Ein Licht am Ende des Tunnels

Von Leila Dregger · · 2009/02

Mit gewaltfreien Mitteln widersetzen sich die BewohnerInnen des Friedensdorfes San José de Apartadó im Norden Kolumbiens seit zwölf Jahren allen Versuchen der Vertreibung. Eine „Pilgerschaft“ führte Anfang Oktober mehrere hundert Campesinos, Indigene und internationale AktivistInnen in die leidgeprüfte Gemeinde.

Warum ich so glücklich aussehe?“, fragt Lidia Querebe*. „Weil wir schon seit drei Jahren kein Massaker mehr hatten. Und weil ich meine Arbeit mag.“ Die resolute Küchenchefin der Friedensgemeinde bringt heute für rund 500 Menschen das Frühstück auf den Tisch. Um die großen Töpfe mit Reis, Bohnen, Kochbananen und Yuca drängen sich DorfbewohnerInnen, Kinder, Indigene und internationale BesucherInnen. Es ist der 1. Oktober, der Beginn der „Grace-Pilgerschaft“.
San José liegt bei Apartadó, einem Hauptort der Bananenplantagenwirtschaft in Kolumbien. Die Friedensgemeinde ist eine 1997 gegründete neutrale Zone mit etwa 1.300 Mitgliedern. Mitgliedschaft bedeutet, sich für eine aktive gewaltfreie Friedenspolitik einzusetzen.
Diese Absage an jegliche Gewalt und an die im Land vorherrschende Kriegslogik hat einen hohen Preis. In den fast zwölf Jahren der Existenz als Friedensgemeinde wurden etwa 180 BewohnerInnen umgebracht. Die Täter kommen vor allem von Seiten der Paramilitärs; Auseinandersetzungen gibt es allerdings auch mit der Guerilla.
„Inzwischen“, so Orlando Tuberquia*, eine der jungen Führungskräfte des Dorfes, „werden die Methoden subtiler. Willkürliche Verhaftungen, Verleumdungen, Drohungen, Lebensmittelblockaden. Den Bewohnern benachbarter Dörfer wird gesagt, solange die Friedensgemeinde da sei, bekämen sie keine Unterstützung vom Staat. So werden die Nachbarn gegen uns aufgehetzt.“

Am 1. Oktober begeben sich fast 500 Menschen zur 17. Militärbrigade in Apartadó. Nicht nur mangelnden Schutz der Bevölkerung werfen die TeilnehmerInnen der Pilgerschaft der Armee vor, sondern auch Beteiligungen an Überfällen sowie heimliche Kooperation mit den Paramilitärs. Auf dem Weg durch die Stadt hören wir nicht nur Zustimmung. „Was wollt ihr denn?“ ruft ein Passant. „Die Gewalt ist vorbei, Präsident Uribe hat damit aufgeräumt.“
Orlando sieht es anders: „In der Stadt haben die Menschen zwar etwas mehr Ruhe, aber nur wenige Kilometer von hier gehen die Morde weiter. Wir erinnern sie daran, deshalb mögen sie uns nicht.“
Schließlich werden wir von Soldaten gestoppt. Auf der Zufahrtsstraße zum Sitz der Brigade legen wir Särge aus Pappe und 180 symbolische Kreuze nieder.
Warum jagt man in diesem Land die Bauern, vertreibt oder massakriert sie? Gloria Cuartas, in den blutigen 1990er Jahren Bürgermeisterin von Apartadó und heute Oppositionspolitikerin, gibt darauf Antwort: „Diese Region ist geostrategisch bedeutsam. Die Regierung plant hier den Bau eines interozeanischen Kanals, eines neuen Panama-Kanals, der die Wirtschaft ganz Kolumbiens verändern soll. Freie Bauern stören dabei.“
In den Bergen liegen außerdem Korridore für Truppenbewegungen der Guerilla und für den Drogen- und Waffenschmuggel aller Gruppen.

Bisher allerdings hat jede neue Schwierigkeit die Gemeinde stärker gemacht. Auf jede Bedrohung antwortete sie mit größerer Autonomie. So entstanden eine eigene Schule, solare Stromversorgung, die Gemeinschaftsküche, eine kleine Kakaofabrik – die Bäuerinnen und Bauern haben ein ganz neues Dorf aufgebaut. Ein internationales Unterstützungs-Netzwerk macht alle Angriffe auf die Friedensgemeinde öffentlich.
Ein Teilnehmer aus Palästina, Sami Awad, Lehrer für gewaltfreien Widerstand, sieht Parallelen zum eigenen Land: „Genau wie die palästinensischen Bauern kämpfen die Campesinos hier um das Recht, ihr Land zu behalten. Doch in diesem Dorf entsteht darüber hinaus eine Vision, wie ein Leben nach Krieg und Besatzung aussehen könnte. Eine solche Vision ist wie ein Licht am Ende des Tunnels.“
Die Pilgerschaft führt uns in den nächsten fünf Tagen durch Berge, abgelegene Weiler, Schauplätze von Gewalt und Widerstand. Schwüle Hitze und schwere Regenfälle wechseln sich ab. Die Wege dürfen wir nicht verlassen, denn die Wälder sind vermint. Ab und zu erinnern ein liegen gelassener Proviantsack oder ein flatterndes Stück Tarnkleidung an einem Zaun daran, dass die Wälder Verstecke bewaffneter Gruppen sind.

Der gemeinsame Widerstand führt Campesinos und Indigene zusammen. Ganz langsam beginnen die Bauern, sich auch für das traditionelle Wissen der Ureinwohner zu interessieren. Es gibt gemeinsame Gebete und Rituale, Abende, an denen sie mehr über die Kultur der Indígenas erfahren. Fernando, ein junger Angehöriger der Nasa aus dem Departement Cauca: „Ich habe zum ersten Mal den Eindruck, dass die Campesinos uns zuhören und von uns lernen wollen. Das liegt wohl daran, dass ihr Europäer euer Interesse zeigt. Das ist auch wichtig, denn wir leben viel länger hier und wissen, wie man in Frieden mit der Natur lebt.“
Los Mulatos. Hier wurde 2005 der Sprecher des Dorfes, Luis Eduardo Guerra, mit seiner Familie brutal ermordet. Acht Menschen starben, darunter mehrere Kinder. Inzwischen gestanden einige Paramilitärs, die Tat begangen zu haben, das Militär habe sie dabei unterstützt. Es ist der erste Mord an Mitgliedern der Friedensgemeinde, der überhaupt zur Anklage kommt.
In der Kapelle hält Pater Javier Giraldo, einer der bekanntesten Friedensaktivisten des Landes, eine Andacht. Campesinos, Indigenas, Internationale – Gläubige und Ungläubige – senken die Köpfe im Gebet. „Erinnerung an die Toten ist Teil unseres Widerstandes“, erklärt der Padre. „Wenn Morde nicht zur Anklage kommen, ist es, als hätten die Opfer nie existiert.“

*) Da BewohnerInnen der Friedensgemeinde Verfolgungen ausgesetzt sind, sind die Namen geändert.

Die Autorin ist Ökologin und schreibt seit 15 Jahren für deutsch- und englischsprachige Medien. Sie leitet auch Kurse für Friedensjournalismus. Diese Pilgerschaft gehörte nach eigenen Angaben zu ihren strapaziösesten, aber auch ermutigendsten Erlebnissen.
Die Grace-Stiftung wurde 2007 gegründet und hat ihren Sitz in der Schweiz.

Mehr Informationen:
www.sos-sanjose.org
www.grace-pilgrimage.com
www.cdpsanjose.org

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