Do you have jodels?

Von Werner Hörtner · · 2008/04

Erika Stucky ist in den USA und den Alpen, im Jazz und in den Schweizer Heimatklängen zuhause. Jodeln ist für sie Weltmusik, und die Flower-Power-Kindheit in Kalifornien ein prägender Wurzelstock.

Der Kontrast könnte größer nicht sein: Aufgewachsen in San Francisco als Tochter eines Schweizer Emigrantenpaars, beeinflusst von der Hippie-Kultur und Flower Power und Hare Krishna – doch Anfang der 1970er Jahre kehrt die Familie mit der knapp zehnjährigen Erika in einen hinterwäldlerischen Ort im Oberwallis zurück. Wie kann man nach der kosmopolitischen weltoffenen Atmosphäre Kaliforniens in der räumlichen und geistigen Enge eines kleinen Alpendorfes überleben? Doch das aufgeweckte Mädchen erfuhr den Kulturschock als Bereicherung: „Gerade weil ich eine amerikanische Kindheit hatte und so in dieses Bergdorf reingespickt worden bin, hatte ich auch eine andere Sicht. Beichten z.B., das war für mich so etwas wie ein Disney-Film. Jedes andere Kind ging gebückt zur Beichte und fand es als eine Belastung. Bei mir nicht. Ich hatte einen ganz anderen Start mit meiner Flower-Power-Kindheit. Ich hatte schon als Kind einen klaren Abstand. Wo die anderen sich gefürchtet haben, war es für mich spannend und exotisch.“
Erika Stucky lebt heute noch in und mit diesen beiden Welten, hat die Verschiedenheit als schöpferische Herausforderung und Chance genutzt. „Für mich ist ein Jodel genauso herzzerreißend wie ein Südstaatenblues.“ Für sie ist Weltmusik ein passabler Begriff, mit dem sie sich angefreundet hat: „Ich denke, die Leute, die sich an der Weltmusik orientieren, sind offen genug, sich auch Musik anzuhören, die nicht nur pur aus China oder pur aus der Schweiz ist, sondern Musik, die Ohren und Augen und Herz öffnet für andere Länder.“

Wenn man die Performance der Sängerin auf der Bühne erlebt -oder neuerdings auch im Film -, könnte nur zu leicht der Eindruck entstehen, es handle sich um ein Naturtalent, das mit angeborener Leichtigkeit singt, tanzt, Geschichten erzählt und witzelt. Das mit dem Talent mag ja stimmen, und dass sie Sängerin werden will, wusste schon die kleine Erika mit ihren Heidi-Zöpfen. Doch hinter der lockeren Präsentation steht eine solide Ausbildung: an der Pariser C.I.M.-Jazzschule und Schauspiel bei Serge Martin in San Francisco. Und das Spielen in verschiedensten Formationen. 1985 gründet sie eine A-Capella- und Bass-Formation, 1994 wird sie Vokalsolistin in der George Gruntz Jazz Band, zwei Jahre später beginnt ihre lange Zusammenarbeit mit Ray Anderson und Art Baron.
Eine für ihre Entwicklung prägende Zeit erlebte Stucky als 19-Jährige bei einem neunmonatigen Aufenthalt in Bolivien, wo sie in Cochabamba in einer Art Kinderdorf als Volontärin mitarbeitete, und Peru. „Ich habe mit Gitarre und in Schweizer Tracht auf den Straßen gejodelt und gesungen, einfach so als Straßenmusikantin. Diese neun Monate in Südamerika haben mein Leben verändert. Auch das, so nahe am Tod zu sein, so wenig Geld zu haben. Ich habe viel gelernt in dieser Zeit.“

Weltmusik-Fans aus unseren Breiten begeistern sich an Musik aus den Anden, an afrikanischen Rhythmen, am indischen Sitar-Spiel. Die eigene Folklore gilt meistens als antiquierter Kitsch, Jodeln als Touristenschauspiel. Wie sieht das die singende Weltenbummlerin? „Natürlich ist Jodeln Weltmusik. In jedem Land, wo ich bin, ob in Botswana oder in Texas, frage ich die Leute: Do you have jodels? Das ist doch echte Weltmusik, das haben nicht die Schweizer erfunden.“
Juchzen und Jodeln steht auch im Mittelpunkt des eben angelaufenen Films „Heimatklänge“ des Regisseurs Stefan Schwietert -(u.a. Accordeon del Diablo und Accordion Tribe; s. Hinweis in SWM 1-2/08 S.45). Erika Stucky zelebriert in dem Augen und Ohren begeisternden Film eines ihrer Mottos: „serious fun“. Immer wieder springt sie von ihrer kalifornischen Kindheit in die alpine Gegenwart, blödelt und führt ernsthafte Gespräche, tanzt Hula Hoop, stößt wilde Naturjuchzer aus und schlüpft in archaische Sagenwelten.
Kürzlich bereiste Stucky mit dem Zirkus Federlos und einer A-Capella-Frauengruppe drei Monate lang Simbabwe, Namibia und Botswana und konnte dort neue Erfahrungen über ihre Rezeption als urige Performance-Künstlerin machen: „Den Menschen hat es am meisten gefallen, wenn wir getanzt haben. Wenn es zu harmonisch war, haben sie einfach zugeguckt und gemeint: Oh, interesting. Wenn es dann rhythmisch wurde, dann haben sie so lachen müssen. Ich habe noch das Bild vor mir, wie sich drei alte zahnlose Frauen kaputt lachen, als wir uns oben auf der Bühne abmühten, ein paar Tanzschritte, die wir in den Straßen gesehen haben, nachzuäffen.“

Der Film „Heimatklänge“ läuft noch bis zum 3. April in Innsbruck (Leo), ab 17. April in Bregenz (Filmforum), ab 25. April in Krems (Filmgalerie) und im Mai in Salzburg (Das Kino).
Erika Stucky tritt mit dem Programm „Bubbles & Bangs“ am 16. April im Wiener Porgy & Bess auf, am 22. Mai in der Strandbar an der Donau.

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