Ein Bazar namens Usbekistan

Von Redaktion · · 2012/02

Das Land im Herzen Zentralasiens leidet unter Korruption, Umwelt- und Wirtschaftsproblemen und dem Regime des Langzeitpräsidenten Islam Karimov. Eine Reportage von Eva Maria Teja Mayer.

Die gut ausgebaute U-Bahn in der Hauptstadt Taschkent stammt noch aus der Sowjet-Ära, ebenso wie die operettenhaften Polizeiuniformen mit den übergroßen Tellerkappen. Jeder Zugang ist mit mehreren Beamten besetzt. Die in Präsident Karimovs Anfangsjahren gefürchteten, damals oft nur durch „Bakschisch“ zu überstehenden Gepäckskontrollen finden noch immer statt; als Grund gilt die Gefahr islamistischer Anschläge. (Unter diesem Vorwand verschwinden auch politische GegnerInnen des Präsidenten hinter Gittern.)

Gegen elf Uhr abends – zu dieser Zeit sind die Wohnstraßen menschenleer und dunkel – erwecke ich die Neugier der Polizisten. Der Dienstälteste studiert intensiv meinen Pass, die bunten Visa faszinieren ihn. Leider beherrsche ich weder die offizielle Amtssprache Usbekisch noch die übliche Verständigungssprache Russisch; die Beamten verstehen kein Englisch. Ich gehe trotzdem als harmlose Touristin durch, sogar ohne Trinkgeld.

Tagsüber lehnt ein Mann in Lederjacke und Jeans vor dem Eingang und mustert die PassantInnen. „Dollar, Euro“, bietet er halblaut seine Ware an. Der Schwarzmarktkurs – zwischen 3.000 und 3.300 Sum pro Euro – ist ein gutes Drittel günstiger als der offizielle Tarif. Das „Geschäft“ läuft ohne Komplikationen ab: Per Handy wird ein Freund herbeigerufen, der bringt die Banknotenbündel in einem Nylonsack. Die höchste Banknote lautet auf 1.000 Sum; man plagt sich mit den mit Geld vollgestopften Taschen und dem unablässigen Abzählen von Geldscheinen. Zwar ist das Bezahlen in Fremdwährung verboten, der Dollar dominiert trotzdem die Schattenwirtschaft; besonders in der Tourismusbranche. Meist schreibt man die Preise gleich in Dollar oder Euro an.

Die Wirtschaftslage ist nicht rosig – vielleicht liegt deshalb der Besuch von muslimischen Sufi- und Heiligenschreinen wieder hoch im Kurs. Trotz der Verbotstafeln häufen sich Geldscheine auf den Gräbern. Die an den zehn aktiven usbekischen Koranschulen ausgebildeten Mullahs beten für die PilgerInnen und verdienen gut am Spendengeld. Gebetet wird ebenso am Grab Timurs (geboren 90 Kilometer südlich von Samarkand, gestorben 1405), dessen Reich auch Gebiete im heutigen Iran, Irak, Syrien, Kaukasus, in der Osttürkei und in Nordindien umfasste. Karimov stilisierte den erfolgreichen Eroberer zum Nationalheiligen, als dessen geistigen und politischen Erben er sich selbst sieht – das „moderne“ Amir Timur-Museum in Taschkent ist pure Propaganda wie im Lehrbuch.

In Samarkand am Registan-Platz mit den mittelalterlichen Medressen treffe ich einen anderen Timur in seinem Geschäft mit usbekischer Handwerkskunst. Er spricht ausgezeichnet Englisch, gab seinen Job als Lehrer auf und arbeitet als Fremdenführer. „Das ganze System ist korrupt“, stellt er fest. „Auch das Erziehungswesen. Wer kann, wandert in den Tourismus ab oder gründet eine Import-Export-Firma.“ Korruption auch in den Spitälern: „Brauchst du eine Operation, so behandelt dich ein Medizinstudent auf Staatskosten; soll der Professor operieren, musst du tief in die Tasche greifen.“

Usbekistan grenzt an Afghanistan und die sowjetischen Nachfolgestaaten Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Turkmenistan. Auf 447.400 km2 leben knapp 28 Millionen EinwohnerInnen, neben der usbekischen Mehrheit auch Tadschiken, Kasachen, Russen, Karakalpakis und Tataren. Die Baudenkmäler der Städte Samarkand, Buchara und Khiva an der Seidenstraße stehen auf der ­UNESCO-Welterbe-Liste und wirken zum Teil überrestauriert. Nach dem Zerfall der UdSSR erklärte sich die Sowjetrepublik Usbekistan 1991 für unabhängig; der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Usbekistan wurde auch gleich der erste Präsident des „säkularen, demokratischen“ Staates: Islam Karimov, 74, der sich 2007 – entgegen der Verfassung – bereits zum dritten Mal ins Amt wählen ließ.
red

Die staatlichen Gehälter sind lächerlich niedrig, zum Überleben müsse man notgedrungen andere Einnahmequellen erschließen. Das Einstiegsgehalt eines Lehrers mit Universitätsabschluss beträgt umgerechnet 40 E im Monat, nach vier Jahren 400.000 Sum (offiziell derzeit 170 E). „Illegale Geschäfte sind die logische Folge, ein Erbe der Sowjetherrschaft. Nun herrscht ein wilder Kapitalismus, jeder ist sich selbst der Nächste.“ Trotzdem sieht Timur wie viele andere im Tourismus tätige Unternehmer den Langzeitpräsidenten Karimov differenziert – obwohl er dessen autoritäres Regime offen als „Tyrannei“ charakterisiert.

Nach der Unabhängigkeit blieben Machtstruktur und Politikerkaste nahezu unverändert. Oppositionsparteien werden bei Wahlen nicht zugelassen, DissidentInnen sitzen in Haft, Proteste werden gewaltsam unterdrückt (so geschehen 2005 in Andijan, wo Sicherheitskräfte hunderte DemonstrantInnen erschossen). Unliebsame Medien werden zum Schweigen gebracht, kritische Websites blockiert. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch werfen dem Staat systematische Anwendung von Folter vor.

„Klar sind die Wahlen nicht wirklich demokratisch“, räumt Timur ein. „Aber mir sind Stabilität und innere Ruhe wichtiger.“ Ihm graut vor einem Bürgerkriegsszenario wie im benachbarten Tadschikistan vor einigen Jahren. „Es gibt auch Positives“, meint er. „Heute bekommt jeder einen Pass und kann im Ausland Geschäfte machen! Die vielen neuen Restaurants und Hotels gäbe es ohne im Ausland verdientes Geld nicht.“

Auch der Taxifahrer Ali in Khiva verdient sein Geld mit TouristInnen. Schmunzelnd beschreibt er mir sein landesweites Netzwerk an Kontakten. „Eine Hand wäscht die andere.“ Auf der Fahrt zu den khoresmischen Wüstenfestungen zeigt er auf die Plastikkanister am Straßenrand. „Von den staatlichen Tankstellen schwarz abgezapftes Benzin. Sogar die Polizei deckt sich manchmal am Schwarzmarkt ein und zahlt einen Dollar pro Liter, genauso wie alle anderen.“ Ali beklagt sich auch über Engpässe bei der Strom- und Gasversorgung. Wen er gerne auf dem Präsidentensessel sähe? „Ganz egal – Hauptsache, es gibt ausreichend Strom und Gas. Und keine Probleme.“ In der UdSSR-Zeit sei das Leben einfacher gewesen. Nostalgische Gefühle für den Kommunismus? „Mein Vater konnte noch ohne Pass bis nach Moskau reisen – ich dagegen komme ohne Ausweis nicht einmal bis Buchara, ohne von Polizisten belästigt zu werden.“

Der Aral-See, der ehemals viertgrößte Südwassersee der Erde, bietet immer noch einen traurigen Anblick. Er ist auf einen schmalen Streifen geschrumpft, die blühende Fisch- und Bootsindustrie brach zusammen. Der Amudarya-Fluss mündete ursprünglich in den See, inzwischen versandet er lange vorher; die Schiffe rosten auf dem Trockenen vor sich hin. Schuld ist vor allem die intensive Bewässerung der Baumwollfelder seit der Sowjetzeit; das lokale Klima änderte sich, Salzstürme und Versteppung erschweren das Leben der Menschen. Das durch Pestizide belastete Grundwasser stellt ein Gesundheitsrisiko dar.

Die Baumwolle ist aber nach wie vor ein unverzichtbarer Wirtschaftsfaktor. Wie zu Zeiten der sowjetischen Planwirtschaft erhalten SchülerInnen und Studierende im Herbst einige Wochen unterrichtsfrei, um „freiwillig“ als ErntehelferInnen zu arbeiten. Ali, der sich als Kind gerne vor dieser Pflicht drückte, sieht das locker: „Sie werden immerhin bezahlt.“ Für ein Kilo geerntete Baumwolle gibt es 1.000 Sum; man schafft etwa 20 Kilo am Tag. „Ein nettes Taschengeld für junge Leute.“

Mindestens zehn Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung jobbt außerhalb ihres Landes – in den USA und Kasachstan, aber auch in Russland. Dort sind usbekische Gastarbeiter nicht überall beliebt, erfahre ich von zwei russischen Ingenieuren der international tätigen Eriell Group, die im Bett des trockenen Aralsees nach Öl und Gas bohrt. Usbekis arbeiten für ein Hungergehalt und drücken so das Lohnniveau. „Arbeitslose Russen mit schlechter Ausbildung beschuldigen sie, ihnen die Jobs wegzunehmen – Wasser auf die Mühlen nationalistischer Politiker“, erklärt Shamil, einer der beiden. Er und sein Kollege Wlad beziehen monatlich 5.000 US-Dollar; ihre usbekischen Kollegen nur 1.100. „Für die gleiche Arbeit“, wie Shamil zugibt. Trotzdem verstehe man sich gut. „Alle lieben wir Wodka – daran hat sich nichts geändert.“ Sonst aber gefällt ihnen die ehemalige Sowjetrepublik nicht mehr. „Früher waren die Menschen hier so gastfreundlich – jetzt heißt es überall nur noch ‚money, money, money‘“, beschwert sich Wlad.

„Da wir Russisch sprechen, gehen wir teilweise als Einheimische durch“, erzählt Shamil. „Wenn ich aber meinen Pass herzeige, werde ich genauso ausgenommen wie ein westlicher Tourist.“ Die sieht man als Melkkühe an – außerhalb Taschkents feilscht man sogar um den Fahrpreis in staatlichen Überlandbussen. „Was kann man da tun“, meint Shamil und schenkt Wodka nach. „Ganz Usbekistan ist ein Bazar.“

Eva Maria Teja Mayer lebt als freie Autorin und Journalistin in Wien. Reisen und Feldforschung führen sie vor allem nach Asien; kürzlich besuchte sie Usbekistan.

Basic

Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!

  • 6 Ausgaben pro Jahr als Print-Ausgabe und/oder E-Paper
  • 48 Seiten mit 12-seitigem Themenschwerpunkt pro Ausgabe
  • 12 x "Extrablatt" direkt in Ihr E-Mail-Postfach
  • voller Online-Zugang inkl. Archiv
ab € 25 /Jahr
Abo Abschließen
Förder

Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.

Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

84 /Jahr
Abo Abschließen
Soli

Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!

Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

168 /Jahr
Abo Abschließen