E-Mail aus: Elfenbeinküste

Von: Ossiri Richard Gnaore

Betreff: Lächeln im Chaos

Liebe Redaktion,

30 Jahre lebe ich schon in Österreich, ursprünglich komme ich aus der Elfenbeinküste. Weil mein letzter Besuch dort schon elf Jahre her war, habe ich mich heuer im Sommer auf die Reise nach Abidjan, die Hauptstadt meines Herkunftslandes begeben.

Diese Stadt wächst wie wahnsinnig: Seit 2005 ist die EinwohnerInnenzahl schätzungsweise um ein Viertel gestiegen. Offiziell leben dort heute etwa 4,5 Millionen, überwiegend junge Menschen. Dieser Boom hat ein gewisses Chaos zur Folge. Jede und jeder ist gefordert, irgendwie damit klarzukommen. Zum einen gibt es einen unheimlichen Schöpfergeist: aus jeder Rostschüssel wird wieder ein fahrbares Auto gemacht. Zum anderen gibt es immer mehr Menschen, die sich ob der Ausweglosigkeit und auf der Suche nach Trost charismatischen Führungspersönlichkeiten von christlichen oder muslimischen Religionsgemeinschaften anschließen.

Auch für mich ist es schwer vorstellbar, wie viele über die Runden kommen. Der Mindestlohn liegt bei umgerechnet 92 Euro – die Preise von Benzin und Lebensmitteln liegen nur knapp unter den österreichischen. Allein ein Besichtigungstermin einer Wohnung kostet bis zu 15 Euro! Was mich auf die Dauer hier deprimieren würde, kompensieren die Menschen wohl auch mit einer faszinierenden Leichtigkeit. Die lockeren, charmanten, allgegenwärtigen Blödeleien hatte ich fast vergessen. Den erheiternden Gedanken daran nehme ich mir mit nach Wien.

 Liebe Grüße, Ossiri