Ein langer Pfad

Von Ulrike Lunacek · · 1999/07

Unter dem Titel „+5“ laufen derzeit Evaluierungen der Umsetzung der großen UNO-Konferenzen Mitte der neunziger Jahre. Errungenschaften für Frauen laufen Gefahr, durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen zunichte gemacht zu werden.

Den Anfang machte die Wiener Menschenrechtskonferenz 1993. Danach waren Kairo („Bevölkerung nd Entwicklung“, 1994) , Kopenhagen („Sozialgipfel“, 1995), und Beijing („Frauen“, 1995) jene Konferenzen, bei denen Frauen und Frauenorganisationen in allen Teilen der Welt Chancen sahen, ihre nationalen Regierungen zu mehr Menschenrechten und zur Gleichstellung von Frauen und Männern zu verpflichten.

Ende Mai wurde bei der Konferenz „Linking Up“ im holländischen Ede eine Zwischenbilanz gezogen. Die Frauennetzwerke WIDE (Women in Development Europe), Vrouwenberaad (holländische Plattform von Frauen und Frauenorganisationen in der Entwicklungspolitik) und SID (Society for International Development) hatten zu dieser Tagung geladen, um die Auswertungen der drei Konferenzen zu verknüpfen und Strategien für die weitere Arbeit zu planen.

„Wir wissen um die Kluft zwischen den auf Papier festgehaltenen Versprechungen und der Realität“, analysiert die Brasilianerin Jacqueline Pitanguy den politischen Kontext in Brasilien. Celeste Cambria, bis 1998 Vorsitzende des peruanischen Frauenzentrums Flora Tristan, hält jedoch fest: „Wir haben eine neue Sprache, haben neue Begriffe eingeführt – und damit ist auch der Diskurs ein anderer geworden.“

Nicht so erfolgreich waren die Frauenorganisationen, als es darum ging, in Brasilien im Bundesparlament einen Gesetzesentwurf durchzusetzen, der alle Bundesstaaten dazu veranlassen sollte, sichere Abtreibungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Obwohl die Chancen stimmungsmäßig gut standen, brachte der Besuch des Papstes einen Umschwung: Der oberste Hirte der KatholikInnen kam mit einem Waisenkind, dessen Mutter bei der Geburt gestorben war – sie hatte sich geweigert, den Fötus abzutreiben…

Der Einfluß des Vatikan, der als „Heiliger Stuhl“ zwar kein UNO-Mitglied ist, bei UNO-Konferenzen jedoch den Status eines permanenten Beobachters hat und als solcher meist auch vollen Status zugestanden bekommt – inklusive Stimmrecht – hat mittlerweile zu einer internationalen Kampagne gegen diesen Status geführt.

„Es ist Zeit, diese Fassade als Staat des Vatikan zu beeinspruchen“, betont die Vorsitzende von Catholics for a Free Choice, Frances Kissling. Sie ist federführend an der Postkartenkampagne beteiligt, hinter der seit März dieses Jahres mehr als 70 internationale Nichtregierungsorganisationen aus allen Regionen der Welt stehen. Sie alle haben erlebt, wie die VertreterInnen des Oberhaupts der Katholischen Kirche (und mit ihnen katholisch dominierte Regierungen etwa aus Lateinamerika) in Kairo und auch in Beijing – zum Teil in trauter Eintracht mit islamischen FundamentalistInnen – gegen Verbesserungen für Frauen auftraten.

Kissling :“Warum sollte ein kleines Stück Land mit Büros und Touristenattraktionen mitten in Rom, in dem Frauen und Kinder als BürgerInnen praktisch nicht vorhanden sind, mitentscheiden, wenn es darum geht, Regierungspolitiken festzulegen, die das (Über)Leben von Frauen und Kindern direkt betrifft?“

Und Bene Madunagu, Vorsitzende der „Girls Power Initiative“ in Nigeria, setzt nach: „Die Rolle, die die römisch-katholische Kirche in bezug auf Aufklärungsmaßnahmen rund um Aids in Afrika spielt, stellt ihr moralisches Recht, einen hohen Status bei den Vereinten Nationen zu haben, in Frage.“

Konservativen ReligionsvertreterInnen sowie rückschrittlichen PolitikerInnen ist es dennoch nicht gelungen, in zahlreichen Ländern bedeutende Erfolge zu verhindern:

Einige Länder haben Gesetze gegen weibliche Genitalverstümmelung erlassen.- Senegal etwa, wo landesweit Aktivitäten gesetzt wurden, in denen zum Teil Männer selbst ihre Geschlechtsgenossen davon zu überzeugen versuchen, daß diese traditionelle Praktik sich gegen die Gesundheit und die Rechte der Frauen richtet – und im Endeffekt auch gegen das Leben ihrer Ehefrauen.

Der Zugang von Jugendlichen zu Information und Betreuung rund um sexuelle und reproduktive Gesundheit hat sich etwa in Chile, Brasilien und Peru leicht verbessert. So wurden in Brasilien „Räte für die Rechte von Kindern und Jugendlichen“ ins Leben gerufen, die die Einhaltung der Gesetzesnormen überwachen. In Peru gibt es jetzt die Möglichkeit, daß schwangere junge Frauen ihre Schulausbildung abschließen; und das Gesetz, das Vergewaltiger bisher straffrei ausgehen ließ, wenn sie ihre Opfer ehelichten, wurde ebenso abgeschafft. Auch die Verantwortung der Männer wird mehr und mehr eingefordert.

Am wenigsten Fortschritte im Bereich der Gesetzgebung hat es – zumindest in Lateinamerika -, rund um das so umstrittene „Recht auf sichere Abtreibung“ gegeben. Von fünf untersuchten Ländern hat lediglich Brasilien die Gesetzesvorschriften verbessert, um Frauen ärztliche Betreuung zu gewährleisten. In Peru hat sich die Situation sogar verschärft: Dort sind ÄrztInnen jetzt dazu verpflichtet, jene Frauen, die wegen einer (nicht sachgemäß durchgeführten) Abtreibung ins Spital kommen, der Polizei zu melden.

In jenem Bereich, der sich am meisten mit den Forderungen der Weltfrauenkonferenz in Beijing überschneidet – nämlich dem „Empowerment“ von Frauen in Entscheidungspositionen – hat Peru jedoch einige Fortschritte aufzuweisen: So wurde etwa ein Gesetz beschlossen, das alle politischen Parteien dazu verpflichtet, auf ihren Wahlvorschlägen – und noch dazu auf wählbaren Plätzen – mindestens 25% Frauen zu haben. Bei den letzten Gemeinderatswahlen hat dies schon zu einer beachtlichen Mehrvertretung von Frauen in den gesetzgebenden Gremien auf Gemeindeebene zur Folge gehabt.

Zusätzlich zu jenen zahlreichen Punkten, die noch nicht umgesetzt wurden, sind vor allem drei neue Herausforderungen dazugekommen, wie UNIFEM-Expertin Madhu Bala Nath in ihrem Referat in Ede betonte:

Der rapide Anstieg der HIV- und Aids-Rate unter Frauen und Kindern; die Zunahme von kriegerischen Auseinandersetzungen (und dabei meinte sie nicht nur den Balkan), sowie die rasante Privatisierung – damit einhergehend die Finanzkrise etwa in Asien, die zu einem „nicht mehr kontrollierbaren“ Niedergang öffentlicher Ausgaben in den Bereichen Gesundheit und Bildung geführt habe.

Über letzteren Punkt herrscht Einigkeit, egal, ob es um Kairo, Kopenhagen oder Beijing „+5“ geht, wie das Kürzel für die Evaluierungen fünf Jahre danach lautet. Die Armut von Frauen nimmt weltweit zu, und von ökologisch und sozial nachhaltiger Entwicklung ist die Welt, im gesamten betrachtet, weiter entfernt als noch vor einigen Jahren.

Besonders hart und detailliert analysiert das Netzwerk „Social Watch“, das sich nach dem Sozialgipfel in Kopenhagen formiert hat, die Weiterentwicklung. Eine Tabelle der „Erfüllten Verpflichtungen“ gibt einen Überblick, der schon einiges an Diskussionen ausgelöst hat. So gab es Proteste von seiten nordamerikanischer Aktivistinnen, daß Kanada und Australien in einem Atemzug mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und mit Guyana genannt werden, wenn es um Rückschritte bei der Einschulungsrate von Mädchen geht.

Caroline Wildeman von Social Watch: „Das ist natürlich relativ zu den bisherigen Errungenschaften zu sehen. Unser Anliegen ist es, Diskussionen auszulösen – und das ist uns sicherlich gelungen.“

Die Autorin ist Obfrau der Frauensolidarität – entwicklungspolitische Initiativen für Frauen. Sie lebt als Dolmetscherin und Journalistin in Wien.

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