volkswirtschaft vernachlässigt. Die meisten Arbeitskräfte wurden vom Land weg in Industriebetriebe abgezogen. Nach offiziellen Schätzungen konnten etwa 100 Millionen Bäuerinnen und Bauern in dieser Zeit ihre Felder nicht bestellen, weil sie Stahl kochen mußten. Die Folgen für die landwirtschaftliche Produktivität waren verheerend. Maos Großer Sprung nach vorne führte in eine Hungersnot, die 30 Millionen Menschen das Leben gekostet hat.
Besonders betroffen waren die Provinzen Anhui, Henan, Shandong, Sichuan, Qinghai und Gansu. In der Provinz Chengdu zum Beispiel wurden die monatlichen Lebensmittelrationen für Erwachsene auf ganze achteinhalb Kilogramm Reis, zehn Gramm Speiseöl und hundert Gramm Fleisch, sofern es überhaupt welches gab, festgesetzt. Die Situation gestaltete sich für die chinesische Bevölkerung derartig auswegslos, daß sich viele von Menschenfleisch ernährten. Kannibalismus ist oft ein verzweifelter Ausweg aus katastrophalen Ernährungssituationen.
Lügen gehörten zum (über)lebensnotwendigen Verhalten im damaligen China. Der zynische Propaganda-Spruch „Eine tüchtige Frau bringt auch ohne Lebensmittel eine Mahlzeit auf den Tisch.“ ist bezeichnend für das China dieser Zeit.
INI = Bei all der Flut von Schreckensmeldungen verfällt der Innsbrucker Wissenschaftler nicht in Depressionen Ganz im Gegenteil: Er plant weitere Bände zu den Themen Kannibalismus, Kriege und Seuchen. Nußbaumer: Mit der Zeit wird alles zu einem Faktum der wissenschaftlichen Forschung und dann bleibt man kühl.
Mit dem Katastrophen-Nachschlagwerk entsteht eine weltweit einmalige Darstellung menschlicher Gefährdung, das auch Chancen zur Risikominderung aufzeigt.
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