Dschihad in den Köpfen

Von Redaktion · · 2017/03

Wie in Indonesien versucht wird, verurteilte islamistische Terroristen in- und außerhalb der Gefängnisse von der Gewalt abzubringen, berichtet Sven Hansen aus Jakarta.

Vor einem Jahr, am Vormittag des 14. Jänner 2016, greifen vier Attentäter an einer belebten Kreuzung im Zentrum Jakartas einen Verkehrsposten der Polizei und die Filiale einer US-Kaffehauskette mit Schusswaffen und in Rucksäcken gezündeten Bomben an. Die zwei Selbstmordattentäter sterben sofort, die beiden anderen Terroristen schießen auf Polizisten und Passanten, bevor sie selbst getötet werden. Acht Tote sowie 20 Verletzte lautet die Opferbilanz.

Der erste Terrorangriff in Jakarta seit 2009 ist zugleich der erste Angriff in Südostasien, für den eine mit der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) verbundene Gruppe die Verantwortung übernimmt. Bis dahin ist der IS im Land mit der weltgrößten muslimischen Bevölkerung noch nicht mit Gewalt in Erscheinung getreten. Doch inzwischen sind die ersten indonesischen IS-Kämpfer aus Syrien und Irak zurückgekehrt. Zwei Angreifer sowie der in Syrien sitzende mutmaßliche Drahtzieher waren Indonesiens Justiz davor bekannt. Die Attentäter Afif alias Sunakim und Marwan alias Muhammad Ali waren schon wegen Terrorismus verurteilt und bestraft worden. Afif wurde 2010 verhaftet, als die Polizei ein Terrortrainingscamp stürmte. Er wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt und wegen guter Führung nach fünf entlassen. Wie der ebenfalls wegen Terrorismus verurteilte Marwan entzieht er sich danach der Aufsicht der Polizei.

„Häfenbrüder“. „Indonesiens Behörden sind mit der Überwachung ehemaliger Terroristen überfordert“, sagt Sidney Jones. Sie leitet in Jakarta das Institute for Policy Analysis of Conflict (IPAC).

Arbeit mit den Rückkehrern

Indonesiens Gefängnisse zählen 700.000 Insassen. Laut dem Chef der Anti-Terrorbehörde BNPT, General Suhardi Alius, nehmen mehr als 700 IndonesierInnen am Deradikalisierungsprogramm teil. Dazu gehören 242 Insassen, die wegen Terrorismus inhaftiert sind. In Frage kämen auch zunehmend RückkehrerInnen aus Irak und Syrien. 500 indonesische IslamistInnen sollen dorthin zum Kämpfen gereist sein, von denen bisher 47 zurückkehrten. Davon sollen 30 für den IS gekämpft haben und 17 für die mit Al-Kaida verbundene Nusra-Front. 300 weitere Personen, darunter Frauen und Kinder, wurden von der Türkei nach Indonesien zurückgeschickt, bevor sie sich dem IS anschließen konnten.   S.H.

Die Behörden hätten erst nach dem Anschlag in Jakarta realisiert, dass die vier Attentäter den auf der zentraljavanischen Gefängnisinsel Nusa ­­­­Kambangan einsitzenden Aman Abdurrahman, Indonesiens spirituellen IS-Führer, nur wenige Wochen vor dem Anschlag dort besucht hatten. Den Behörden sei auch entgangen, dass Afif in einem vorherigen Gefängnis zeitweilig Amans Masseur war.

Der Anschlag der rückfällig gewordenen Terroristen, die zuvor nur „kleine Fische“ waren, zeigt die Rolle der Gefängnis-Netzwerke und die Schwächen von Indonesiens Justizystem wie des Deradikalisierungsprogramms der Regierung, das militante Islamisten von terroristischer Gewalt abbringen soll.

„Das Gefängnispersonal hat weder die Fähigkeiten noch das benötigte Wissen für den Umgang mit Terroristen und ihre Deradikalisierung“, sagt Taufik Andrie von der kleinen Hilfsorganisation Prasasti Perdamaian. Sie hilft Ex-Terroristen, nach der Haft eine wirtschaftliche Existenz unabhängig von ihren früheren Netzwerken aufzubauen.

Falsche Maßnahmen. „Die Regierung versucht, Gefangene mit der Aussicht auf Strafmilderung und bessere Haftbedingungen zu ködern“, erklärt Taufik. „Das Deradikalisierungsprogramm ist aber nicht verpflichtend. 30 bis 40 Prozent nehmen nicht teil, andere nur, um Vergünstigungen zu bekommen.“ Teil des Programms sind von der Antiterrorbehörde BNPT in den Gefängnissen organisierte Vorträge von Imamen der großen gemäßigten Muslimorganisationen, Nahdlatul Ulama und Muhammadiyah.

„Die mögen Mitläufer beeindrucken, aber keine Hardliner“, meint Taufik. „Bei denen kann das kontraproduktiv sein. Die Hardliner erkennen in Fragen des Dschihad die offiziellen Religionsvertreter nicht an. Bei geschickter Argumentation können sie deren Autorität bei den anderen Gefangenen schnell zerstören.“

Auch Jones ist skeptisch: „Kein Dschihadist lässt sich etwas von einem offiziellen Islamvertreter erzählen“, so die Kennerin des militanten Islam in Südostasien.

„In manchen Gefängnissen leiten Dschihadis das Freitagsgebet“, erklärt Andreas Harsono, Indonesien-Spezialist von Human Rights Watch in Jakarta. Das würde ihnen Status und Autorität auch gegenüber gewöhnlichen Kriminellen verleihen.

Harsono besucht regelmäßig Gefängnisse. Manche würden gut geführt, sagt er, aber in anderen sei die Disziplin des Personals ein Problem. Drogen und Handys, obwohl verboten, seien fast überall nutzbar.

Vertrauen aufbauen. „Wir müssen bei Verurteilten zunächst Vertrauen aufbauen und können nicht gleich die Ideologie ändern“, sagt Taufik. „Wir sprechen über einfache Dinge wie Jobs oder Familie“, beschreibt er die Arbeit seiner Organisation „Nach der Entlassung aus dem Gefängnis brauchen die Menschen Geld. Das bekommen sie meist nur durch ihr altes Terrornetzwerk oder den Staat.“

Sowohl Staat als auch die jeweilige terroristische Gruppierung verlangten aber Gegenleistungen in Form von neuem Terror oder Verrat von Informationen. „Wir bieten einen dritten, unabhängigen Weg, in dem wir Jobs und Trainings für eine wirtschaftliche Selbständigkeit anbieten“, so Taufik.

Von den bisher betreuten 36 Terrorverurteilten seien sechs rückfällig geworden: Davon landeten drei wieder im Gefängnis, zwei gingen nach Syrien, einer wurde erschossen.

Auffangnetze. Patentrezept für Deradikalisierung gibt es laut Jones keines. Für erfolgversprechend hält sie ein Mentorenprogramm durch angesehene Persönlichkeiten. Eine Rolle bei der Deradikalisierung könnten zudem Ehefrauen und Kinder spielen, sofern sie selbst keine militanten Islamisten seien. „90 Prozent der Terrorverurteilten sind verheiratet“, sagt Taufik. Laut Jones falle den Verurteilten die Trennung von ihren Kindern am schwersten. Besuchserleichterungen können Anreize zur Kooperation bieten. Grundvoraussetzung sei aber „ein ausgebildetes und sensibilisiertes Gefängnispersonal“, betont Jones. „Weil die Gefängnisinfrastruktur aber oft sehr schlecht ist, sind Gefangene auf Hilfe von außen angewiesen. Die besten Unterstützernetzwerke haben aber die Dschihadisten. Das macht sie in den Gefängnissen einflussreich.“

Sven Hansen ist Asienredakteur der Berliner Tageszeitung taz.

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