Ein sinnloser Tod

Von Ulrike Lunacek · · 1999/10

Eine in Wien lebende Kolumbianerin glaubte sich irrtümlich von der Polizei verfolgt – und stürzte sich aus dem Fenster. Ein Nachruf.

„Wollt Ihr einen Kaffee?“ „Hab ich Dir schon erzählt, was gestern passiert ist…?!“… Mit diesen und ähnlichen Fragen, immer mit einem fröhlichen Lachen, war Esperanza ständig präsent – ob sie nun bei einem Fest oder einem Infostand von LEFÖ (Lateinamerikanische Exilierte Frauen in Österreich) für das leibliche Wohl der Anwesenden sorgte oder die neusten Neuigkeiten über gemeinsame Bekannte oder aus ihrem Heimatland Kolumbien erzählte.

Immer hatte sie Pläne, dies und jenes gab es zu organisieren, entweder das Geburtstagsfest ihres Sohnes in einem arabischen Lokal, oder ihr eigenes in einem lateinamerikanischen. Noch so vieles hatte sie vor, und vor allem eine Hoffnung – nicht umsonst hieß sie schließlich Esperanza: endlich in Österreich arbeiten zu können. Denn sie wollte hier bleiben, einige Jahre zumindest noch, schließlich lebte ja ihr Sohn hier, glücklich verheiratet mit einer Österreicherin.

INI: Als sie mich einmal zu Hause besuchte und bei der Eingangstür des Nachbarn zahlreiche Leute standen, war ihre Fröhlichkeit plötzlich gedämpft. Ich hatte den Eindruck, in solchen Situationen bekommt sie es mit der Angst zu tun – ein Gefühl, das ihr sonst völlig fremd schien. Angst, daß sie jemand nach ihrer Aufenthaltsberechtigung fragen würde und sie keine vorweisen würde können. Angst, dieses Land als Schubhäftling verlassen zu müssen. Angst, ihren Sohn nicht wiedersehen zu können. Angst, nicht selbst über ihr Leben entscheiden zu können, nicht selbst Alternativen bestimmen zu können.

An jenem Montagmorgen des 26. Juli, als Polizisten vor der Wohnungstür ihres Freundes standen, auf der Suche nach einem, der früher dort gewohnt und eine Verwaltungsstrafe nicht beglichen hatte, muß diese latente Angst, mit der sie lebte, plötzlich zur Panik geworden sein. Sie wollte auch in dieser Situation die Dinge selbst in die Hand nehmen, selbst entscheiden, wie ihr Leben weitergehen sollte, sich nicht abhängig machen von Polizei und ausländerfeindlichen Fremdengesetzen.

Doch ihre Kraft reichte nicht aus. Das Leintuch, mit dem sie sich vom Fenster des 2. Stockes in den Hof des Hauses abzuseilen versuchte, gab ihr nicht genügend Halt – und sie stürzte kopfüber auf den Beton, erlitt schwerste Kopfverletzungen, von denen sie sich nicht mehr erholte. Am 29. Juli starb Esperanza auf der Intensivstation des SMZ-Ost in Wien-Kagran.

INI: „Kein Mensch ist illegal„ – dieser Slogan engagierter MenschenrechtsaktivistInnen gewinnt durch Esperanzas sinnlosen Tod erneut Brisanz. Wie lange noch werden Menschen in diesem Land illegalisiert? Wie lange noch müssen Personen, die aus irgendeinem Grund in Österreich, einem der reichsten Länder dieser Welt, leben und arbeiten wollen, aber über keine einflußreichen BefürworterInnen verfügen, damit rechnen, in Schubhaft genommen und abgeschoben zu werden – von Beamten, die schlecht ausgebildet sind und deren menschenverachtendes Handeln sogar im Tod von Schubhäftlingen endet, wie der tragische Tod von Marcus Omofuma vor wenigen Monaten gezeigt hat.

Doch die Amtshandlung braucht sich gar nicht gegen die illegalisierten Menschen selbst zu richten: Die Angst lebt in jenen, die keine gültige Aufenthaltsberechtigung haben, Tag für Tag mit. Und Minister und Regierungen, die die ausländerfeindlichen Gesetze beschlossen haben, tragen Mitverantwortung für den Tod von Esperanza.

Unsere Trauer und unser Beileid gelten Esperanzas Sohn Javier und dessen Frau Claudia, ihren lateinamerikanischen FreundInnen sowie den Mitarbeiterinnen von LEFÖ.

Esperanza, te recordamos con alegría!

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