Erzählungen. Deutsch von Richard Gross, Peter Schultze-Kraft und Peter Stamm. Verlag edition 8, Zürich 2009, 141 Seiten, € 15,80
Leserinnen und Leser, die Kolumbien näher kennen, werden in den Erzählungen des 1957 in Bogotá geborenen Julio Paredes immer wieder auf Situationen und Stimmungen stoßen, die sie so oder ähnlich in dem Andenland schon erlebt haben. Geschichten, die, im Einzelnen betrachtet, als unwahrscheinlich erscheinen mögen, die man im Reich des „magischen Realismus“ ansiedeln – oder die man einfach als kolumbianische Alltagserlebnisse verstehen kann.
Den Erzählungen gemein sind Ereignisse, die die Ordnung der Dinge zerbrechen, die unsere eigene kleine Welt für die Dauer unserer Existenz verändern. Etwa die Szene auf einem Jahrmarkt in Bogotá, bei der ein Zauberkünstler eine Frau verschwinden lässt. Doch ist es nicht einer dieser Verwandlungstricks, die schließlich doch immer glücklich ausgehen, nein: Die verschwundene Frau ist ein Gast, eine Besucherin, und ihre anwesende Familie wird zum Zeugen des rätselhaften Verschwindens („Das Tuch“).
Den meisten Erzählungen gleich ist auch, dass die Subjekte der Geschichte in eine existenzielle Ausnahmesituation geraten. Die Angst vor der eigenen Verlorenheit etwa, davor, im ganzen Leben die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Wie zum Beispiel der Protagonist in „Petite symphonie desconcertante“, ein Kolumbianer auf Europareise. Oder Aimée in der gleichnamigen Erzählung, deren Lebensgefährte Johnny nach langer Suche endlich eine Arbeit gefunden hat. Dieses Glück wird in einer Kneipe gehörig begossen. Doch plötzlich wird Aimées Freund in eine Auseinandersetzung mit anderen Gästen hineingezogen, oder er hat diese selbst vom Zaun gebrochen. Schüsse fallen, alle laufen in Panik aus dem Lokal, auch Aimée und ihre Schwester. Als sie nach einiger Zeit zurückkehren, ist die Kneipe geschlossen, und niemand weiß, welches Schicksal Johnny ereilt hat.
Julio Paredes präsentiert uns stimmungsvolle Beispiele zeitgenössischer kolumbianischer Erzählkunst, feingeschliffen durch den Übersetzer und Förderer kolumbianischer Literatur, Peter Schultze-Kraft (in Zusammenarbeit mit Richard Gross und Peter Stamm).