Eine Chance zum Leben

Von Richard Swift · · 2006/04

Sie haben wenig Chancen, aber sie nutzen jede: New Internationalist-Redakteur Richard Swift begegnet den widerspenstigen Squattern von Bangkok.

Sumon Charoensai sitzt in einem überfüllten kleinen Geschäft in Klong Toey, Bangkoks größtem Slum, wo er faulig riechende, natürliche Reinigungsmittel gegen den Schmutz in den zahlreichen Klongs (Kanäle) der Stadt erfindet. Hier repariert er auch Computer, verkauft die Bilder seines Freundes und hält ganz allgemein Hof. Er ist ein alteingesessener Squatter, der bereits dreimal von der Bangkoker Hafenbehörde aus seinem Haus vertrieben wurde. Er kennt die Geschichte dieses Gebiets bis ins Detail, erinnert sich an die Zeit, als die Hafenbehörde Schlamm und Sand in die Häuser der Menschen pumpte, um sie unbewohnbar zu machen.
Manche sagen, dass 80.000 Menschen in den Hafenslums von Klong Toey leben. Andere sagen 100.000; vielleicht sind es noch mehr. Durch den entschlossenen Widerstand, den sie jahrzehntelang gegen ihre Vertreibung geleistet haben, sind sie zu einer Inspiration für alle Armenviertel der Stadt, ja ganz Thailands geworden. Die Hafenbehörde weiß inzwischen, dass auch Sumon kein Waisenknabe ist. Heute wird in Klong Toey eher für ein oder zwei Jahre verpachtet und nicht für zehn oder 15.
Nicht dass eine Pacht Sicherheit bedeuten würde. Der Druck durch gewerbliche Erschließungsprojekte steht dem entgegen, genauso die ständig steigenden Grundstückspreise. Wie zum Beweis hält Sumon eine futuristisch anmutende Skizze von Stadtplanern hoch, auf der eine Hafenansicht ohne die niedrigen Häuser zu sehen ist, in welchen die meisten heute leben. Und so geht sein Kampf gegen die Hafenbehörde – der der Grund gehört – und die Stadtregierung weiter.

Die Squattersiedlungen in Bangkok sind ein komplexes Phänomen. Sie dehnen sich nicht scheinbar endlos aus wie in Südasien oder Afrika südlich der Sahara. Sie entstehen vielmehr in Räumen, die sich bisher einer wirtschaftlichen Verwertbarkeit entzogen oder – nach heftigen Auseinandersetzungen – vorübergehend von Squattern erobert wurden: in den Winkeln und versteckten Gegenden der Metropole, unter einer Autobahn oder neben den Klongs oder Eisenbahnlinien der Stadt.
Auch die Geschichte hat ihren Teil dazu beigetragen. Seit den 1950er Jahren konnten arme Leute nach Bangkok zuziehen, indem sie sich gegen wenig Entgelt ein Grundstück pachteten. Aber in den 1970er Jahren, als in Bangkok und ganz Thailand der Wirtschaftsboom begann, änderte sich alles: Appartmenthäuser, Einkaufszentren und Hotels waren die profitable Zukunft Asiens. Waren Grundeigentümer bisher mit nominellen Pachten zufrieden, so begannen sie nun, ihr Land entweder zu verkaufen oder selbst zu erschließen. Sie hoben keine Pacht mehr ein, womit sie ihre ehemaligen Pächter in Squatter verwandelten. Auch nahm der Druck zu, Grund im Eigentum öffentlicher Institutionen wie der Hafenbehörde entweder an kommerzielle Erschließungsunternehmen zu verkaufen oder zur Erweiterung der Infrastruktur zu nutzen.

Stets bestand der Widerspruch darin, dass dieser Boom eine Menge billiger Arbeitskräfte benötigte, aber es keinen Platz gab, um sie unterzubringen. Daher leben heute etwa 20 Prozent der Bevölkerung Bangkoks in Slums. Nun hat der thailändische Premierminister Thaksin Shinawatra angekündigt, dass es in zehn Jahren „keine Slums mehr“ geben werde. Toll. Aber wo werden die Armen hingehen? Soll das heißen, dass Thailand in zehn Jahren die Armut besiegt haben wird? Das glaubt wohl nicht einmal der Premierminister selbst – oder doch? Auf diese Fragen muss Sumon Charoensai lachen: „Es gab einmal 500 Slums in Bangkok, jetzt gibt es 2.000. In zehn Jahren werden es 3.000 sein. Es ist wie mit einem Luftballon – wenn man ihn an einer Stelle zusammendrückt, dehnt er sich eben anderswo wieder aus.“
Nicht dass Ausweichen die Devise der armen Squatter in Bangkok gewesen wäre. Sie lautete eher: „Weggehen nur im absoluten Notfall.“ Sie organisierten sich, leisteten an einem Ort nach dem anderen Widerstand, und obwohl das Recht nicht auf ihrer Seite war, waren sie ziemlich erfolgreich. Heute, nach dem Ende der Militärdiktatur, sind Zwangsräumungen und Demolierungen selten – dass in Thailand traditionell Konflikte eher vermieden und Kompromisse gesucht werden, kommt den Squattern entgegen.
Brände – manchmal absichtlich gelegt, um Squatter zu vertreiben – sind ein großes Problem. Pater Joe Maier vom Mercy Centre in Klong Toey ist stolz auf die Hartnäckigkeit der Squatter: „Wir hatten etwa 70 Brände hier, und wir haben mehr als 10.000 Häuser wieder aufgebaut. Wir schleichen uns einfach wieder rein und bauen Häuser des Nachts oder am Wochenende wieder auf. Die Regierung will sich nach einem Brand mit Gewehren, Autos, Uniformen und Papierkram wichtig machen. Sie wollen die Leute in Flüchtlingslager außerhalb der Stadt stecken und sie dort ihrem Schicksal überlassen. Aber wenn man es schafft, dass die Leute gleich wieder zurückkommen und wieder etwas aufbauen, dann haben sie etwas in der Hand, das verbessert ihre Verhandlungsposition.“
Ein typisches Beispiel für die breite Palette kreativer Taktiken, die Squatter in Thailand verfolgen. Auch die kleine Squattergemeinschaft in Pom Mahakan auf der anderen Seite der Stadt, die seit Generationen neben dem alten Fort mitten im touristischen Zentrum Bangkoks lebt, will auf keinen Fall gehen. Wie andere gut organisierte Squatter-Gemeinschaften haben sie einen alternativen Plan vorgelegt, der einen Park und ein Ökotourismus-Dorf mitten in der Stadt vorsieht.

Aber auch die Behörden sind nicht unflexibel. Das Problem mit der Rechtsunsicherheit der Squatter und den Slums soll mit einem ausgefeilten, landesweiten Programm namens Baan Mankong gelöst werden, das auf ein Konzept thailändischer WohnrechtsaktivistInnen zurückgeht. Ihre prominenteste Vertreterin, Somsook Boonyabancha, ist Direktorin des Community Organizations Development Institute (CODI), das mit der Verwaltung des Programms betraut wurde. CODI arbeitet derzeit mit rund einem Viertel der Slums zusammen und wird von der Regierung großzügig finanziell unterstützt. Gut möglich, dass es sich dabei um das ehrgeizigste Programm zur Sanierung von Slums im Süden überhaupt handelt.
Somsook setzt in erster Linie auf Lösungen, die von den betroffenen Gemeinschaften selbst kommen. Die Zukunft liegt für sie in der „horizontalen“ Organisation, dem kollektiven Landbesitz und kollektiver Finanzierung. Privater Grundbesitz, sagt sie, werde vom Immobilienmarkt geschluckt. Ihr Ansatz besteht darin, von Fall zu Fall Kompromisse auszuhandeln, wobei die finanziellen Mittel von CODI als „Köder“ dienen.
Scott Leckie vom Centre on Housing Rights and Evictions (COHRE) hält wenig davon. Er glaubt eher daran, den vertikalen Machtverhältnissen individuelle Rechtsansprüche entgegenzusetzen. Die Interessen großer GrundeigentümerInnen zu berücksichtigen, wie das CODI praktiziert, ist ihm nicht geheuer. Zwangsräumungen werden erst ein Ende haben, so Leckie, wenn es ein gesetzlich verankertes Recht auf Wohnung gibt.

Beide Standpunkte haben etwas für sich. Einmal scheint es sehr unwahrscheinlich, dass der Staat und der Privatsektor angemessene Wohnmöglichkeiten bereitstellen können. Es rentiert sich einfach nicht. Also müssen Lösungen gefunden werden, die auf der Mitwirkung der Squatter beruhen. Das zu ermöglichen ist eine Priorität von CODI. Andererseits jedoch ist es wesentlich, den menschenrechtlichen Ansatz auch auf die sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse von Menschen zu erweitern, die in Slums leben.
Einen Eindruck davon, wie der CODI-Zugang in der Praxis funktioniert, vermittelt mir Prapei, eine Aktivistin aus Klong Toey. Sie lebt in einem CODI-Projekt auf einem Grundstück der Hafenbehörde mit insgesamt 114 neuen Häusern. Sie äußert sich sehr positiv über die Art und Weise, wie die Organisation der Gemeinschaft dabei geholfen hat, sich zu organisieren, eine finanzielle Basis aufzubauen und ihre neuen Häuser zu planen.
Das Problem ist für sie jedoch dasselbe wie für Squatter außerhalb des Projekts: Die Hafenbehörde ist noch immer der Grundbesitzer, und die Menschen fühlen sich sehr unsicher, weil sie nur Mietverträge über drei Jahre bekommen haben. Werden sie verlängert werden? Zu welchem Preis? Werden sie vertrieben werden, wie schon so viele Male zuvor? Oder werden die Mieten einfach so weit steigen, bis sie einfach nicht mehr bleiben können? Zumindest in diesem Fall scheint der Kompromiss von CODI mit den realen Machtverhältnissen das Problem der Unsicherheit nicht beseitigt zu haben.

Was die Baan Mankong-Politik tatsächlich leisten kann, wird sich an Siedlungen wie Rim Klong Pai Singto in der Nähe des Markts von Klong Toey entscheiden. Dort leben 57 Familien in einer Reihe von Häusern entlang des Kanals, wo zu ebener Erde produziert und im Stock darüber gewohnt wird. Sie verarbeiten und verkaufen vor allem Süßwasserfisch, täglich drei Tonnen, aber auch geröstete Insekten.
Pimjai Pa-Ta, eine große, dynamische Frau und eine Führerin der Gemeinschaft, weiß genau, was auf dem Spiel steht. Auf die Frage nach ihrer Rechtsstellung zeigt sie auf einen Parkplatz auf der anderen Straßenseite. „Das waren früher einmal alles Häuser. Jetzt sind sie abgerissen worden.“ Dann zeigt sie auf ein hohes Gebäude weiter unten an der Straße, das wie ein hungriger Geier über der Gegend zu schweben scheint. „Dorthin stecken sie die Leute jetzt. Sie hassen es, dort zu sein. Sie können sich die Miete und die Kosten nicht leisten. Sie haben Drogenprobleme.“
In diesem Konflikt spiegeln sich die beiden gegensätzlichen Grundwerte der Urbanität in Zeiten der Globalisierung. Ob in Bangkok oder Bogotá, die Vision einer glanzvollen Weltstadt ist mit großen Prestigeprojekten und lukrativen Investitionen verbunden. Ihr Grundwert ist Akkumulation. Die Menschen der Stadt (nur einige davon Squatter wie Pimjai) dagegen wollen einen gesunden und sicheren Platz zum Leben – Gemeinschaften, die saubere Luft zum Atmen haben und die Fähigkeit, Veränderungen mitzubestimmen anstatt von ihnen überrollt zu werden. Ihr Grundwert ist ein lebenswertes Leben.

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