Eine Frage des Geschmacks

Von Redaktion · · 2015/11

Immer mehr Initiativen in Wien bieten Kaffee an, den sie direkt von Kooperativen beziehen. Was die neue faire Kaffeekultur vom klassischen Fairtrade-Kaffee unterscheidet, hat Sonja Dries recherchiert.

Jedes Jahr konsumieren die ÖsterreicherInnen 8,3 Kilogramm Röstkaffee pro Kopf. 2,9 Mal täglich greifen sie durchschnittlich zur Tasse. Doch in einer Zeit, in der die Herkunft von Lebensmitteln für KonsumentInnen immer wichtiger wird, sind die Informationen über den Kaffee oft nur spärlich gestreut. Der Weltmarktpreis sinkt gerade drastisch, weil für den weltweit größten Kaffeeexporteur Brasilien eine sehr gute Ernte vorausgesagt wird und der brasilianische Real auf ein 12-Jahrestief gefallen ist. Darunter leiden vor allem die KaffeepflückerInnen, LohnarbeiterInnen und Kleinbäuerinnen und -bauern. Viele kleine KaffeeproduzentInnen sind auf so genannte Coyotes, Zwischenhändler, angewiesen, die durchs Land fahren und Kaffee für Großeinkäufer sammeln. Gerade diese Handelsstufe ist laut Hartwig Kirner, Geschäftsführer von Fairtrade Österreich, die ausbeuterischste: „Die Händler betrügen die Bauern oft mit dem Preis, weil die Waagen falsch eingestellt sind oder die Bauern einfach nicht über die aktuellen Preise Bescheid wissen.“

Guter Kaffee durch gute Arbeitsbedingungen. In Wien gibt es nun ein paar Baristas – so die Bezeichnung für professionell ausgebildete Kaffeesieder –, die einen anderen Weg gehen als herkömmliche Kaffeeanbieter. Wer hier Kaffee trinkt oder kauft, erfährt nicht nur, aus welchem Land oder welcher Region er stammt. Auch die Höhe, auf der der Kaffee angebaut wurde, der Name des Kaffeebauern, die Art der Bohnen und der Erntezeitpunkt sind bekannt. Hier wird mit Röstprofilen, Mahlgrad und Temperatur experimentiert, und der Kaffee wird nicht vom Großhändler, sondern direkt vom Kaffeebauern gekauft.

Vor zwei Jahren eröffneten Valentin Freyler und Boris Ortner das Kaffeemodul in der Josefstädter Straße, diesen September folgte ein Pop-Up-Store im Geschenkeladen Bottelini im dritten Bezirk. Sie machen guten Kaffee, den sie in Zusammenarbeit mit der Hamburger Direktimportrösterei Quijote beziehen und allein das ist ihr Konzept. Die Baristas wollen genau wissen, wer ihren Kaffee produziert hat. „Nur Leute, die ihre Arbeit halbwegs gerne machen, das Know-how haben, Zugang zu Bildung und in fairen Bedingungen leben, machen ein wirklich gutes Produkt“, erklärt Freyler seine Motivation. Und die KundInnen wissen das zu schätzen. 60 bis 70 Prozent sind Stammkundschaft, vom Schüler bis zur 90-jährigen Pensionistin, die jeden Tag mit ihrem 70-jährigen Sohn vorbeikommt. Sie eint das Interesse an der Herkunft des Kaffees und das Vertrauen in die Qualität. Dieses Vertrauen müssen auch Valentin Freyler und Boris Ortner den Direct-Tradern von Quijote entgegenbringen. Diese stellen die Kontakte zu Kooperativen her, sie überprüfen die Einhaltung der Standards, die sie selbst gesetzt haben und sie bezahlen den Preis, den sie ausgehandelt haben.

Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. Quijote ist Teil des Netzwerks Roasters United, das derzeit aus sieben RösterInnen in Europa besteht. Das Projekt wurde 2012 mit dem Ziel gestartet, direkten Handel mit Kaffeekooperativen zu betreiben. Eines der Mitglieder ist Tobias Radinger, der in Wien seit viereinhalb Jahren die Kaffeefabrik betreibt und mittlerweile an die zehn Tonnen Rohkaffee im Jahr verbraucht. „Der Hintergrund für das Netzwerk ist nicht, dass wir Marktmacht haben wollen, um den Preis zu drücken, sondern einfach, dass es allein preislich nicht machbar wäre, den Kaffee direkt zu importieren“, erklärt Radinger. Die Roasters United haben sich selbst Standards gesetzt, die für die Auswahl einer Kooperative und die Zusammenarbeit ausschlaggebend sind. Die Kooperative soll eine demokratische Struktur aufweisen, sie sollte möglichst bio-zertifiziert oder auf dem Weg dorthin sein, der Kaffee muss ein gewisses Maß an Qualität aufweisen und ein Mindestpreis von 2,75 US-Dollar pro Pfund Rohkaffee wird gezahlt. Der Weltmarktpreis liegt derzeit bei rund 1,2 Dollar pro Pfund. Radinger betont, dass sie keine Wohltätigkeitsorganisation sind: „Wir zahlen einen guten Preis, sind verlässlich und kommen wieder, aber haben auch Ansprüche an die Qualität.“ Ob die Standards von den Kooperativen eingehalten werden, versuchen die Roasters United so gut es geht selbst zu überprüfen. Zumindest einmal im Jahr soll jede Kooperative besucht werden. Dass einem dort teilweise etwas vorgespielt wird, kann Radinger nicht ausschließen. Gegenseitiges Vertrauen ist auch hier wieder ein wichtiger Faktor.

Preisschwankungen

Kaffee ist nach Erdöl das weltweit wichtigste Exportgut mit geschätzten 70 Milliarden US-Dollar Absatzvolumen. Grundlegend für den Weltmarktpreis ist das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Wird etwa eine gute Ernte aufgrund guter Wetterbedingungen vorausgesagt, geht der Preis nach unten. Kaffee ist schon längst zu einem Spekulationsobjekt an den Börsen geworden.

Die Kleinbäuerinnen und -bauern können in schlechten Preisphasen nicht darauf warten, dass der Preis für Kaffee wieder steigt, weil sie keine finanziellen Reserven haben. Sie brauchen das Geld gleich zur Erntezeit, um die ArbeiterInnen zu bezahlen und die neue Ernte vorzubereiten. Um übermäßige Schwankungen des Kaffeepreises zu verhindern, wurde 1963 das erste internationale Kaffeeabkommen unterzeichnet, das allerdings wegen Interessenkonflikten zwischen den Vertragsländern 1989 wieder aufgehoben wurde. Allein in den letzten zwölf Monaten ist der Preis um über 40 Prozent auf etwas mehr als 1,20 Dollar pro Pfund gesunken.

Ein Siegel für fairen Handel. Die Standards der Roasters United erinnern stark an jene, die sich die internationale Organisation Fairtrade auferlegt hat. Seit über 20 Jahren setzt sie sich für faire Preise und bessere Arbeitsbedingungen der ProduzentInnen ein. Beim Kaffee hat Fairtrade in Österreich mittlerweile einen Marktanteil von rund vier Prozent. An die 2.240 Tonnen Fairtrade-Kaffee wurden 2014 hierzulande abgesetzt. Das Siegel garantiert, dass den Kooperativen ein Mindestpreis von 1,40 US-Dollar pro Pfund gezahlt wird, auch wenn der Weltmarktpreis darunter liegt. Liegt er darüber, bekommen sie mehr. Dazu kommt eine Fairtrade-Prämie von 20 Cent pro Pfund und gegebenenfalls eine Bio-Prämie von 30 Cent. Die Kooperativen müssen sich aus Kleinbäuerinnen und -bauern zusammensetzen und sich wie bei den Roasters United demokratisch organisieren. Die Fairtrade-Prämie muss gemeinnützig verwendet werden, wie genau, bleibt aber der Kooperative selbst überlassen. Überprüft wird die Einhaltung der Standards mindestens einmal im Jahr von der Zertifizierungsorganisation FLO-CERT.

Eine hundertprozentige Sicherheit kann auch Hartwig Kirner für Fairtrade nicht garantieren. Doch die Kritik, dass bei einer Organisation mit 439 Kooperativen, die über 730.000 Kleinbäuerinnen und -bauern organisieren, Tür und Tor für Korruption und Verschleierung geöffnet sind, lässt er nicht gelten. Das Kontrollsystem sei gut etabliert. Auch die oft als zu hoch angeprangerten Zertifizierungskosten sieht er als wenig problematisch. Die Kooperativen zahlen circa 2.800 Euro pro Jahr an Fairtrade. Für große Kooperativen würde diese Summe nicht viel Relevanz haben und die kleinen, nicht finanzkräftigen könnten die Refundierung beantragen.

Fair bis zur letzten Stufe? Faire Preise für Kleinbauernfamilien und bessere Arbeitsbedingungen auf den Plantagen – dafür zahlen die KonsumentInnen von Fairtrade den höheren Preis. Doch ob das Geld auch wirklich bei den einzelnen Bäuerinnen und Bauern und vor allem bei den PflückerInnen – den LohnarbeiterInnen – ankommt und fair verteilt wird, das kann Fairtrade nicht versprechen. Das Mindestpreisabkommen ist mit den Kooperativen geschlossen. Wie sie ihren Gewinn aus dem Verkauf verteilen, bleibt ihnen überlassen. „Wir können den Preis nicht auf den einzelnen Bauern herunterbrechen“, meint Hartwig Kirner. Die Kooperativen seien gewerkschaftlich organisiert und die Bauern wählten ihre VertreterInnen so, dass auch ihre Interessen beachtet werden. Doch wer vertritt die Interessen der PflückerInnen? Diese offene Frage ist einer der Gründe, warum Johanna Wechselberger in ihrem Shop keinen Fairtrade-Kaffee anbietet. Die Rösterin verlässt sich lieber auf ihr eigenes Gefühl und ein gewisses ökonomisches Denken, wenn sie ihren Kaffee kauft. Johanna Wechselberger betreibt in Wien die Vienna School of Coffee, wo sie Barista-Kurse anbietet. Einen großen Teil ihres Kaffees importiert sie direkt und nur für ihr Geschäft. Sie hat ihren Fokus auf Kaffee aus dem höchsten Qualitätssegment und zahlt schon mal 30 bis 40 Euro für einen Kilo Rohkaffee. Die Preise geben die Kleinbauern vor, darüber verhandeln will Wechselberger nicht. Von ihrem Kaffeeproduzenten in Indien weiß sie, dass er jeden seiner 200 Pflücker beim Namen kennt und mit ihnen aufgewachsen ist. Da die Pflücker mit 15 Prozent am Umsatz beteiligt sind, würden sie sich besonders um sehr gute Qualität bemühen. Kilopreise von 30 bis 40 Euro können jedoch nur ProduzentInnen mit ganz besonderem Kaffee aus spezieller Lage und von sehr hoher Qualität verlangen. Sie brauchen keine Fairtrade-Mindestpreise, sie sind allerdings eine sehr kleine Minderheit.

Welche Strategie überzeugt? Eine große Organisation wie Fairtrade mit dementsprechenden Kapazitäten und Auftreten, deren Kontrolle jedoch bei den Kooperativen endet? Die Einzelperson oder das kleine Netzwerk, die sich bei der Überprüfung auf die eigene Einschätzung verlassen, vielleicht aber nicht genug Kapazitäten haben, um regelmäßig und großflächig zu kontrollieren? Im Endeffekt muss jeder für sich entscheiden, in wen er sein Vertrauen legt.

Sonja Dries ist freie Journalistin in Wien.

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