Frauenanliegen kommen in den Dokumenten der Welthandelsorganisation nicht vor. Dabei sind die Frauen von der Liberaliserung des Welthandels stärker und unmittelbarer betroffen als Männer.
Zuhause jubelten wir über den Mut und das Engagement der NGO-VertreterInnen; erst später erfuhren wir, dass die Polzei brutal mit Tränengas, Pfefferspray und Knüppeln gegen sie vorging, absichtlich zu Gewalt provozierte und Inhaftierten mit Foltermethoden behandelten.
Trotzdem, die ganze Konferenz ein Flop! Ja, mehr als das: Es wird keine Millenniumsrunde, keine Erweiterung des Mandats der WTO, keine zusätzlichen Verhandlungspunkte und Liberalisierungsschritte geben, jedenfalls nicht so bald. Dafür hatten über tausend NGOs im Norden und Süden mit ihren Aktionen gekämpft; auch dafür, dass zuvor die Auswirkungen der Uruguay-Runde (1986-95) auf die verletzlichen Ökonomien der Entwicklungsländer, auf Umwelt und soziale Verhältnisse genau untersucht und evaluiert werden müssen.
Viele offizielle Teilnehmer haben das nun eingesehen, denn auch ihnen wird allmählich klar, dass die Handelsliberalisierung zwar den Reichen mehr Profite bringt, aber die Benachteiligung armer Länder und Personengruppen oft verschärft.
Dass die Erklärung der Menschenrechte, die verschiedenen UNO-Konventionen, die Verpflichtungen auf UNO-Konferenzen, die viele der 135 WTO-Mitglieder unterschrieben oder akzeptiert haben, Vorrang vor den WTO-Regeln haben müssen, ist allerdings noch nicht ins WTO-Denken eingedrungen. Gefordert wurde von den NGOs darüber hinaus die Demokratisierung und Transparenz der WTO-Abläufe, schneller Zugang zu Information und Mitsprache für die Zivilgesellschaft.
Unter den zahlreich in Seattle anwesenden NGOs trat eine ganze Anzahl von Frauenorganisationen mit wichtigen Veranstaltungen, Aktionen, Workshops und Erklärungen hervor: so WIDE, ICDA, WEDO, Diverse Women for Diversity, DAWN, WILPF, KULU, um nur die bedeutendsten zu nennen.
Viele Aktivistinnen waren schon bei den WTO-Ministerkonferenzen 1996 in Singapur und 1998 in Genf mit dabei gewesen, gründeten dort den „Women’s Caucus“ und gaben im Rahmen der IWGGT (Informal Working Group on Gender and Trade) Veröffentlichungen heraus. Sie haben maßgeblich zum Erfolg der NGOs gegenüber dem Moloch WTO beigetragen und natürlich auch versucht, Frauenanliegen hörbar und sichtbar zu machen.
Wie unter den Strukturanpassungsprogrammen leiden Frauen unter den WTO-Maßnahmen stärker als Männer: die Reduktion von Sozialleistungen, auch durch sinkende staatliche Zolleinnahmen, der Stellenabbau bei den Sozialdiensten, Billigimporte von Nahrungsmitteln und Industriegütern, die ihre landwirtschaftliche Produktion und ihren informellen Handel unterbieten, der starke Konkurrenzdruck, dem sie infolge reproduktiver Aufgaben nicht gewachsen sind, Verlust von Land usw., alles Folgen der Liberalisierung, sind Elemente ihres wirtschaftlichen Abstiegs.
Nur junge Frauen können in Sonderwirtschaftszonen Arbeit finden; und die ist oft ausbeuterisch, ungesund, ungesichert und und ohne Rechte.
So hat die österreichische Plattform des europäischen Netzwerks WIDE (Women in Development Europe) schon im Vorfeld ihre Forderungen an östereichische Politiker und Europa-Parlamentarier gerichtet und ähnliche in Seattle mitgetragen. Frauen setzen sich dafür ein, dass
in der WTO die unterschiedlichen Auswirkungen von Handelsmaßnahmen auf Frauen und Männer tatsächlich anerkannt werden;
Genderkompetenz aufgebaut und Mittel dafür vorgesehen werden, daher Genderanalysen, geschlechtsspezifische Daten zu Handelsmaßnahmen gesammelt und Genderanalysen in Auftrag gegeben werden;
die Genderperspektive in die handelspolitischen Länderüberprüfungen (Trade Policy Review Mechanisms) einfließt;
die reproduktiven Rechte von Frauen berücksichtigt werden;
zahlenmäßige Gleichheit von Frauen und Männern in den Gremien, Vertretungen und Funktionen der WTO angestrebt wird;
die Bestimmungen der CEDAW (Convention on the Elimination of all forms of Discrimination against women), die Verpflichtungen von Beijing und die Gender-Resolution der EU eingehalten werden.
Alle diese Anliegen sind in WTO-Dokumenten oder Verhandlungen noch nie vorgekommen; dass Frauen vom Handel betroffen sind, liegt dem WTO-Sekretariat noch fern. Wir können nur beständig daran weiterarbeiten und eines Tages auf Erfolg hoffen – wie jetzt in Seattle.
Es muss jedoch gesagt werden, dass auch NGOs – abgesehen von Frauenorganisationen – zwar Sozialstandards und Arbeitsrechte einfordern, aber auf Frauenforderungen, die damit nicht ident sind, immer vergessen. Gehören Frauen vielleicht nicht zur Menschheit, deren Wohlergehen und Einkommen sogar die WTO laut Präambel verbessern will?
Die Autorin ist Mitglied des Entwicklungspolitischen Beirates der Salzburger Landesregierung, der österreichischen WIDE – Plattform, der Anti-MAI-Gruppe Salzburg und anderer NGOs.
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