Von: Christina Bell
Betreff: Gänsehaut garantiert
Liebe Redaktion,
Im öffentlichen Leben in Mexiko-Stadt kommt man an einem nicht vorbei: toten Menschen. Tag für Tag zeigen die Titelseiten der hiesigen Boulevardzeitungen Mord- oder Unfallopfer. Oft wird per Pfeil oder vergrößertem Bildausschnitt auf die durchgeschnittene Kehle oder das klaffende Einschussloch hingewiesen.
Die Schlagzeilen sind häufig Wortspiele, selten geglückter schwarzer Humor, zumeist einfach nur jenseitig. Auch nach Monaten reagiere ich mit einer Art Empörungsreflex. Irgendwie ist es beruhigend, dass ich mich nicht an diese Form des Sensationsjournalismus gewöhne.
Der Anblick der Formate bringt mich auch immer wieder ins Grübeln zum Thema Medien und Moral. Befriedigt die „nota roja“, wie das Genre dank seines Fokus auf Verbrechen, Unfälle und Katastrophen genannt wird, einfach nur die voyeuristische Ader der Massen? Oder ist es – so ein Gegenargument – in einem Land, das seit Jahren in einer Art Gewaltspirale steckt, trotz Bedenken legitimer, Tote zu zeigen als sie unter den sprichwörtlichen Teppich zu kehren, wie der Regierung gern vorgeworfen wird? Stumpft die tägliche optische Konfrontation die Gesellschaft ab oder verhindert sie vielmehr, dass die Gewalt akzeptiert und nicht mehr thematisiert wird?
Noch habe ich kein eindeutiges Urteil gefällt. Inzwischen amüsierte ich mich darüber, dass ich manchmal fast soweit bin, den österreichischen Boulevard zu vermissen. Aber nur fast.
Saludos, Christina
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