Eine weltweite Bewegung der Basisgesundheitsversorgung mobilisiert gegen das vorherrschende marktorientierte Gesundheitssystem, gegen das Patentregime – und gegen gefährliche Tendenzen wie die Public Health Security.
Während das globale Finanzsystem die letzten zwei Jahre bildlich gesprochen auf der Intensivstation lag, wurden etwa zusätzliche 200 Millionen Menschen in extreme Armut gestoßen. Die Börsenkurse stiegen und fielen, die Finanzströme flossen und versiegten und die Gesundheit vieler Menschen folgte. Rückt damit der Anspruch auf „Gesundheit für alle“ nun definitiv in unerreichbare Ferne? Nein – die Chancen stehen gut, dass sich das Konzept der Primary Health Care, der Basisgesundheitsversorgung, und das Recht auf Gesundheit wieder verstärkt durchsetzen.
Die Gesundheits-AktivistInnen sind nach drei Jahrzehnten Neoliberalismus wieder im Aufwind. In Österreich blieb bisher weitgehend unbemerkt, dass die globalisierungskritische Bewegung von ihrem Beginn an auch stark auf das Thema Gesundheit fokussierte. Noch vor Genua 2001 und nur ein Jahr nach Seattle trafen sich in Savar, Bangladesch, GesundheitsaktivistInnen aus aller Welt zur ersten People’s Health Assembly.
2005 fand in Cuenca, Ecuador, das zweite derartige Treffen statt. Die Bewegung mobilisierte in vielen Teilen der Welt gegen das weltweite Patentregime, brachte zwei Gesundheitsberichte heraus und veranstaltete eine „Volksgesundheits-Universität“.
Auf der Ebene der internationalen Politik kam es in den 1990er Jahren zu einem beeindruckenden Anstieg der Gesundheitsausgaben. Der Weltbank zufolge hat sich die Entwicklungshilfe für Gesundheit zwischen 1990 und 2005 von 2,5 Milliarden auf fast 14 Milliarden US-Dollar erhöht. Die Maßnahmen blieben allerdings selektiv und auf bestimmte Krankheiten bezogen. Es wurde schließlich nur zu sichtbar, dass auch eine deutliche Erhöhung der Mittel nicht ausreicht, um ein fragmentiertes, liberalisiertes und zu einem großen Teil privatisiertes Gesundheitswesen zum Funktionieren zu bringen. Eine Stärkung des Gesundheitssystems gewann als Forderung an Prominenz.
Es könnte sich aber auch ein neuer Sicherheitsdiskurs den Weg bahnen, der Kranke zur Gefahr erklärt, rassistisch argumentiert und Solidarität als unwirtschaftlich betrachtet. Schon in den 1990ern wurde in den USA verstärkt damit begonnen, globale Gesundheit als Sicherheitsfaktor zu beschreiben. Die WHO widmete ihren Weltgesundheitsbericht 2007 vollständig dem Thema „Public Health Security“, sinngemäß etwa „Öffentliche Sicherheit im Bereich Gesundheit“. Davon noch unabhängig, aber mit potenziellen Überschneidungen, existiert in Staaten mit bedeutenderen Sozialsystemen eine aufkeimende Debatte über den Ausschluss von MigrantInnen aus der Gesundheitsversorgung.
Die Richtung der zukünftigen Entwicklung hängt letztlich, neben anderen Faktoren, von der Stärke der globalen Gesundheitsbewegungen und ihren konkreten Vorschlägen ab.
Im Hinblick auf die Stärke ist noch offen, ob es gelingt, auch im Norden einen wirksamen Diskurs zu formulieren. In Europa und in Österreich im Besonderen drücken sich bislang ein Großteil der in der Entwicklungszusammenarbeit tätigen Organisationen wie auch der innerstaatlichen Akteure des Gesundheitswesens davor, globale Gesundheit zu politisieren. Gesundheit existiert für sie nur allzu oft als karitatives Problem oder als Notwendigkeit technokratischer Regelung.
medico international
Studierende äußern ihren Unmut auf den Unis und im öffentlichen Raum, Zehntausende protestieren auf den Straßen gegen den Vietnamkrieg. Es ist das Jahr 1968, eine Zeit des Aufbruchs. Im Mai d.J. beginnt die kleine Nichtregierungsorganisation (NGO) medico aus Frankfurt mit dem Sammeln von Hilfsgütern für Biafra.
Dann kommt der politische Kontext ins Blickfeld, die Fragen nach den gesellschaftlichen Ursachen von Not und Elend, der Anspruch, „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu leisten – bis schließlich die Befreiungsbewegungen als Bündnispartner auftauchen. Mit ihnen baut medico nach dem Konzept der Primary Health Care Basisgesundheitsdienste auf, in Nicaragua und El Salvador, in Südafrika und in den palästinensischen Lagern.
Medico arbeitet auch weiterhin im Sinn der Erklärung von Alma Ata, wobei die Solidarität zunehmend in den transnationalen Raum gestellt wird. Die Erfahrung hat gezeigt, wie wichtig in Zeiten der Globalisierung weltweite Öffentlichkeit und globale Netzwerk- und Kampagnenarbeit ist.
RedAusführliche Infos zur Arbeit von medico auf www.medico.de
Wie soll aber eine globale Gesundheitspolitik aussehen, die die Trennung zwischen globalem Norden und Süden aufhebt? Wie lässt sich eine umfassende Basisgesundheitsversorgung 30 Jahre nach Alma Ata denken? Viele der diskutierten Alternativen sind mit den allgemeineren Themen der sozialen Bewegungen eng verbunden. Zusätzlich zum Wiederaufbau und zur Stärkung der öffentlichen Gesundheitssysteme im engeren Sinne sollen hier drei Punkte herausgegriffen werden. Als Basiskonzept dient oft das „gute Leben“ oder „buen vivir“ (das in die neuen Verfassungen von Ecuador und Bolivien sogar als Leitprinzip aufgenommen wurde), welches sich interessanterweise weitgehend mit einem breiten Gesundheitsbegriff deckt. Nach Definition der WHO meint Gesundheit einen Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Eine derartig umfassende Definition ist auch medizinisch sinnvoll, sind doch die sozialen und politischen Determinanten von Gesundheit auch die wichtigsten Faktoren für das Auftreten von Krankheiten.
Ein zweites Element stellen eindrucksvolle Beispiele solidarischer Ökonomie dar. Selbstorganisierte Einrichtungen, die bis zu eigenen Krankenhäusern und im Falle der Organisation Gonoshasthaya Kendra in Bangladesch zu einer eigenen Medikamentenfabrik reichen, stellen Modelle dar, die nicht oder nur zum Teil marktbasiert sind. Sie erproben neue Formen der Kooperation, die letztlich auch einem funktionierenden staatlichen Gesundheitssystem zu Grunde liegen müssten.
Ein dritter Ansatz schließlich betrifft neue Modelle sozialer Sicherung im Zusammenhang mit der großen Bedeutung der informellen Ökonomie und der geschlechtlichen Arbeitsteilung. Das Pilotprojekt zum Grundeinkommen in Namibia (siehe SWM 9/08) etwa wurde vor allem auch von den Aidshilfe-Organisationen unterstützt. Deren Überlegung ist einfach und einleuchtend: Ohne ausreichende Nahrung, Bildung, Unterkunft usw. helfen auch die besten Medikamente nicht.
Markus Schallhas arbeitet als Patientenanwalt im Bereich Psychiatrie in Wien. Mitglied der Inhaltsgruppe Gesundheit von attac Österreich, Aktivist im Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt sowie engagiert in Initiativen zu solidarischer Ökonomie.
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