Eine Frage der Ehre

Von Brigitte Voykowitsch · · 2000/10

Wer sich in Pakistan für Menschen- und Frauenrechte einsetzt, hat es nicht leicht, weder unter den demokratisch legitimierten Regierungen, noch unter den Militärs. Die Anwältin Hina Jilani in Lahore glaubt trotzdem, dass ihr Kampf dafür sich lohnt.

„Mutig? Oh nein, ich bin keine besonders mutige Frau“, sagt Hina Jilani und lacht kurz auf. Sofort wird sie wieder ernst und fährt fort: „Ich kann bloss Ungerechtigkeit nicht ausstehen. Wenn es Ungerechtigkeit gibt, kann ich mich einfach nicht zurücklehnen, ich muss kämpfen.“

Was das in Pakistan bedeutet, weiß Jilani, eine der führenden Menschenrechtsanwältinnen des Landes, aus eigener, knapp 30-jähriger Erfahrung. Dreimal kam sie wegen ihres Einsatzes für die Menschenrechte, insbesondere für die Rechte der Frauen, in Haft, sie war wiederholt Todesdrohungen ausgesetzt und hat in ihrem eigenen Rechtshilfebüro miterleben müssen, wie die 29-jährige Samia Sarwar, der sie zur Scheidung verhelfen wollte, von einem offenkundig von deren Familie angeheuerten Killer ermordet wurde. „Aber aufgeben ist keine Option, je schwieriger die Lage ist, desto weniger kommt aufgeben in Frage“, sagt Jilani.

Die Erfolgsaussichten ihres Kampfes beurteilt Jilani dabei ganz realistisch. Bis Pakistan sich zu einer funktionierenden Demokratie und einem Rechtsstaat entwickelt, wird es dauern. „Der Prozess wird langsam sein, der Weg lange. Vielleicht werde ich die Verwirklichung dieses politischen Anliegens nicht mehr erleben“, meint Jilani ein Jahr, nachdem am 12. Oktober 1999 Ministerpräsident Nawaz Sharif in einem Coup gestürzt wurde.

Das Militär, das bereits mehr als die Hälfte der bisher 53 Jahre Unabhängigkeit das Land regiert hatte, übernahm damals erneut die Macht. Elf Jahre eines schwierigen und enttäuschenden demokratischen Experiments gingen damit zu Ende. Längst verflogen waren die Hoffnungen, die im Jahre 1988 die Wahl Benazir Bhuttos zur Ministerpräsidentin geweckt hatten. Auf Bhutto und ihre Volkspartei war Nawaz Sharif mit seiner Muslimliga gefolgt, dann wieder Bhutto, dann nochmals Sharif, ohne dass einer von den beiden je eine volle Amtszeit hätte dienen können. Zweimal wurde Bhutto nach Vorwürfen des Amtsmissbrauchs und der Korruption zum

Rücktritt gezwungen. Sharif musste einmal nach ähnlichen Anschuldigungen seinen Premierssessel räumen, seine zweite Regierungszeit wurde von der Armee beendet.

„Das Tragische daran ist, dass die Menschen in meiner Heimat noch erleichtert waren über das Aus für Sharif. Eine so schlechte Regierung wie die seine hat die Akzeptanz für das Militärregime beträchtlich erhöht“, bedauert Jilani und stellt sofort klar: „Glauben Sie aber ja nicht, dass die

Pakistanis prinzipiell hinter der Armee stehen. Elf Jahre Demokratie haben etwas bewirkt. Auch wenn die politische Führung in diesen Jahren extrem korrupt war, sagen die Menschen jetzt nicht, die Demokratie sei schlecht. Sie wollen Demokratie.“

Und sie seien bereit, sich für dafür einzusetzen, in jedem Fall für die Zivilgesellschaft, die, so Jilani, allzu oft unterschätzt und in ihren Erfolgen nicht ausreichend gewürdigt werde. Bei allem Negativen, was es über Pakistan zu sagen gebe, „sehen Sie sich auch die andere Seite des Landes an: Betrachten Sie Pakistan als einen Staat, in dem Menschen seit fünf Jahrzehnten um Demokratie ringen und in dem sich eine starke Frauenbewegung gebildet hat. Wir haben viel gelitten. Aber weil es uns gibt, muss auch das jetzige Militärregime unter General Perwez Musharraf neue demokratische Wahlen zumindest in Aussicht stellen und den Frauenrechten das Wort reden“.

Wann solche Wahlen tatsächlich stattfinden werden und Pakistan wieder eine zivile Regierung bekommt, steht ein Jahr nach Musharrafs Putsch noch nicht fest. Anfang September aber wurde eine Nationale Kommission zum Schutz der Frauenrechte ins Leben gerufen, die den Kampf gegen die Gewalt an Frauen zu ihrer vorrangigen Aufgabe erklärt hat. Bereits im April hatte Musharraf

die so genannten Ehrenmorde an Frauen verurteilt und betont, dass derartige Gewalttaten weder von der Religion – mehr als 90 Prozent der Pakistanis sind Muslime – noch vom Gesetz her gedeckt seien.

Mehr als eintausend pakistanische Frauen wurden im Vorjahr Opfer solcher Verbrechen, wie die von Jilani und ihrer Schwester Asma Jehangir 1986 gegründete unabhängige Menschenrechtskommission in einem Bericht festhält. Auch der eingangs erwähnte Mord an Samia Sarwar fällt unter diese Kategorie: Die junge Frau hatte mit ihrem Wunsch, nach Jahren der Gewalt und Misshandlung ihre Ehe beenden zu wollen, „Schande“ über die Familie gebracht, die sie zur Rettung der „Ehre“ töten liess. Nach der Tat kam es zu keiner Verhaftung, dafür wurden

Jilani und Jehangir erneut mit dem Tod bedroht.

So sehr AktivistInnen nun die Einrichtung der Frauenrechtskommission begrüßten, so sehr hüten sie sich vor allzu großen Erwartungen. Nur wenn Empfehlungen der Kommission auch Eingang in neue Gesetze finden und die Rechtslage zugunsten der Frauen verändert werde, könne sich langfristig deren Lage verbessern, betonen AktivistInnen. Ein Gutteil der jetzigen

Gesetze stammt noch aus der Militärdiktatur von General Zia ul Haq in den 80er-Jahren, jener Zeit, in der Jilani und Jehangir zunächst ihre gemeinsame Anwaltskanzlei eröffneten und dann die unabhängige Menschenrechtskommission schufen. Anfang der 90er-Jahre richteten sie dann das Frauenhaus Dastak in ihrer Heimatstadt Lahore ein.

„Wir wussten, worauf wir uns einließen“, sagt Jilani. „Es herrschte schlimmstes Militärrecht, als wir anfingen. Menschen wurden öffentlich ausgepeitscht, öffentlich gehängt und öffentlich gesteinigt. Alles wurde getan, um KritikerInnen auszuschalten.“ Auch Jilani und Jehangir

wurden mehrfach verhaftet. Die Rückkehr zur Demokratie und die Wahl Benazir Bhuttos 1988 waren dann eine radikale Zäsur. In vielen Bereichen aber blieben die von Zia erlassenen Gesetze bestehen, zum einen, weil Bhutto nie über die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Parlament verfügte, um die Verfassung zu ändern. Zum anderen aber auch, „weil sie sich bald nach ihrem

Amtsantritt mit dem Militär arrangierte und diesem inoffiziell seine Macht beließ. So ist die Erfahrung mit einem demokratischen Prozess bei uns bisher nicht nur sehr kurz, die Zvilregierungen haben es auch nicht geschafft, sich vom Militär, das stets die Fäden zieht, unabhängig zu machen“.

Zwischen Bhutto und Sharif gibt es für Jilani freilich einen ganz wesentlichen Unterschied: „Für Sharif hatten viele nur noch Verachtung über“, als der sich als korrupter und machtgieriger Premier entpuppte.

Benazir Bhutto aber hatte große Erwartungen geweckt. „Sogar eine Skeptikerin wie ich hatte 1988 gedacht, jetzt wird etwas weitergehen im Land. Benazir war so beliebt, gab Anlass zu solchen Hoffnungen. Aber sie enttäuschte sie alle. Für sie empfanden die Menschen am Ende daher Hass.“

Dennoch, eines haben die Regierungszeiten von Benazir Bhutto bewirkt: „Unter Zia bekamen arbeitende Frauen die Botschaft, sie gehörten nicht in den öffentlichen Raum, ihre Berufstätigkeit sei schlecht. Und dann gab es plötzlich eine Frau im Amt des Regierungschefs.“

Aber egal, ob Benazir, Sharif oder nun Musharraf regiert – pakistanische Frauen wie Jilani und Jehangir lassen sich so wenig unterkriegen wie die übrigen Mitglieder der Zivilgesellschaft. „Wir sind da, wir setzen uns ein, wir kämpfen. Und natürlich verändert sich etwas. Ja, ich habe durchaus Hoffnung, auch wenn ich vieles vielleicht nicht mehr erleben werde.“

Brigitte Voykowitsch ist freie Journalistin mit Schwerpunkt Südasien.

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