Gerald Mader ist Begründer und Präsident des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK). SÜDWIND-Mitarbeiter Robert Poth sprach mit ihm über seine Bilanz des „Kriegs gegen den Terror“.
Südwind: Wie würden Sie den „Krieg gegen den Terror“ kurz bilanzieren?
Gerald Mader: Die USA haben sicherlich einen militärischen Erfolg errungen, und auch die Beseitigung des Taliban-Regimes ist etwas Positives, wenn auch noch nicht feststeht, inwieweit die „Warlords“ außerhalb von Kabul nicht mit neuen Kleinkriegen beginnen. Andererseits ist durch die Vorgangsweise der USA die Ablehnung in der islamischen Welt, aber auch in Europa größer geworden.
Eine Entwicklung, die dem Kalkül der Hintermänner des 11. September entgegenkommt.
Deren Zielsetzungen gehen sicher auch dahin, die mit den USA kooperierenden Regierungen in den Golfstaaten zu beseitigen. Dazu wäre es aber notwendig, einen größeren Widerstand hervorzurufen. Zu großen Mobilisierungen in den arabischen Staaten ist es nicht gekommen. Andererseits hat zwar die Terrorgruppe Afghanistan als Bastion verloren, aber überall anderswo ist eine viel stärkere Bewegung im Sinne ihrer Ziele entstanden. Man darf aber den politischen Islamismus, der für eine gewisse kulturelle Abschottung eintritt, nicht mit den terroristischen Gruppierungen identifizieren. Der Großteil der politischen Islamisten verabscheut den Mord an Kindern und Frauen, ungeachtet der Zielsetzungen. Ich glaube nicht, dass man das so ohne weiteres gleichsetzen kann. Aber je stärker sich die USA in ihre derzeitige Politik verbeißen und in ihrer ganzen Arroganz auftreten, desto mehr Sympathisanten werden die terroristischen Gruppen gewinnen.
Sie haben den 11. September auch als Chance bezeichnet, eine Änderung der Politik einzuleiten.
Diese Chance ist bisher vertan worden. Die Chance des 11. September war, dass die USA eine Politik verfolgen, die auf internationales Recht und auf Menschenrechte Rücksicht nimmt, auf eine multilaterale Abstimmung ausgerichtet ist und das Gewaltverbot der UNO einhält. Doch wie die USA nun den Kampf gegen den Terror auslegen, ermächtigt er sie ja, in der ganzen Welt militärisch einzugreifen. Dabei stützen sie sich auf einen Beschluss des Sicherheitsrates, der so vage gefasst ist, dass sie zumindest die Möglichkeit haben, sich irgendwie darauf zu berufen. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Man kann nicht die Anarchie der Staaten beseitigen, indem man einem Staat erlaubt, willkürlich und ohne jede rechtliche Grundlage Kriege zu führen, zu bombardieren und Menschen umzubringen. Das kann auf Dauer nicht funktionieren. Seit dem Dreißigjährigen Krieg ist langsam ein System einer internationalen Regelung internationaler Konflikte aufgebaut worden, zuletzt die UNO, an das sich die Staaten zum Großteil gehalten haben. Dass es nun gerade die USA sind, die immer wieder von Demokratie und Rechtsstaat reden, die jetzt ohne Rücksicht auf die internationale Rechtsordnung vorgehen, das ist ja das Tragische. Das zeigt auch der Fluch der bösen Tat, weil man dann dazu übergehen muss, auch im eigenen Land die Freiheitsrechte einzuschränken.
Mit der Rede von einer „Achse des Bösen“ haben die USA ja eine weitere Eskalation angedeutet.
Anstatt einer Achse des Friedens propagieren sie nun eine Achse des Bösen. Das Ziel kann ja nur sein, Verbündete für Frieden zu finden und nicht Verbündete für Krieg! Der Hauptgrund ist, dass die USA eine Ideologie der Sicherheit durch Stärke vertreten. Sie glauben, je größer ihre militärische Überlegenheit, umso größer ihre Sicherheit. Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zeigt auf, wie falsch diese Ideologie ist. Sie führt im Gegenteil zu einem tödlichen System, in dem sich Sicherheit und Terror gegenseitig legitimieren. Die USA glauben, dass sie durch ihre modernen Waffen unschlagbar sind und dass es bei ihnen keine Achillesferse gibt, obwohl am 11. September das Gegenteil bewiesen wurde, und dass sie aus dieser Stärke heraus nicht zu verhandeln brauchen. Sie stellen Forderungen auf und sagen, wer die nicht erfüllt, gegen den gehen wir militärisch vor. Auf diese Weise wird jede vernünftige, echte Konfliktlösung untergraben.
Immerhin haben sich einige führende europäische Politikerinnen und Politiker teilweise scharf von den US-Plänen distanziert. Wie schätzen Sie das ein?
Zweifellos bringt diese unilaterale Kriegsführung der USA die Europäer in Schwierigkeiten. Auch der deutsche Außenminister Fischer hat gesagt, wir sind Bündnispartner und keine Satelliten, und diese Politik machen wir nicht mit. Ebenso haben die Verantwortlichen von der CDU und der SPD unisono erklärt, dass sie diese Politik der USA nicht mittragen können. Das wäre eine schöne Entwicklung, und es ist auch für die Bewusstseinsbildung enorm wichtig, denn ohne Bewusstseinsbildung kann man überhaupt nichts verändern. Trotzdem: über die Erklärungen hinaus gehen sie nicht. Sie müssten ja handeln, eine Alternative entwickeln, ein europäisches Modell und sagen, worauf dieses Modell basiert, nur auf echter Verteidigung und nicht auf Interventionen.
Was verstehen sie unter echter Verteidigung?
Echte Verteidigung heißt, dass ich mich verteidige, wenn mein Territorium angegriffen wird, aber nicht wie die USA, die sich auf der ganzen Welt verteidigen; Hitler hat sich auch im Kaukasus verteidigt. Die Zielsetzung kann nicht sein, weltweit zur Durchsetzung von Macht- und Wirtschaftsinteressen aufzutreten, sondern bewusst ein Gegenmodell darzustellen. Bewusst zu sagen, wir wollen den Frieden durch friedliche Mittel fördern und nicht ununterbrochen militärische Gewalt anwenden. Das wäre eine echte Alternative. Derzeit sieht es aber nicht danach aus, dass es über diese Erklärungen hinaus zu konkreten Entwicklungen kommt. Da müsste wahrscheinlich noch mehr geschehen.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, die USA zu einem Kurswechsel zu veranlassen?
Wenn die EU geschlossen eine Politik vertritt, die darauf abzielt, den Kurs der Amerikaner zu verändern, wäre das sicherlich ein Weg, diese Wildwest-Manier der US-Politik wieder ein bisschen einzufangen. Dadurch könnte auch ein Prozess innerhalb der USA vorangetrieben werden. Denn ohne eine Änderung der Stimmungslage in den USA selbst wird beim Vorrang, den die Innenpolitik in den USA gegenüber der Außenpolitik hat, wenig zu erreichen sein. Eine solche Entwicklung setzt natürlich die Mobilisierung der Zivilgesellschaft voraus, das gilt gleichermaßen für Europa wie die USA. Dass dies möglich ist, zeigen die Erfolge der sozialen Bewegungen, das Weltsozialforum, die Globalisierungsgegner, hier sind sicher realistische Ansätze vorhanden. Sie müssten sich nur in ihrer Gesamtheit zusammenschließen, also mit der Friedensbewegung, der Frauenbewegung, und dann nicht gewalttätig, sondern gewaltfrei, dafür umso geschlossener und stärker ihre Zielsetzungen vortragen.
Also eine Art Nord-Süd-Friedensbewegung, wie sie der Friedensforscher Johan Galtung für nötig hält.
Letztlich geht es um das Nord-Süd-Problem, aber es gibt zwei Aspekte, auf der einen Seite die Kriege, auf der anderen die ungerechte Weltwirtschaftsordnung. Wenn man sich vorstellt, dass 250, 300 Personen das selbe Einkommen haben wie die Hälfte der Welt, dann greift man sich an den Kopf, dass ein solches System überhaupt noch verteidigt werden kann. In diesen beiden Bereichen sehe ich die Hauptproblematik. Ich bin sicher kein Apokalyptiker, andererseits aber so realistisch, dass ich auch eine totale oder weitgehende Vernichtung nicht ausschließe. In den USA sind wieder Leute an der Macht, die bereit sind, tatsächlich auch Atomwaffen einzusetzen, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlen. Als Galtung zu Afghanistan meinte, die Amerikaner seien imstande, taktische Atomwaffen einzusetzen, war die Reaktion der Journalisten, das können wir nicht schreiben, das ist irreal, das machen die Amerikaner nicht. Und jetzt gibt Bush den Auftrag, solche Waffen herzustellen.
Galtung meint auch, dass einige in der Elite der reichen Länder den „Weckruf“ des 11. September durchaus verstanden hätten.
Das ist richtig. Privat hat mir jemand Folgendes gesagt: „Wir in der Weltbank und im Währungsfonds wissen, dass das nicht aufzuhalten ist, die internationale Regulierung der Finanzmärkte kommt, nur die Politiker wissen es noch nicht.“ Aber es genügt nicht, wenn nur ein paar „Eierköpfe“ das erkennen. Das ist zu wenig. Dazu bedarf es des Drucks von unten.
Ohne Druck von unten und zwar einen starken Druck – damit meine ich nicht gewalttätig, das geht auch ohne Gewalt – wird es nicht gehen. Diesen Druck halte ich für möglich. Er wird vielleicht sogar weniger von der Friedensbewegung als von Bewegungen wie den Weltsozialforen ausgehen müssen. Dort liegt die Chance einer Veränderung.
Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!
Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.
Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.
Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!
Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.