Nach einer sehr schlechten Performance als Friedenshüter wurde das Mandat der UN-Friedensmission im Kongo ausgeweitet. Mit ersten Erfolgen.
Geduckt hinter kantigem Lavagestein und Sandsäcken verschanzen sich die UN-Soldaten an der Frontlinie nördlich von Ostkongos Provinzhauptstadt Goma. Ihr Blick zeigt mehr Unsicherheit als Kampfgeist. Von einem weißen Panzer aus beobachten Blauhelmsoldaten Rebellen, die auf einer Handelsstraße Passantinnen und Passanten Wegzoll abknöpfen. Sie schreiten nicht ein. Sie beobachten nur.
„Es kann doch nicht angehen, dass ich aus dem Hubschrauber steige und die Rebellen kommen daher, um den Helikopter zu inspizieren“, beschwerte sich der frisch ernannte Repräsentant des UN-Sicherheitsrates im Kongo, Martin Kobler, kurz nachdem der deutsche Diplomat im August des vergangenen Jahres in den Ostkongo geflogen war, um sich die Lage in der Kleinstadt Pinga anzusehen. „Das können wir nicht mehr dulden!“
Nach diesem Vorfall wurde die Monusco, die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo, grundlegend umgekrempelt.
Die UN-Mission im Herzen Afrikas war schon immer umstritten: Monusco, vormals Monuc, ist die aufwendigste und teuerste UN-Mission weltweit. Trotz 20.000 Blauhelmen und einem Jahresbudget von 1,5 Milliarden US-Dollar gelang es den UN-Truppen in zwölf Einsatzjahren nicht, Stabilität im Kongo herzustellen. Laut Mandat sollte sie den Frieden überwachen und die Bevölkerung schützen.
Vier Kriege haben in den vergangenen 20 Jahren fast fünf Millionen Menschen im Kongo das Leben gekostet. Millionen von Frauen wurden vergewaltigt, Kinder systematisch zwangsrekrutiert. Krieg ist hier ein Geschäft geworden, Rebell zu sein ein Beruf. Denn es gibt keine Jobs. Wer jedoch eine Kalaschnikow hat, der kann sich nehmen was er will, der muss nicht fliehen oder sich mit Feldarbeit abmühen. Von Frieden und Stabilität kann im Kongo auch in ruhigeren Zeiten keine Rede sein.
Im Jahr 2012 entflammte der Krieg im Osten des Landes erneut: Tutsi-Offiziere desertierten aus der Armee und gründeten im Dreiländereck zu Uganda und Ruanda die M23 (Bewegung des 23. März). In kurzer Zeit eroberten sie mit Unterstützung aus den Nachbarländern einen Landstrich in der Grenzregion, etablierten einen Staat im Staat, setzten eine eigene Verwaltung ein, besteuerten die Bevölkerung und kontrollierten den Grenzhandel. Kongos Armee reagierte und zog Truppen an der Front zum Gebiet zusammen, das von der M23 kontrolliert wurde. Mit fatalen Folgen: Der Abzug der Armee aus dem Hinterland, in den Regionen Walikale und Shabunda, hinterließ dort ein Sicherheitsvakuum. Ein Dominoeffekt setzte ein: In den unsicheren Gebieten gründeten verfeindete Gruppen jeweils eigene Selbstverteidigungsmilizen. Männer bewaffneten sich mit Macheten, Spitzhacken und Lanzen, um ihre Frauen und Kinder vor Eindringlingen zu verteidigen.
Eine Statistik des kongolesischen Verteidigungsministeriums listet mittlerweile fast 50 Milizen auf. Rund 12.000 bewaffnete kongolesische, ruandische, ugandische, burundische Kämpfer treiben im Dschungel ihr Unwesen, ein Drittel davon Kindersoldaten. Und das alles vor den Augen von rund 20.000 UN-Soldaten?
„Bei einem Land mit der Fläche von Westeuropa, das von dichtem Urwald bedeckt ist, durch welchen kaum Straßen durchführen, sind 20.000 Blauhelme nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, erklärt der Monusco-Operations-Kommandant – in einem vertraulichen Gespräch.
Nur die Hälfte der Blauhelme ist im Osten des Landes stationiert: indische und pakistanische Brigaden, die zwar gut ausgebildet sind, aber aus ihren Heimatländern den Befehl haben, nicht zuviel zu riskieren. Daher sah man sie nur versteckt hinter Sandsäcken und in Panzern, auf deren Kanonenrohren die Schutzabdeckungen nicht einmal abgenommen wurden.
Beschämend wurde es im November 2012, als die M23 Goma eroberte. Die UNO hatte zuvor versprochen, die Millionenstadt zu verteidigen. Die UN-Blauhelme durften laut ihres Mandats aber nur in Zusammenarbeit mit Kongos Armee eingreifen, um die Bevölkerung zu schützen. Ihnen waren die Hände gebunden. Die kongolesischen Soldaten zogen sich – viele alkoholisiert – ungeordnet in die 40 Kilometer entfernte Kleinstadt Minova zurück und vergewaltigten dort in drei Tagen über hundert Frauen.
Die M23-Kämpfer marschierten winkend und grinsend an den UN-Panzern vorbei und nahmen Goma ein. Ein indischer UN-Panzerfahrer schaute ratlos aus der Luke: „Ich habe keine Erlaubnis zu schießen, wir sind nur hier, um den Frieden zu hüten“, sagte er. Ein M23-Kommandeur erlaubte sich den Spaß und umzingelte mit seinen Kämpfern das UN-Hauptquartier am Kivu-See. In der Containersiedlung brach Panik aus. Eine Blamage. Ein neues Konzept musste her.
Kongo und die M23
März 2012: Vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wird der kongolesische Kriegsherr Thomas Lubanga schuldig gesprochen. Dies erhöht den Druck, seine Mitangeklagten dingfest zu machen, darunter Bosco Ntaganda, ehemaliger Militärchef von Lubangas Miliz UPC.
April 2012: Präsident Kabila droht in einer Rede mit der Verhaftung Ntagandas, damals noch General in der Regierungsarmee. Ntaganda desertiert auf seine Farm in Masisi. Nach tagelangen Kämpfen mit der Armee kann Ntaganda entkommen.
Mai 2012: Dutzende hochrangige Tutsi-Kommandeure desertieren aus der Armee und gründen die Bewegung des 23. März. M23-Chef Sultani Makenga und Ntaganda arrangieren sich.
Juli 2012: Die M23 erobert einen Landstrich entlang der Grenzen, darunter die wirtschaftlich wichtige Grenzstadt Bunagana und die Handelsstadt Rutshuru.
November 2012: Die M23 besetzt die Millionenstadt Goma für elf Tage. Die Niederlage der Regierungsarmee zwingt Kabila an den Verhandlungstisch mit den M23 in Kampala.
Februar 2013: Eine UN-Resolution erlaubt die Stationierung einer aggressiven Eingreiftruppe, die gegen Rebellen vorgehen kann.
März 2013: Makenga und Ntaganda streiten um die Befehlsgewalt in der M23, es kommt zu Kämpfen. Ntagandas Truppen flüchten nach Ruanda. Ntaganda stellt sich in Kigali der US-amerikanischen Botschaft, er wird nach Den Haag ausgeliefert.
Juli 2013: Kongos Armee gelingt es, die M23 bei Goma zurückzudrängen.
September 2013: Militäropera-tion mit der UNO-Eingreiftruppe gegen die M23, die sich in die Berge zurück-ziehen muss.
November 2013: Die M23 flieht geschlagen nach Uganda.
Dezember 2013: Die M23 garantiert, die Rebellion einzustellen, Kongos Regierung verspricht im Gegenzug ein Demobilisierungsprogramm.
Jänner 2014: Kongos Armee und die UNO-Eingreiftruppe starten neue Militäroperationen gegen die ugandischen Rebellen ADF (Vereinte Demokratische Kräfte) und die ruandischen FDLR-Rebellen im Ostkongo. S.S..
Auf Drängen der Afrikanischen Union erließ der UN-Sicherheitsrat im Frühjahr 2013 ein Mandat zur „Friedenserzwingung“ im Kongo. Sprich: Die UNO soll jetzt aktiv kämpfen dürfen. Tansania, Malawi und Südafrika, alles Verbündete von Kongos Regierung, stellten eine 3.000 Mann starke UN-Eingreif-truppe. Im Juni 2013 rollten Lastwagenkolonnen mit schwerer Artillerie, Panzern und Einsatzfahrzeugen über die Grenze nach Goma. Südafrikanische Kampfhubschrauber und Scharfschützen wurden eingeflogen. Gleichzeitig half man der maroden kongolesischen Armee auf die Beine. Die Kommandostruktur wurde reformiert, speziell trainierte Einheiten an der Front zusammengezogen. Belgische Ausbildner kamen in den Dschungel. Die Moral der Soldaten wurde auf Vordermann gebracht, indem man ihnen ausreichend Munition und Rationen an die Front schickte, was früher nur selten der Fall war.
Und dann waren da noch der neue Monusco-Chef Kobler und dessen neuer Truppengeneral, der Brasilianer Carlos Alberto dos Santos Cruz. Kobler ist im Gegensatz zu seinem Vorgänger, dem US-Diplomaten Roger Meece, sehr aktiv und an vorderster Front mit dabei: „Wir wollen ja nicht kämpfen!“, so Kobler. „Wir wollen, dass der Staat Kongo das Gewaltmonopol wieder erhält, auf jedem Quadratmeter seines Territoriums. Wir werden kämpfen, wenn es gefordert ist.“
Nach tagelangen Gefechten mit M23-Rebellen in Goma gelang es im Juli der kongolesischen Armee, die Rebellen von den Stadttoren Gomas zurückzudrängen. Es folgte eine Atempause, in der die UN-Eingreiftruppe aufmarschierte. Im September begann die Operation „Oranger Apfel“ gegen die M23. Mit voller Schlagkraft rückten 3.000 UN-Truppen und mehrere tausend Armeesoldaten gegen die M23 aus allen Richtungen vor. Diese zog sich nach nur kurzem Widerstand in die Vulkanberge im Dreiländereck zu Uganda und Ruanda zurück, wo sie 18 Monate zuvor gegründet worden war. UN-Kampfhubschrauber jagten die Kämpfer. Nach sechs Wochen heftiger Gefechte floh die M23 geschlagen ins Nachbarland Uganda. Für Kongos Armee war dies der erste richtige Sieg in der jüngeren Geschichte.
UN-Chef Kobler tourte strahlend wie ein Befreier auf dem Panzer durch das ehemals von der M23 besetzte Gebiet – auch für ihn war es ein erster, bitter notwendiger Erfolg. Das Friedenserzwingungs-Konzept schien aufzugehen. Doch es gab auch Kritik: Es wurden mehrere Fälle dokumentiert, in denen kongolesische Armee-Einheiten Leichen von M23-Kämpfern schändeten, verletzte Gegner zu Tode quälten und mutmaßliche Kollaborateure bei der Festnahme brutal misshandelten. UN-Blauhelme kämpfen Schulter an Schulter mit einer Armee, die gegen UN-Konventionen verstößt? Darauf angesprochen versichert Kobler einen „Menschenrechts-Check“. Doch wie sich das in der Praxis durchsetzen soll, bleibt fraglich. Der Armee-Kommandeur, unter dessen Aufsicht die Misshandlungen geschehen sind, wurde von Militärstaatsanwälten befragt. Juristische Folgen gab es keine.
Die Offensive gegen die M23 war erst der Anfang. Im Dezember hat UN-General Santos Cruz die Operation gegen die ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) eingeleitet, eine logistische Herausforderung. Die rund 1.200 FDLR-Kämpfer kontrollieren einen Flickenteppich unzusammenhängender Gebiete, sie sind mobil und ihre Militärführung versteckt sich tief im Wald. Und schließlich sind da noch die anderen, oft nur lokal agierenden Milizen.
Das Verteidigungsministerium hat jüngst ein Konzept ausgearbeitet, wie man diese Kämpfer demobilisieren kann. Von rund 12.000 Mann ist darin die Rede. Auch ein Amnestie-Gesetz wurde dazu im Parlament verabschiedet. Doch um das Konzept umzusetzen und den ehemaligen Kämpfern eine Starthilfe in ein ziviles Leben zu finanzieren, braucht es Geld. Bislang hat sich keine der herkömmlichen internationalen Organisationen wie die Weltbank oder die UN-Entwicklungsagentur bereit erklärt, das Programm zu finanzieren. Auch, weil bisherige Demobilisierungsprogramme stets gescheitert waren. Deshalb ist es trotz erster militärischer Erfolge zu früh, um Frieden im Kongo auszurufen. Viel zu früh.
Simone Schlindwein ist Journalistin in der Region der Großen Seen. Sie lebt seit über fünf Jahren in Uganda und reist regelmäßig nach Südsudan, Burundi, Ruanda und in den Ostkongo.
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