Eisenbahn im Süden

Von Rupert Helm · · 2000/07

Modern seit 150 Jahren

Kaum eine „moderne“ Technologie hat sich so lange gehalten wie das geniale Duo aus Schiene und Dampflok. Schon um 1850 existierte in England, der Pioniernation der Eisenbahn, ein mehr als 10.000 Kilometer langes Netz, rund 70% des heute existierenden. Die Technologie hat sich nur langsam verändert. Erst die Elektrifizierung und der Einsatz der Informationstechnologien brachten ab 1950 einen Modernisierungsschub, eine Entwicklung die jedoch viele Bahnen in den Ländern des Südens mangels Kapitals nicht mitmachen konnten.

Am Beispiel Eisenbahn lässt sich vieles diskutieren: Schienensysteme stehen für Nachhaltigkeit, sparsamen Umgang mit Energie und Rohstoffen, aber auch für Bürokratie und Staatswirtschaft. Ihre Konkurrenz, der Straßenverkehr – und zunehmend der Luftverkehr, steht für Modernität, Beweglichkeit, Konsumrausch und Neoliberalismus. Auf der einen Seite verkommene Nahverkehrsgarnituren, auf der anderen werden Luxusreisen per Bahn angeboten.

Weltweit stehen rund 1,25 Millionen Kilometer Schienenwege zur Verfügung. Während in Europa in den letzten Jahren das Streckennetz schrumpfte, wird es in einigen Entwicklungsländern ausgebaut. Speziell bevölkerungsreiche Staaten wie China oder Indien sehen in Eisenbahn- und Metrosystemen die einzige Lösung für anstehende Transportprobleme im Güter- und im Personen-Nahverkehr. New Delhi, eine Megastadt mit rund 11 Millionen Menschen und drei Millionen Fahrzeugen, will bis 2005 mit 55 km Metro-Linien die vordringlichsten Verkehrsprobleme lösen. Bis 2024 soll das 200 km-Netz fertig gestellt sein. Die Luftverschmutzung könnte durch diese Maßnahme um rund 50% sinken, schätzt E. Sreedharan, der Direktor der Delhi Metro Rail Corporation.

Die großen Geldgeber im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit haben ihre Schwerpunkte auf den Ausbau und die Wiederherstellung der Straßennetze verlagert. Die Politik von Weltbank und Währungsfonds zielt eindeutig in diese Richtung, auch wenn z.B. die Weltbank sich immer wieder und auch im beträchtlichen Umfang an Bahnprojekten beteiligt. Aktuell fließen 63% der Weltbank-Kredite für den Transportsektor in den Ausbau von hochrangigen Straßen, lediglich 2% werden im Eisenbahnsektor ausgegeben.

Viele Länder des Südens verbinden mit Eisenbahnen auch bittere Erfahrungen. Tausende Tote beim Bau von Strecken waren keine Ausnahme. Die fertigen Bahnen dienten dann den Kolonialmächten um ihre vergleichsweise kleinen Militäreinheiten blitzschnell zu verlegen, und um die billigen Rohstoffe mit geringen Kosten und Risken zur Küste zu schaffen. Die Eisenbahn hat Landschaften und die Geschichte geprägt.

Und bietet Stoff für viele Geschichten.

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