Ibera Verlag, Wien 2004, 288 Seiten, EUR 22,-
Als die Portugiesen ankamen, lebten in dem riesigen Land Brasilien an die fünf Millionen Menschen. Heute sind von der Urbevölkerung noch etwa 300.000 übrig geblieben.
Im Herbst 1997 bringt ein Erdbeben viele Häuser und die Kathedrale von Assisi zum Einsturz. Und die Vorsehung hat zwei Geschwister dieser Stadt, Gianfranco und Chiara, dazu ausersehen, in die Tiefen des amazonischen Urwalds und der indianischen Kosmovision einzutauchen.
Verheerende Waldbrände fressen sich Anfang 1998 zwei Monate lang in diesen Urwald. Als alle Löschversuche scheitern, lässt die staatliche Indianerschutzorganisation FUNAI zwei Kayapó-Schamanen aus dem Mato Grosso in den Bundesstaat Roraima einfliegen. Sie führen am Ufer des Rio Branco ein Ritual durch, und Stunden später geht ein schwerer Regen nieder, der 95 Prozent der Brände löscht.
Aus diesen drei Handlungssträngen flicht die Autorin, die schon in ihren früheren Büchern ihre Sensibilität für außereuropäische Kulturen und Denkweisen eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, die Geschichte einer Expedition in den Regenwald. Eine Expedition, der sich die Leserin, der Leser mit großem Gewinn anschließen kann, die hilft, die engen Grenzen unserer rational bestimmten Welt zu erweitern, sich verloren gegangenen Bewusstseinsschichten intuitiver Wahrnehmung und Erkenntnis wieder anzunähern.
„Tochter der Sonne“ ist auch ein sehr sinnlicher Liebesroman, ein Reiseroman, ein Abenteuerroman, ein spiritueller Roman. Gianfranco, der Sucher aus Assisi, stellt sich im Regenwald die Frage, mit der wir uns alle auseinandersetzen müssen, die ein wenig eintauchen wollen in das Reich der intuitiven Erkenntnis: Wie können wir die dort erworbenen Wahrnehmungsfähigkeiten aufrecht erhalten in der Einöde des materialistisch orientierten europäischen Alltags? Die Antwort kann wohl nur individuell gesucht und gefunden werden.
Lesung der Autorin aus diesem Buch am 10.5. in Wien (siehe Termine).